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Was war. Was wird. Über das Erinnern und das Vergessen

Durchgegendert, das hat was. Und wenn's nur Amüsement über mit Schaum vor dem Mund Geifernde ist, meint Hal Faber, der sich auf das Vereinigte Europa freut.

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Was war. Was wird. Über das Erinnern und das Vergessen

Und wenn auch einige meckern: Erneut sei betont, wie schön es ist, in einem geeinten Europa zu leben. Und wie wenig selbstverständlich. "Wir müssen Schluss machen mit dem trägen Europa ohne Kraft und ohne Gedanken. Wir haben nicht länger die Wahl. Wenn die Populismen knurren, müssen wir Europa wollen oder untergehen", heißt es im "Manifest europäischer Patrioten".

(Bild: kasyanovart / shutterstock.com)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Liebe Lesende! Aus gegebenem Anlass schreibt heute Hal*ina Faber eine kleine, glückstrahlende Wochenschau am Rande der norddeutschen Tiefebene. Dort, im schönsten Teil von Niedersachsen, diesem Land mit dem Staatsrojaner im Wappen, passiert Aufregendes. Im Hochdeutsch sprechenden Hannover versuchen Menschen, die "geschlechtergerechte Verwaltungssprache" einzuführen, die aus dem Lehrer den Lehrenden macht und aus dem Rednerpult das Redepult. Weg mit dem bescheuerten Herr und Frau, außer natürlich bei der Einladung zu einem Geburtsvorbereitungskurs, wie es der Flyer humorvoll formuliert. Forenten, das ist die Chance, auch in der IT die Sprache zu erneuern: Aus Halbleitern werden Halbleitende, aus Einplatinenrechner Einplatinenrechnende.

*** Hach, dieser Stolz, Hannoveraner*in zu sein, in einer Stadt, in der das Jobportal unter anderem mit einem Einhorn in Anzug und Krawatte genderneutral die Arbeit als Barkeeper*in anbietet. Daselbst zur Schule gegangen, in einer, die Caroline und Wilhelm gleichberechtigt im Namen führte. In der Stadt von Ada Lessing und Aenne Heise und dem Heise-Verlag, in dem niemand mehr grübeln muss, ob es die CeBIT, das Centrum für Bürotechnik und Informationstechnologie oder der Computerkrams da draußen in Laatzen heißen muss, weil die Messe abgeschafft ist. Natürlich mit grandioser Symbolik, wie sich das für Hannover gehört: Was von all der Computertechnik übrig blieb ist eine eNase für das Entsperren des Smartphones per Furz.

*** Auch in anderen Teilen der Welt gibt es glückliche Gesichter. Etwa in den USA, wo der Shutdown von Regierungsbehörden vorerst einmal beendet ist, nachdem erste Flugausfälle dem Polter-Präsidenten den Ernst der Lage demonstrierten. Wie in der letzten Wochenschau geschrieben, hätte Trump mit einen Shutdown zum Super-Bowl das Ende seiner politischen Ambitionen besiegelt. Auch der anstehende Abgabetermin der Steuererklärungen dürfte eine Rolle gespielt haben. Mit der angeblich ihm angeborenen "Kunst des Verhandelns", beschrieben im "zweitbesten Buch der Welt nach der Bibel" hatte das von ihm Gebotene nicht viel zu tun, mehr mit einem kindlich trotzigen Fußstampfen und geballter Inkompetenz. Das Alles hübsch abgemischt mit frühmorgendlichen Twitter-Gewittern.

*** Ein Gewitter ganz anderer Art ist nach der vorübergehenden Verhaftung von Trumps Freund Roger Stone im Anmarsch. Die Anklageschrift enthüllt auf 24 Seiten nicht nur, dass Stone bei früheren Befragungen durch den Geheimdienstausschuss über den Kontakt mit Personen wie dem Radio-Kommentator Randy Credico oder dem Kolumnisten Jerome Corsi gelogen hat. Nicht minder interessant ist die Kommunikation mit Julian Assange, beschrieben als "Head of Organzation 1", der in einer Botschaft in London lebt. Über alles, was Stone so kommunizierte, berichtete er einem "high ranking Trump official", womit offenbar Steve Bannon gemeint ist. Innerhalb des Trump-Trosses fragte man während des Wahlkampfes wiederholt nach, wann denn Wikileaks welches Material veröffentlicht, dass gegen Clinton und die demokratische Partei benutzt werden konnte. So wird die Collusion sichtbar, auch wenn das von Wikileaks gelieferte Material wie die DNC-Mails nicht der erhoffte ganz große Kracher waren.

