Zahlen, bitte! Mit 0,036 km/h über den Mars gedüst

Der kleine wegweisende Rover Sojourner der NASA-Pathfinder-Mission erkundete mit nur 0,036 km/h den Mars und schrieb dabei Internet-Geschichte.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 24 Kommentare lesen
Zahlen, bitte! Mit 0,036 km/h über den Mars gedüst
Lesezeit: 7 Min.
Inhaltsverzeichnis

Im Jahr 1997 landete nach über zwanzig Jahren mit NASA Mars Pathfinder wieder erfolgreich eine Landeeinheit auf dem Mars. Diese Mission hatte außerdem mit Sojourner einen kleinen Rover im Gepäck.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Mit der unheimlichen Geschwindigkeit von 0,036 km/h (36 Meter pro Stunde) sollte Sojourner – benannt nach der amerikanischen Frauenrechtlerin Sojourner Truth – demonstrieren, dass mit mobilen teilautomatisch agierenden Rovern die Erforschung anderer Planeten flexibler gestaltet werden könne. Außerdem gilt die Mission als eins der ersten echten Internet-Events, in einer Zeit, in der das weltumspannende World Wide Web langsam laufen lernte.

Der Patch der Mars-Pathfinder-Mission

(Bild: NASA)

Dabei musste die NASA bis es zur Mars Pathfinder-Mission erst einmal kleine Brötchen backen: Im Jahr 1992 brach völlig überraschend bei Eintritt in die Mars-Umlaufbahn die Verbindung zur Sonde Mars Observer ab – und eine Mission für 813 Millionen Dollar war Geschichte.

Observer wäre die erste Marsmission seit den zwei erfolgreichen Viking-Landern 1976 gewesen. Dementsprechend alt waren auch die meisten Daten und Bilder vom Mars, mit denen die NASA arbeitete. Nach Pannen und galoppierenden Kosten wie z. b. beim Weltraumteleskop Hubble kam der erneute Fehlschlag zur Unzeit. Auf die daraus resultierenden Budgetkürzungen reagierte die amerikanische Weltraumbehörde, indem sie das Discovery-Programm auflegte.

Unter dem Motto “better, faster, cheaper“ wurden mehrere kleinere Missionen gestartet, die – jede für sich begrenzt in Nutzlast und Forschungszielen – auf mehrere Schultern verteilt das Risiko möglicher Ausfälle minimieren sollten. Vor allem aber war das Ziel, dass die Missionskosten zu senken. Mit weniger Aufwand gebaut, leichter und mit geringerer Missionsüberwachung sollte ein Kostenvorteil generiert werden.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier ein externes Video (Kaltura Inc.) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Kaltura Inc.) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Die Mars Pathfinder-Mission war in dieser Reihe als Erprobung und Demonstration neuerer Techniken geplant. Gestartet am 4. Dezember 1996, landete der Mars Pathfinder vier Kurskorrekturen später mit dem Rover Sojourner im Gepäck am 4. Juli 1997 auf dem Mars.

Auf eine Umlaufbahn wurde dabei verzichtet. Stattdessen musste der Lander aus 16-facher Schallgeschwindigkeit mit Raketen und Fallschirmen gebremst werden. Beim Aufprall auf der Oberfläche sollte eine Ummantelung aus Airbags schützen, die mit einem Gesamtvolumen von 82 m³ Beschleunigungen bis 50g aushalten mussten. Nach der Landung wurden die Airbags geleert, die drei Sonnensegel entfalteten sich und gaben den Lander sowie den Rover frei.

Von der Startmasse von 835 kg blieben nach der Landung und der Trennung von Transferstufe und Hitzeschild noch 310 kg Lander und Rover übrig, wobei der Rover einen Anteil von 10,7 kg am Gesamtgewicht hatte.

Der Lander Pathfinder mit dem Rover Sojourner in der Endabnahme. Beim Rover ist das Fahrgestell eingefahren, um während der Reise Platz zu sparen. Trotzdem kann man die Größenverhältnisse gut erahnen.

(Bild: NASA)

Das Landemodul war ausgestattet mit drei Solarpaneelen, mehreren Messinstrumenten und der Kamera "Imager For Mars Pathfinder". Deren CCD und Elektronik stammte vom deutschen Max-Planck-Indstitut für Aerononmie und war u. a. schwenk- und ausfahrbar. Die Kamera konnte somit die gesamte unmittelbare Umgebung abbilden.

Als Hauptprozessor werkelte in der Landeeinheit mit dem IBM RAD6000 SC erstmals ein speziell für Weltraummissionen weiterentwickelter 32-Bit-RISC-Mikrocontroller. Er wurde unempfindlich gegen Strahlen entworfen und konnte stufenweise von 2,5, 5, 10, 15 bis hin auf höchstens 20 MHz (22 MIPS) getaktet werden. Damit konnten die Entwickler auf eine aktive Kühlung verzichten und Energie sparen.

