Unerlaubte Telefonwerbung nimmt zu

Sie sind nicht nur unerbeten, sondern häufig verboten: Anrufe, in denen Firmen für Produkte und Dienstleistungen werben. Häufig kommen Kaufverträge zustande

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(Bild: dotshock / shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Oliver Beckhoff
  • Wolf von Dewitz
  • dpa
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Es klingt ein wenig nach Kriminalfall, nach "Aktenzeichen XY ... ungelöst". Um "Telefonwerbern das Handwerk zu legen, benötigen wir Ihre Unterstützung und handfeste Beweise", heißt es auf den Seiten der Verbraucherzentrale Hamburg: "Die Gegenseite streitet den Anruf ansonsten einfach ab."

Die Rede ist von aufdringlichen, ungebetenen Anrufen zu Werbezwecken, auch Cold Calls genannt. Das Problem wächst – und mit ihm der Ärger der Betroffenen, das zeigen aktuelle Zahlen, die die Bundesnetzagentur am Donnerstag veröffentlicht hat.

58.000 schriftliche Beschwerden von Verbrauchern gingen demnach von Januar bis November bei der Bonner Behörde ein – und damit 6000 mehr als im Vorjahr. Ein weiteres Jahr zurückgeschaut, zeigt sich die Entwicklung noch drastischer. 2016 lag der Vergleichswert noch bei 27.000 Beschwerden. Die Zahl hat sich im Vergleich also mehr als verdoppelt.

"Wir kämpfen schon seit mehr als zehn Jahren gegen die Unart der unlauteren Telefonwerbung", sagt Thomas Bradler, Jurist bei der Verbraucherzentrale NRW, am Donnerstag auf dpa-Anfrage. Er spricht von einem "konstant hohen Niveau" der Beschwerdefälle, die nur die Spitze des Eisbergs darstellen dürften. Denn nicht jeder unerbetene Anruf mündet in eine Beschwerde.

Dabei gelten für Telefonwerbung in Deutschland klare Regeln: Niemand darf zu Werbezwecken angerufen werden, ohne dass er vorher ausdrücklich zugestimmt hat. Unternehmen, die dagegen verstoßen, können zur Kasse gebeten werden. Zwischen Januar und November verhängte die Bundesnetzagentur 1,1 Millionen Euro Bußgelder. Trotz des Anstiegs der Beschwerden war es etwas weniger als im Vorjahreszeitraum (1,2 Millionen).

Vor allem über Energieversorgungsunternehmen ärgerten sich die Angerufenen – ein Drittel der Beschwerden ging auf ihr Konto. Gegen zwei Unternehmen wurde im laufenden Jahr die Höchstsumme von je 300.000 Euro Bußgeld verhängt. Doch wie passt das zusammen: Mehr Beschwerden, klare Fälle - und trotzdem insgesamt kein Anstieg bei den Bußgeldern?

Das sei kein Widerspruch, sagt Fiete Wulff, Sprecher der Bundesnetzagentur, über die Bußgelder: "Das ist beides in der gleichen Größenordnung." Wegen der aufwändigen Verfahren gegen die zwei Unternehmen habe sich der Abschluss anderer Beschwerdefälle verzögert, die deshalb auch noch nicht in der Statistik auftauchten.

Die Werbewirtschaft hat eine andere Erklärung: Dass man sich überhaupt per Beschwerde gegen Anrufe wehren könne, sei deutlich bekannter geworden, sagt Katja Heintschel von Heinegg vom Zentralverband der Deutschen Werbewirtschaft (ZAW), dort zuständig für Recht und Werbepolitik. "Eine Beschwerde heißt nicht, dass eine unerlaubte oder verfolgbare Werbung tatsächlich erfolgt ist." Unklar sei, wie viele der verhängten Bußgelder am Ende Bestand hätten, wenn Unternehmen Widerspruch einlegten.

Wer von nervigen Telefonanrufen betroffen ist, dürfte ohnehin elementarere Fragen stellen: Ist ein am Telefon geschlossener Vertrag wirksam? Gibt es ein Widerrufsrecht? Durfte das Unternehmen überhaupt anrufen? Und woher hatte es die Einwilligung dafür?

"Der Klassiker ist die Teilnahme an einem Gewinnspiel", beispielsweise an Werbeständen in Flughäfen, Bahnhofshallen oder Supermärkten, erklärt der Jurist Bradler. Via Häkchen und Unterschrift werde dann auf Werbekarten das Einverständnis für die telefonische "Kontaktaufnahme zu Werbezwecken" erklärt. "Es sind letztlich Fernabsatzverträge. Ich habe meist ein Widerrufsrecht von 14 Tagen." Mal werde eine Einwilligung aber auch regelrecht im Text versteckt und nicht separat abgefragt. "Wenn wir sehen, wie die Einwilligung teils eingeholt wird, ist da noch einiges im Argen", sagt Bradler.

Ein Instrument, das bei Gewinnspielen bereits gilt, wird zunehmend auch für andere Fälle von Telefonwerbung gefordert. Im Bundesrat wurde im Frühjahr ein Gesetzesantrag für die sogenannte "Bestätigungslösung" beschlossen – auf Betreiben Baden-Württembergs, des Saarlands und Hessens. Sie sieht vor, dass Telefonverträge unwirksam bleiben, bis Verbraucher sie schriftlich bestätigen. Der Vorschlag stärke Verbraucherrechte und fördere "den redlichen Wettbewerb", sagt der baden-württembergische Verbraucherminister Peter Hauk (CDU) und sieht nun das Bundesjustizministerium unter Zugzwang.

"Unerlaubte Telefonwerbung heißt so, weil sie nicht erlaubt ist", sagt Klaus Müller, oberster Verbraucherschützer und Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands – und fordert die grundsätzliche Unwirksamkeit von Telefonverträgen.

"Der Gesetzgeber muss die Verbraucher besser schützen durch klare Regeln und eine klare Absage an die Wirksamkeit von Geschäften am Telefon." (jk)