Hintergrund: .kids und die US-Dominanz im Internet
US-Politiker wollen zwangsweise die Domain .kids fĂĽr kindgerechte Inhalte einfĂĽhren. Kritiker befĂĽrchten die endgĂĽltige "AmerICANNisierung" des Internet.
Noch im Oktober könnte ein Gesetzesentwurf den US-Kongress und -Senat passieren, der die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) zwingt, eine kinderfreundliche – und pornofeindliche – Domain .kids einzuführen. Keinesweg aber beabsichtige der republikanische Kongressabgeordnete John Shimkus damit, die Internationalisierung der 1998 installierten Domainverwaltung aufzuhalten, sagte gegenüber heise online der Sprecher von Shimkus, Steven Tomaszewski. Doch der von Shimkus vorgelegte Gesetzentwurf enthält nach wie vor die Klausel: "Solange ICANN die Autorität besitzt, generische oder country code Top Level Domains einzurichten und Registrierstellen dafür auszuwählen, soll der Wirtschaftsminister die Aufsicht und das Zustimmungsrecht für die Regierung ausüben, alle Anstrengungen unternehmen, diese Autorität (..) zu behalten und diese Aufgabe sorgfältig wahrnehmen."
In erster Linie geht es Shimkus und seinem Kollegen Edward Markey nach Aussage von Tomaszewski darum, einen sicheren Ort für Kinder im Netz zu schaffen. Ein internationales – der Gesetzentwurf spricht hier nur von einem vielseitig besetzen – Panel solle an der Formulierung spezieller Regeln für .kids beteiligt werden. Shimkus hatte in einer Pressekonferenz gesagt: "Als Vater von Kindern, die das Internet nutzen, will ich dazu beitragen, sichere Seiten im Internet einzurichten, bei denen ich weiß, dass sie kein unangemessenes Material beinhalten." Wie dieser Anspruch in der Praxis – abgesehen von einer ersten Prüfung bei der Vergabe einer .kids-Adressen – eingelöst werden soll, dazu konnte Tomaszewski keine genauen Angaben machen. Eine kontinuierliche Überwachung sei wohl nicht möglich. Die Nutzung von Anbieter und Nutzerseite sei selbstverständlich völlig freiwillig.
Die ICANN selbst hatte bei der Auswahl neuer Domains im vergangenen Jahr mehrere speziell Kindern gewidmete gTLDs mit der Begründung abgelehnt, dass derartige Regeln für die Registrierung tatsächlich effektiv durchgesetzt werden könnten. Zudem hielten ICANNs Direktoren die Aufgabe für unlösbar, international einheitliche Maßstäbe zu formulieren, was in eine "Kinderdomain" gehört und was nicht.
"Eine solche Domain ist vielleicht keine schlechte Idee", sagt dazu David Maher, für Politikfragen zuständiger Vizepräsident der Internet Society (ISOC). Die zwangweise Einführung durch ein nationales Gesetz lehnt die ISOC allerdings grundsätzlich ab. In einer Reaktion auf den Vorschlag warnte die Organisation eindringlich vor dem US-Alleingang, der die bereits bestehende Besorgnis der internationalen Gemeinschaft angesichts der US-Dominanz weiter verschlimmern könnte. "Was sollte die Regierungen von Großbritannien, Schweden oder Japan, die ebenfalls Server innerhalb der offiziellen Rootzone betreiben, davon abhalten, ein eigenes System aufzuziehen", betonte Maher gegenüber heise online.
Im Büro des Abgeordneten Shimkus kann man sich das wohl vorerst nicht vorstellen. Auf die Frage, was andere Regierungen davon abhalten sollte, ebenfalls per Gesetz die Einführung bestimmter Domains zu erzwingen, sagte Tomaszewski: "ICANN ist derzeit keine unabhängige Organisation. Sie ist vertraglich durch das Memorandum of Understanding ans US Wirtschaftministerium gebunden." Diese Sonderrolle der USA – das US-Wirtschaftsministerium hat bislang nach dieser Vereinbarung immer noch die Oberaufsicht über die ICANN – ermöglichten den .kids-Gesetzesentwurf. "Ich weiß nicht, ob andere Regierungen ähnliche Rechte geltend machen können," sagt Tomaszewski. Zur Absicherung des eigenen Anspruchs haben die .kids-Initiatoren aber einfach auch die Vorrangigkeit der .kids-Domain vor jeder anderen neuen gTLD oder ccTLD in den Entwurf geschrieben. Davon könnte beispielsweise die Einführung der Europa-Domain .eu betroffen sein.
Für Tomaszewski besteht bei all dem kein Widerspruch zwischen der Vereinbarung, die die Unabhängigkeit der ICANN vorsieht, und dem Gesetzesentwurf. Sollte ICANN noch vor der möglichen Verabschiedung des Gesetzes im Sinne der Vereinbarung aus der US-Aufsicht entlassen werden, sei der Entwurf wohl obsolet. "Dann würde der Entwurf einfach empfehlenden Charakter bekommen", erklärt der Sprecher. Er betonte, eine Verlängerung der US-Sonderrolle sei tatsächlich nicht intendiert. "Soweit ich aber weiß, ist ICANN selbst an einer erneuten Verlängerung des Vertrags interessiert."
Für David Maher ist der Widerspruch dagegen einfach unerklärlich. "In Washington ist ja einiges möglich, aber auf gut Englisch steht eine unbegrenzte Aufsicht durch das Wirtschaftsministerium einfach so drin." Die ISOC hofft nun, dass der Gesetzesentwurf irgendwo auf dem Weg durch den Kongress und den Senat scheitert. "Soweit ich es beurteilen kann", meint Maher, "gibt es keine allzugroße Unterstützung dafür." Andere nationale Regierungen haben bislang offensichtlich noch nicht auf die AmerICANNisierung – so die Bezeichnung für den Vorstoß innerhalb der ICANN-Community – reagiert. (Monika Ermert) / (jk)