Mobilität: Eine für alle

Das Start-up High Mobility entwickelt eine einheitliche Schnittstelle für Fahrzeug-Apps. Geht der Plan auf, könnte Carsharing künftig ganz einfach sein.

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Mobilität: Eine für alle

(Bild: Mercedes)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Christian Buck

Als sich Risto Vahtra und Kevin Valdek vor einigen Jahren daranmachten, Fahrzeug-Apps für Volvo und Jaguar Land Rover zu entwickeln, wartete auf die beiden Esten ein ziemliches Durcheinander. Dass zwei unterschiedliche Firmen völlig verschiedene Interfaces zur Fahrzeug-IT haben, konnten sie noch verstehen. Aber zu ihrer Überraschung galt das selbst für verschiedene Modelle derselben Marke. Muss das wirklich so sein, dachten sich die beiden.

Schließlich macht diese Vielfalt es ziemlich aufwendig, Apps für die unterschiedlichen Fahrzeughersteller zu entwickeln. Und das, obwohl sich die digitalen Dienste künftig von einer Spielerei zum Herz der Fahrzeugtechnologie wandeln werden. In Zukunft werden vor allem die Autos bei den Käufern punkten, die sich möglichst perfekt in deren digitales Ökosystem aus Smartphone, Computer und Co. integrieren lassen – und für die es eine große Zahl entsprechender Apps gibt. So entstand die Idee, eine einheitliche Schnittstelle zu definieren, über die App-Programmierer Zugriff auf Fahrzeugfunktionen bekommen können. Seit 2013 treiben Vahtra und Valdek ihre Vision mit einem eigenen Unternehmen voran: High Mobility, mit Standorten in Berlin und der estnischen Hauptstadt Tallinn.

Die Grundidee ist einfach: High Mobility stellt Programmierern eine Schnittstelle mit rund 200 Funktionen zur Verfügung, die für jedes Fahrzeugmodell gleich ist. Diese "Application Programming Interface" (API) erlaubt es beispielsweise, per Smartphone die Fahrzeugtür zu öffnen, den Standort des Autos abzufragen, den Motor zu starten oder auf Daten wie Ölstand, Laufleistung und Motordrehzahl zuzugreifen.

"Da unsere API für jedes Fahrzeugmodell gleich ist, muss man nur eine einzige App entwickeln", erklärt Jürgen Mayntz, der bei High Mobility für das Business Development verantwortlich ist. Damit App-Programmierer sofort sehen können, ob ihre Software wie gewünscht funktioniert, hat High Mobility außerdem Simulatoren für verschiedene Fahrzeugmodelle entwickelt. "Software und mobile Dienste werden in Zukunft immer stärker den Wert eines Fahrzeugs bestimmen", sagt Johannes Deichmann, Experte für Car Data und Software bei der Unternehmensberatung McKinsey. "Da kein Hersteller diese Innovationen allein entwickeln kann, ist eine einheitliche API für externe Software-Entwickler eine interessante Lösung."

Will eine App Daten an das Fahrzeug senden oder von dort empfangen, ruft sie via Internet zuerst eine der Funktionen der High-Mobility-API auf. Dort findet die automatische Übersetzung in die Sprache des jeweiligen Autoherstellers statt. Im nächsten Schritt leitet High Mobility den Funktionsaufruf an die Cloud des Autobauers weiter, der ihn schließlich über das Internet an das vernetzte Fahrzeug schickt. Wenn das Auto seinerseits Daten an die App schicken möchte, nehmen sie den umgekehrten Weg. Der Weg ist kompliziert, doch so wollen ihn die Hersteller: Nur so sichern sie sich den Zugriff auf die Informationen. Sie nehmen dabei sogar in Kauf, dass die Nutzer in Situationen ohne Internetverbindung – etwa in einer Tiefgarage – nur eingeschränkt auf Fahrzeugfunktionen zugreifen können.

Mit der vollen Kontrolle über den Datenfluss können Fahrzeughersteller zum einen Vorkehrungen gegen Hackerangriffe treffen. Zum anderen lernen sie anhand der anonymisierten Daten viel über die Nutzung der vernetzten Fahrzeuge. Noch wichtiger aber: Sie können zusätzlich Geld verdienen, weil völlig neue Dienstleistungen möglich werden. Wenn etwa ein Online-Händler seine Ware per "Trunk Delivery" im Kofferraum des Empfängers abliefert, würde für das Öffnen des Kofferraums jedes Mal eine Zahlung fällig werden – sei es nun vom Fahrzeugbesitzer oder dem Paketdienst. Autovermieter könnten mit neuen Apps am Wochenende Carsharing anbieten und so ihre Wagen besser ausnutzen.

Spätestens 2019 sollen die ersten Autos mit entsprechender Technik auf den Markt kommen. "Derzeit arbeiten schon etwa 2000 Entwickler aus 50 Ländern mit unserer API", so Mayntz. Porsche, Mercedes und Volkswagen hat High Mobility als Geschäftspartner gewonnen, mit den anderen Herstellern ist man im Gespräch. Die Investoren glauben jedenfalls an den Erfolg des Start-ups mit derzeit 17 Mitarbeitern: Im Juli 2018 konnte High Mobility eine zweite Finanzierungsrunde über drei Millionen Euro abschließen. Setzt sich die API durch, hätte die Automobilindustrie zumindest die Chance, US-Giganten wie Google oder Apple aus dem interessanten App-Markt für Fahrzeuge herauszuhalten.

(bsc)