Drohnen: Vertikale Umleitung

Rund 50 Firmen weltweit arbeiten an Flugtaxis, erste Prototypen sind bereits im Test. Kritiker halten die geplante Luftflotte für den Stadthimmel indes für zu laut, zu gefährlich und zu teuer.

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Drohnen: Vertikale Umleitung

(Bild: Lilium)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Joseph Scheppach

Nur noch das Smartphone aus der Tasche ziehen, ein elektrisches Flugtaxi ordern und davonschweben – über alle Staus hinweg. "Der innerstädtische Flug wird kommen", ist Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) überzeugt. In den nächsten 20 Jahren will er ein bayernweites Lufttaxi-Streckennetz errichten.

"Dazu soll ein Testfeld aufgebaut werden, das bayerische Unternehmen und Forschungseinrichtungen zur anwendungsnahen Flugerprobung in einer realistischen Umgebung nutzen können", erklärt Johannes Frik, Sprecher des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Energie und Technologie. Langfristperspektive sei es, einen Lufttaxibetrieb mit über ganz Bayern verteilten Basisstationen aufzubauen.

Nicht nur in Bayern träumt man vom Abheben. Rund um den Globus tüfteln etwa 50 Unternehmen mit Hochdruck an Senkrechtstartern ("Vertical Take-Off and Landing", VTOL), neben kleinen Start-ups auch große Autobauer und Luftfahrtkonzerne. So unterschiedlich die fliegenden Kisten aussehen mögen – in einem Punkt sind sich dabei alle Entwickler einig: Sie wollen keine Luxusliner für ein paar Eliten bauen, sondern massentaugliche Alltagsgefährte. Fluggeräte werden ein integraler Bestandteil der urbanen Mobilität, prophezeit etwa das Beratungsunternehmen Porsche Consulting in einer Studie. Der Transport von Waren und Passagieren mit den Kleinfliegern habe das Potenzial, bis 2035 ein globaler Markt im Wert von 74 Milliarden Dollar zu werden.

Bereits in den nächsten fünf Jahren, schätzen die Autoren der Analyse, werde das private Flugtaxi Realität. Die CSU-Fraktion im Stadtrat von München hat vorsichtshalber schon mal einen Antrag gestellt, Heliports auf dem Dach des Bahnhofsneubaus zu errichten. Auch Florian Holzapfel, Professor für Flugsystemdynamik an der TU München, vermutet, dass 2020 die ersten pilotengesteuerten Geräte abheben werden. "Fünf Jahre später dürften vollautomatische Systeme marktreif sein", sagt der Experte.

So will zum Beispiel Dubai am liebsten schon zur Expo 2020, die in dem Emirat stattfindet, einen ersten Regelbetrieb mit Flugtaxis starten. Volocopter, ein Unternehmen aus dem badischen Bruchsal, absolvierte dort letzten September bereits einen Probeflug: acht Minuten lang, rein elektrisch angetrieben und autonom, ohne Pilot an Bord oder am Boden. "Es war der erste autonome Test eines Lufttaxis in innerstädtischer Umgebung", sagt Firmensprecherin Helena Treeck.

Der Flieger von Volocopter erinnert an einen Hubschrauber, nur dass sich auf seinem Dach 18 je 1,8 Meter große Elektropropeller drehen. Sie halten eine Kabine für zwei Passagiere in der Luft. Gesteuert wird der Senkrechtstarter einhändig per Joystick. Diese Aufgabe übernimmt zunächst ein Pilot, später soll der Volocopter sein Ziel im Umkreis von rund 27 Kilometern selbstständig ansteuern.

Einem ähnlichen Prinzip folgen auch die Entwickler der chinesischen Ehang 184. Die eiförmige, elektrisch betriebene Kapsel mit zwei Kufen ist nur rund 100 Kilogramm schwer. Das Einsatzszenario, das den Ingenieuren für ihr 300000 Euro teures Gefährt vorschwebt: Der Passagier tippt auf einem Display seinen Wunschort ein und lässt sich automatisch dorthin fliegen. Bisher hat die Drohne laut unbestätigten Firmenangaben rund tausend bemannte Testflüge in den USA und China absolviert.

Fraglich ist allerdings, ob ein oder zwei Sitzplätze reichen, um ein bezahlbares Lufttaxi anzubieten. Oder ob es damit am Ende doch zum exklusiven Transportmittel für die Reichen wird – allen Beteuerungen zum Trotz. Der Flugzeugbauer Airbus jedenfalls geht davon aus, dass sich nur mit größeren Fluggeräten ein tragfähiges Geschäftsmodell für den innerstädtischen Transport aufbauen lässt. Seine Quadrokopter-Gondel CityAirbus ist daher für vier Passagiere ausgelegt. Sie soll noch dieses Jahr zum Jungfernflug starten. Von acht E-Motoren angetrieben, kann sie bis zu 120 Kilometer pro Stunde fliegen, zunächst mit Pilot, später autonom. Auf größere Modelle setzt man auch bei Lilium Aviation. "Der Fokus unserer Entwicklung liegt auf einem Fünfsitzer", sagt Firmensprecher Arnd Mueller. "Die Markteinführung planen wir für die frühen 2020er-Jahre."