*** Die erfolgreiche russische Cyberwar-Aktion wird nicht nur von Stones Verteidigenden, sondern auch von Wikileaks als Prahlerei bestritten. Dabei ist es die hohe Kunst des Cyberkrieges, den Cyberkrieg genau unter dem Schwellenwert zu halten, der andere zum Eingreifen oder gar Angreifen provozieren könnte. Wohl deshalb wird Roger Stone ausgerechnet von Wikileaks als politischer Berater sehr seriös bezeichnet. Womöglich wird sogar die Darstellung von Wikileaks, nach der ein vom "tiefen Staat" ermordeter DNC-Mitarbeiter die Quelle des Datenlecks war, noch einmal aufgearbeitet. Immerhin erübrigt sich jetzt die Klage gegen die USA, wie von dem außerordentlich seriösen Medienangebot "Russia Today" berichtet. Derweil lebt Julian Assange weiter in der Botschaft von Ecuador, ohne Heizung, ohne Bett und ohne Katze, wie der "Freitag" mit allem Herzschmerz berichtet.

*** Ach, Europa, hieß es vor einer Woche. Während es beim Brexit nicht wirklich weitergeht und die ersten Fahnen eingeholt werden vor dem Umzug nach Amsterdam, gab es Kommentare zum angeblich schädlichen Aachener Vertragswerk, das diese Woche unterzeichnet wurde. Gut, so mitreißend wie eine gegen die Faschisten geschmetterte Marseillaise war das nicht, eher ein Update des Elysée-Vertrages. Aber ein Schritt in die richtige Richtung. Wie heißt es im wirklich neuen Manifest europäischer Patrioten: "Wir lebten in der Illusion eines notwendigen Europas, das in der Natur der Dinge liege und sich ohne uns und unser Zutun gestaltet, einfach weil es im Sinne der Geschichte sei. Mit dieser Schicksalsgläubigkeit muss Schluss sein. Wir müssen Schluss machen mit dem trägen Europa ohne Kraft und ohne Gedanken. Wir haben nicht länger die Wahl. Wenn die Populismen knurren, müssen wir Europa wollen oder untergehen." Noch fehlen ein paar Sprachen, doch das tut der guten Sache keinen Abbruch. Der Techniker sei hiermit informiert.

Das kanadische Citizen Lab an der Munk School of Global Affairs hat in der Vergangenheit mehrere Überwachungskomponenten enttarnt, mit denen autoritäre Regimes versuchen, Kritiker*innen zu überwachen. So fand man Software auf den Smartphones von äthiopischen Oppositionellen und enttarnte die italienische Firma Hacking Team. Eine der neuesten Entdeckungen machten die Experten bei der Untersuchung von Smartphones von Amnesty International. Dort fand sich die Pegasus-Software der israelischen NSO Group, die nach einem Command & Control-Server suchte. In jüngster Zeit sind Code-Stücke der NSO Group im Umfeld des saudi-arabischen Regimekritikers und Journalisten Jamal Khashoggi aufgetaucht, der in der Türkei in der Botschaft von Saudi-Arabien ermordet wurde. Wie nun von Journalisten der Associated Press dokumentiert wurde, sind die Forscher von Citizen Lab offenbar ins Visier von Agenten geraten, die sich bei Citizen Lab mit Pegasus und Co. beschäftigen. Auf diese Art der Anmache durch mutmaßliche Agenten, deren Legende auf Firmen mit seltsamen Namen aufbaut, reagiert das Citizen Lab mit der ganz großen Kanone: Der Angriff auf diese Art der akademischen Forschung sei der Angriff auf akademische Freiheiten schlechthin, heißt es in einem Statement. Das mag man übertrieben finden, hält aber eine Lehre für die anstehende Zukunft parat. Alle Forschende, die sich mit Überwachungssystemen befassen, sollten sich mit diesem Angriffsvektor beschäftigen. Ein korrekt gegenderter Satz wie Jede:r kann Sicherheitslücken kaufen ist falsch und führt schwer in die Irre. Nein, nicht Jede:r.

Heute ist der "International Holocaust Remberance Day", recht spät als Holocaust-Gedenktag eingedeutscht. Nur zur Erinnerung: Als das Institut für deutsche Sprache vor nunmehr 40 Jahren das Wort "Holocaust" zum "Wort des jahres" machte, hagelte es wütende Proteste. Zum Jahreswort brachte es der Holocaust, weil die Fernsehserie Holocaust im Januar im westdeutschen Fernsehen lief. Die ach so gelobte "Erinnerungskultur" der Deutschen zeigte sich auf eine verrottete und boshafte Weise. In der DDR berief man sich auf all die edlen Antifaschisten und ihren Kampf gegen den Nationalsozialismus, in der BRD schnitt man die Filmszenen des Chomsky-Films um, die über den Warschauer Aufstand gedreht wurden. Aktiv kämpfen gegen die Vernichtung war unjüdisches Verhalten. Und der Neuanfang der Familie Weiss in Palästina wurde komplett weggeschnitten, aus Sorge, dass sich eine "gewisse Feindlichkeit" gegenüber Israel in "anderen Generationen" verbreiten könnte. "Die Erinnerung ist die höchste Form des Vergessens." (Eike Geisel)

(jk)