Qualifizierungsgesetz: Bundestag stärkt digitale Weiterbildung und ALG-Anspruch

Beschäftigte, die von Umbrüchen im Arbeitsmarkt durch die Digitalisierung betroffen sind, können sich künftig einfacher weiterbilden lassen.

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Qualifizierungsgesetz: Bundestag stärkt digitale Weiterbildung und ALG-Anspruch

(Bild: dpa)

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Der Bundestag hat am Freitag mit breiter Mehrheit den Regierungsentwurf für ein "Qualifizierungschancengesetz" mit umfangreichen Ergänzungen beschlossen. Die Abgeordneten wollen damit auf die Auswirkungen digitaler Techniken und der Automatisierung auf den Arbeitsmarkt reagieren, die zu mehr "atypisch Beschäftigten" wie Crowd- und Clickworkern in der "Gig Economy" führen. So wird die Weiterbildung von Arbeitnehmern, die von diesem Strukturwandel besonders betroffen sind, fortan besser gefördert.

Die Beihilfen beziehen sich auf Lehrgangskosten sowie Zuschüsse zum Arbeitsentgelt. Die Beratungsangebote der Bundesagentur für Arbeit werden ausgebaut. Die neue Klausel ist etwa auf Selbstständige ausgerichtet, die über Online-Plattformen wie Amazons "Mechanical Turk", Deliveroo, InnoCentive, Lieferando, LiveOps, Lyft oder Uber eher schlecht bezahlte Gelegenheitsjobs finden. Generell will der Bundestag mit dem Gesetz qualifizierte Arbeitsplätze sichern. Auch für sogenannte Engpassberufe mit händeringend gesuchten Fachkräften etwa im IT-Bereich wird die Förderinitiative gelten, die durch die Arbeitgeber kofinanziert werden soll.

Für sämtliche Arbeitnehmer, die häufig nur Beschäftigungen mit kurzer Dauer ausüben, erleichtern die Abgeordneten den Zugang zum Anspruch auf Arbeitslosengeld. Davon profitieren künftig alle, die innerhalb von 30 Monaten auf Versicherungszeiten von 12 Monaten kommen. In der bisher geltenden Mindestzeit von 24 Monaten war die Vorgabe für kurzfristig Beschäftigte oft schwer zu erreichen.

Dazu kommt eine erweiterte "Künstlerregelung": Fortan werden beim Arbeitslosengeldanspruch auch Beschäftigungen berücksichtigt, die auf nicht mehr als 14 Wochen angelegt sind. Bisher lag die Grenze bei zehn Wochen. Zudem dürfen kurzfristig Angestellte 50 Prozent mehr verdienen als bisher, ohne die Anspruchsmöglichkeiten zu verlieren.

Das Parlament hat ferner den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung dauerhaft um 0,4 Prozentpunkte gesenkt. Dazu kommen soll eine zusätzliche Entlastung um 0,1 Prozentpunkte befristet bis Ende 2022. Damit wollen die Volksvertreter sicherstellen, dass die Bundesarbeitsagentur für Risiken und Krisen handlungsfähig bleibt und bei weiterhin guter Wirtschaftslage über eine Rücklage von 0,65 Prozent des Bruttoinlandsproduktes verfügt. Ab Anfang 2019 wird der Arbeitslosenversicherungsbeitrag so bei 2,5 Prozent liegen. Die EU-Kommission hat voriges Jahr bereits weitergehende Maßnahmen vorgeschlagen, um dem "digitalen Proletariat" den Kampf anzusagen.

Für den Entwurf stimmten neben den Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und SPD auch die FDP und die Grünen. Die AfD und die Linke enthielten sich. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil rechnete anhand von Studien vor, dass hierzulande bis 2025 rund 1,3 Millionen Arbeitsplätze durch Automatisierung und technischen Wandel verloren gehen dürften. Gleichzeitig entstünden in dieser Zeit aber zwei Millionen neue Jobs. Oppositionspolitiker sprachen von einem Gesetz der verpassten Chancen, da der Entwurf einer nationalen Weiterbildungsstrategie nicht gerecht werde.

Parallel hat das Arbeitsministerium den Startschuss für 17 "Experimentierräume" gegeben, die unter dem Dach der Initiative "Neue Qualität der Arbeit" (INQA) Modelle der Zukunft erproben soll. Sie fördern laut dem Ministerium "Arbeiten 4.0" in der Pflege, im Handwerk, in der Verwaltung oder in der Produktion und "adressieren neue Führungs- und Weiterbildungskonzepte, den demografischen Wandel oder Künstliche Intelligenz". Staatssekretär Björn Böhning (SPD) sprach von einem "Praxistest, wie aus neuer Arbeit gute Arbeit wird". Die staatliche Förderquote liegt bei 70 Prozent und ist auf 1,5 Millionen Euro sowie 36 Monate begrenzt. Daneben fördert das Ministerium kleine und mittlere Unternehmen im digitalen Wandel bei der Umsetzung von Lern- und Experimentierbereichen.

Die Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz warnte gleichzeitig anhand einer neuen Studie vor Gefahren der neuen Beschäftigungswelt. Diese sei geprägt von einer zunehmenden Überwachung von Mitarbeitern, der Annahme einer Verfügbarkeit rund um die Uhr, häufige Jobwechsel und dem Management von Arbeit und Angestellten mithilfe von Algorithmen. Damit spielten "psychologische und organisatorische Faktoren" im digitalen Arbeitsumfeld eine immer wichtigere Rolle, was die Beschäftigten unter zusätzlichen Druck stellen könne.

Dazu kommen laut Agentur verstärkte ökonomische Risiken, die unter anderem von Mensch-Maschine-Schnittstellen und einer Zunahme des "mobilen Arbeitens" mit erhöhten Gefahren für die Cybersicherheit verursacht würden. Bei der größeren Schar an Selbständigen im Digitalsektor sei zudem davon auszugehen, dass bestehende Sicherheits- und Gesundheitsregeln für den Arbeitsplatz nicht mehr in jedem Fall gewährleistet werden könnten. (anw)