Missing Link: Von der Tragik zur Komödie der Allmende - über Gemeingüter, Open Source und freies Wissen

Vor 50 Jahren stellte Garrett Hardin seine vielbeachtete These auf, Kollektivgüter seien dem Untergang geweiht. Gilt dies in der digitalen Wissensgesellschaft?

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Open Source, Open Access, Open Innovation, Allmende, Coypright, Urheberrecht

(Bild: EFKS, shutterstock.com)

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"Eine endliche Welt kann nur eine endliche Bevölkerung unterstützen; daher muss das Bevölkerungswachstum letztendlich gegen Null gehen." Was sich wie ein Zitat aus einer rigorosen Öko-Bibel anhört, entstammt einem sehr einflussreichen wissenschaftlichen Aufsatz, dessen Titel längst ins Allgemeinwissen eingeflossen ist: "Die Tragik der Allmende". Geschrieben hat das Stück der US-Biologe Garrett Hardin vor 50 Jahren: Am 13. Dezember 1968 erschien das sechsseitige Essay im Magazin "Science" im Original als "The Tragedy of the Commons". Es hat seitdem mehrere Generationen von Denkern und Politikern als Steilvorlage gedient.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Im Kern sorgt sich der Autor vor der drohenden Überbevölkerung und plädiert für eine strikte Geburtenkontrolle, die noch schärfer ausfallen sollte als die "Ein-Kind-Politik" Chinas. Er versteht die Erde als ultimatives Beispiel einer Allmende, also eines kollektiv genutzten Gutes, das letztlich wegen Überbeanspruchung der natürlichen Ressourcen dem Untergang geweiht ist. Die klassische Tragödie sei hier vorgezeichnet, meinte Hardin. Auch die sonst als Allheilmittel gefeierte und eingesetzte moderne Technik könne dieses Schicksal angesichts der Grenzen des Wachstums langfristig nicht abwenden.

Der stattfindende Raubbau am blauen Planeten, die Umweltverschmutzung und der damit verknüpfte Klimawandel scheint dem 2003 aus dem Leben geschiedenen frühen Ökologen Recht zu geben. Ein Großteil der Menschheit ist auf den eigenen Vorteil bedacht, steigt weiterhin ins Auto oder ins Flugzeug und kümmert sich wenig oder gar nicht um den Erhalt von Wasser, Luft und Erde. Die Tragödie nimmt unaufhaltsam ihren Lauf.

Hardin war sicher nicht der erste, dem diese Folgen von Überkonsum auffielen. Schon Aristoteles wird die Weisheit in den Mund gelegt, dass "dem Gut, das der größten Zahl gemeinsam ist, die geringste Fürsorge zuteil wird".

Der Verfasser des Aufsatzes traf zum Auftakt der 68er-Bewegung aber einen Nerv und bebilderte seine Theorie mit Beispielen, die stilbildend geworden sind. Man stelle sich eine Weide vor, die "offen für alle ist", schreibt er etwa. Jeder Herdenbesitzer wird hier versuchen, soviel Vieh wie möglich darauf satt werden zu lassen. Ein solches Arrangement mag jahrhundertelang funktionieren, weil Stammeskämpfe, Wilderei und Krankheiten die Anzahl an Tieren und Menschen unterhalb der Schwelle halten, die das Land ernähren kann. Letztlich kommt dem gebürtigen Texaner zufolge aber der Tag der Erkenntnis, an dem das langersehnte Ziel der sozialen Stabilität eintritt und damit das tragische Schicksal der Allmende besiegelt ist.

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Der Einfluss des Essays war enorm. Schier jede politische Gruppe kann unter Verweis auf die bevorstehende Tragödie einschneidende Regulierungen rechtfertigen. Öffentliche Ressourcen gelten in dieser Logik generell als ineffizient, sodass sie eingehegt werden müssen. Ein Beispiel ist das Funkspektrum. Könnte es jeder nach Belieben nutzen, werde bald das Chaos regieren, lautet die Schlussfolgerung im Sinne Hardins. Es komme zu Interferenzen und Störungen, letztlich würden die Funkwellen für alle unbenutzbar.

Die nationalen Regulierer scheinen also gefragt. Teile des Spektrums werden daher von Zeit zu Zeit meistbietend versteigert, wie aktuell die ersten Frequenzen für den kommenden Mobilfunkstandard 5G. Das Auktionsmodell hat aber ebenfalls seine Schwächen: Es zieht den Netzbetreibern in der Regel viel Geld aus der Tasche, dass sie dann nicht mehr in den Infrastrukturausbau stecken können. Die berühmt-berüchtigten Funklöcher können so kaum geschlossen werden. Dass es auch anders geht, zeigt der französische Ansatz: Dort erhalten die Mobilfunker Frequenzbereiche "gratis" im Gegenzug für klare Auflagen, bis wann sie welche Regionen flächendeckend versorgen müssen.

Generell gilt neben staatlicher Regulierung privates Eigentum als gängiges Mittel, um das ansonsten drohende ruinöse Schicksal der Allmende zu verhindern. Das bekannteste Beispiel dafür sind die "Einhegungen" der sogenannten Enclosure-Bewegung in der britischen Landwirtschaft, die im 18. und 19. Jahrhundert ihren Höhepunkt erreichten. Allmende-Rechte wurden damals aufgelöst, vorher gemeinschaftlich in Anspruch genommene landwirtschaftliche Flächen eingefriedet und in Privatregie agrarindustriell genutzt. Die verbliebenen Betreiber sollten so effizienter wirtschaften können. Kleinbauern ernährten ihre Parzellen dagegen nicht mehr. Sie mussten sich häufig als Fabrikarbeiter in den wachsenden Städten verdingen.