Misson NASA Mars Pathfinder (8 Bilder)

Die Marsrover als Nachbildungen im Größenvergleich:
Links Rover Spirit, welcher mit Opportunity zusammen seit 2004 den Mars erforschte, in der Mitte der Mars Pathfinder Sojourner Rover und als jüngster Spross Curiosity auf der rechten Seite.
(Bild: NASA)

Beim Speicher wiederum konnte das verwendete VxWorks – ein proprietäres Echtzeitbetriebssystem von Wind River, seit 2009 eine Tochter von Intel – für damalige Verhältnisse aus dem Vollen schöpfen: 128 MByte RAM und 6 MByte EEPROM . Zum Vergleich: Der damals noch vertriebene Commodore Amiga 1200 war standardmäßig mit 2 MByte bestückt; selbst im Gaming-PC-Bereich galten damals 64 MByte RAM als Luxuskonfiguration. Dafür musste Mars Pathfinder aber auch ohne Massenspeicher auskommen und alles im RAM halten.

Im Rover Sojourner wiederum kam aus Mobilitätsgründen einen alter Bekannter zum Einsatz: Mit dem Intel 80C85 arbeitete ein 8 Bit-Prozessor, welcher bereits in den 70ern in CP/M-Systemen zum Einsatz kam. Der Speicher von 176 kByte (via Bankswitching abrufbar, da der Adressraum des 80C85 eigentlich nur 64 kByte hergibt) wirkt nur in C64-Verhältnissen üppig.

Angesichts dieser bescheidenen Ausstattung war der Rover auch permanent auf die Verbindung zur Landeeinheit angewiesen und wuselte daher um Mars Pathfinder wie ein daddelnder Teenager um den WLAN-Router.

Rover Sojourner auf dem Weg zum nächsten Forschungsobjekt. Er richtet das Spektrometer dabei auf den Brocken aus.

(Bild: NASA)

Ausgestattet war der Rover zudem mit drei Kameras und einem beweglichen Röntgen-Spektrometer, entwickelt vom Mainzer Max-Planck-Institut für Chemie. Der Spektrometer analysierte durch Bestrahlung mit Alphateilchen und Messung der Rückstrahlung die chemische Zusammensetzung der Oberfläche. Mit dem Wheel--Experiment wurde zudem anhand der Abnutzung der Räder die Materialeigenschaften des Marsbodens erforscht.
.

Sowohl der Lander als auch Rover übertrafen die geplante Missionszeit von 30 bzw. sieben Tagen um ein vielfaches (80 Tage). Kritiker merkten allerdings an, dass die Ziele auch recht niedrig angesetzt wurden.

Die Mission gilt für die NASA als voller Erfolg. Sowohl die Erprobung der Landungsart als auch die teilautonome Nutzung des Rovers, der die Strecke vorgeben bekam, und selbstständig Hindernissen ausweichen sollte, verlief insgesamt erfolgreich. (Bei einem Unfall mit Stein "Yogi" aufgrund, nun ja, zu hoher Geschwindigkeit, nahm der Rover glücklicherweise keinen Schaden).

Der Marsrover Sojourner erkundet "Yogi", einen Felsbrocken in unmittelbarer Umgebung des Landers.

(Bild: NASA)

Aus einer anderen Perspektive war die Mission ebenfalls ein Erfolg: Die NASA nutzte geschickt das Internet, um für die Landung die Werbetrommel zu rühren. Auch die Landung am 4. Juli, dem amerikanischen Unabhängigkeitstag, war dabei nicht ganz zufällig gewählt: Da die meisten Amerikaner am Feiertag frei haben, konnten sie sich auf die Landung konzentrieren. Damit technisch nichts im Wege stand, bereitete die NASA die Server-Kapazitäten auf den Ansturm auf die vom Mars Pathfinder und Sojourner unmittelbar übermittelten Fotos vor, indem sie die Missions-Website zur Landung auf 20 Servern spiegelte. Telepolis-Autor Florian Rötzer blickte damals voraus:

"Immerhin, es war ein großangelegtes Experiment, eine gemeinsame weltweite Öffentlichkeit im Cyberspace zu schaffen. [...] Das war ein Test, schließlich würde man gerne das World Wide Web, das bislang den Nomaden und den Suchmaschinen gehörte, möglichst schnell von einem Pull-Medium zu einem fernsehähnlichen Push-Medium umbauen, das aber dann auch anderen Erwartungen ausgesetzt ist."

Die Worte waren durchaus prophetisch, erst recht, wenn man bedenkt, dass 1997 Livestreams mit Bewegtbildern völlig utopisch waren – selbst wenn man schon mit dem damals recht neuen ISDN und 64 kBit/s im Netz unterwegs war.

Heutzutage gehören gepflegte Social-Media-Auftritte und Livestreams zum guten Ton in der Raumfahrt, wie zum Beispiel in der letzten Woche Marslander InSight oder die Ankunft von Osiris-Rex am Asteroiden Bennu.

Eine gute PR bedeutet viel Aufmerksamkeit. Somit war die Landung von Mars Pathfinder vielleicht nicht so erkenntnisreich wie die Marsrover-Nachfolgemissionen Opportunity/Spirit oder Curiosity. Aber Mars Pathfinder war wegweisend – sowohl in der Technologie als auch in der PR. (mawi)