Während sich Volocopter, Ehang und CityAirbus "mit einem VW vergleichen lassen, ist der Lilium eher ein Porsche", sagt Flugzeugexperte Florian Holzapfel. 36 bewegliche, elektrische Jetturbinen beschleunigen das eifömige Vehikel auf 300 Kilometer pro Stunde. Flexible Klappen direkt an den Flügeln werden zum Start nach unten gerichtet, um dem Jet senkrechten Auftrieb zu geben. Ist er in der Luft, bewegen sich die Klappen langsam in eine horizontale Position und erzeugen so Vorwärtsschub. Das Flugtaxi soll, zumindest in der Endversion, autonom fliegen können und ist daher mit Radar, Kameras und zahlreichen Sensoren für die Navigation ausgerüstet, um unter anderem Position, Beschleunigung und Hindernisse zu erkennen.

So weit die Theorie. In der Praxis ergeben sich einige Probleme: Es ist technisch extrem anspruchsvoll, fünf Personen in die Luft zu hieven, wenn dies in engen Innenstädten geschehen soll – und dann auch noch per E-Antrieb. Bisher hat das Unternehmen aus Garching bei München im April 2017 zwar erfolgreich einen Prototyp getestet – allerdings nur als Zweisitzer und mit lediglich 400 Kilogramm Gewicht.

Ein weiteres Manko ist die Reichweite: Bislang müssen sämtliche Flugtaxi-Modelle spätestens nach knapp einer halben Stunde wieder ans Stromnetz. Holzapfel sieht in der Akkutechnik jedoch kein dauerhaftes Hindernis. "Verbesserungen der Batterieleistung um ein Drittel bis 2020/2030" hält der Ingenieur für wahrscheinlich. "Die Lufttaxi-Entwickler werden gleichsam als Trittbrettfahrer von Fortschritten bei der Batterietechnologie im Automobilbereich profitieren."

Auch andere Bauteile würden mit der Zeit immer billiger, Computer- und Navigationskomponenten etwa seien schon heute preiswerter als noch vor wenigen Jahren. Dieser Trend, davon ist man bei Volocopter und Lilium überzeugt, werde langfristig dazu führen, dass ein Flug nicht viel teurer sei als eine Taxifahrt – nur viel schneller.

Die Unternehmen machen sich daher schon Gedanken, wie ein flächendeckendes Lufttaxi-Netz aussehen könnte. Volocopter will seine Lufttransporter "in existierende Nahverkehrsstrukturen in der Innenstadt integrieren", so Firmensprecherin Treeck. Denkbar wäre etwa eine Art Gondelstation, an der alle 30 Sekunden Volocopter landen und starten.

In den Metropolen der Zukunft könnte es also zugehen wie in der Nähe eines Wespennests. Die Vorstellung ruft erwartungsgemäß Kritiker auf den Plan. "Keiner will den Himmel voller schwirrender Kleinflugzeuge", sagt Oliver Lah vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Von Autos auf Flugtaxis umzusteigen, verlagere die Verkehrsdichte lediglich von der Straße auf die Luft. "Die Fragen einer technologisch nachhaltigen Mobilität werden mit Lufttaxis nicht gelöst. Damit wird individueller Verkehr gefördert statt Mobilität für die breite Masse." Lufttaxis seien höchstens ein Nischen-Transportmittel.

Skeptisch ist auch Frank Liemandt vom Deutschen Hubschrauber Verband. "Einer der wichtigsten Aspekte ist der Lärmschutz", sagt er. Selbst die elektrisch betriebenen bemannten Drohnen seien keineswegs lautlos – allein schon wegen der Geräusche, die Rotoren und die von den Propellern beschleunigte Luft verursachen. "Die Menschen und Gegenstände in näherer Umgebung werden bei Start und Landung einfach hinweggefegt", warnt Liemandt. Warum also sollten für die neuen Lufttaxis andere Regeln gelten als für Hubschrauber, die "in Deutschland nur im Notfall außerhalb eines Flughafens landen dürfen"?

Volocopter-Sprecherin Treeck will diesen Einwand nicht gelten lassen. "Die Bedingungen eines Hubschraubers mit einem großen Rotor sind nicht mit denen eines mit vielen kleinen Propellern betriebenen Lufttaxis zu vergleichen", argumentiert sie. Der Geräuschpegel der Rotoren sei so niedrig, "dass man den Volocopter ab einer Flughöhe von 100 Metern nicht mehr vom üblichen Stadtgeräusch unterscheiden" könne.

Die europäische Flugsicherheitsbehörde ist jedenfalls schon dabei, Vorschriften für unbemannte autonome Drohnen zu entwickeln, die sich möglicherweise auf Flugtaxis ausweiten ließen. Europaweit sollen demnächst Testregionen für Flugtaxis ernannt werden. Auch verschiedene deutsche Städte haben sich bei der EU darum beworben. Am Himmel könnte es also bald voller werden.

(bsc)