Stochern im Nebel

Die Datenlage zur Luftverschmutzung ist lausig. Bürger-Sensoren könnten das ändern.

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Wie kann das sein? „Trotz Diesel-Fahrverbot haben sich die NO2-Konzentrationen in Hamburg in der Max-Brauer-Allee im Jahr 2018 erhöht“, schreiben Ferdinand Dudenhöffer und Karsten Neuberger von der Uni Essen-Duisburg. „Es spricht einiges dafür, dass die Diesel-Fahrverbote deutlich weniger bewirken als immer behauptet.“

An der Stresemann-Allee hingegen, für die ebenfalls ein Fahrverbot gilt, hätten sich die Emissionen stärker als im bundesweiten Trend verringert.

Sind straßenbezogene Fahrverbote also so etwas wie Schrödingers Katze – gleichzeitig wirksam und unwirksam? Darüber lässt sich derzeit nur spekulieren, und genau darin besteht das Problem: in ganz Deutschland gibt es 526 offizielle Messstationen, also eine auf knapp 700 Quadratkilometern. Und nur 398 davon sind online einsehbar. „Sehr enttäuschend ist die schlechte Datenstruktur, die vom Umweltbundesamt und den Messverantwortlichen geliefert wird“, schreiben Dudenhöffer und Neuberger.

Kein Wunder, dass man bei so dürftiger Datenlage viel im Nebel herumstochert – und das bei einem doch ziemlich relevanten Thema. Dabei wäre Abhilfe gar nicht einmal so schwer. Natürlich kann man nicht an jeder Kreuzung eine offizielle containergroße Messstation aufbauen. Aber das wäre auch gar nicht nötig: Schon vor mehr als fünf Jahren entwickelten spanische Aktivisten ein kleines Sensorkästchen, das unter anderem Lärm, Stickoxid- und Kohlenmonoxid-Konzentration misst und automatisch ins Netz stellt. Auf der Webseite smartcitizen.me kann man die Werte einsehen. Leider waren es nie besonders viele Sensoren, und die meisten davon sind schon wieder offline. Das Ganze ist offenbar nie aus der Maker-Community herausgekommen.

Das Start-up Hawa Dawa (TR 35) probiert es erneut. Es hat vergleichsweise kompakte Sensorboxen für Stickoxide und Feinstaub entwickelt. Algorithmen gleichen die Rohdaten mit Informationen aus anderen Quellen ab und entzerren sie gegebenenfalls. Die Daten will Hawa Dawa im Abo-Modell an Städte und Unternehmen vertreiben.

Die Messwerte dürften wohl nicht gerichtsfest sein, könnten aber einiges Licht in die Frage bringen, welchen Faktoren die Verbreitung von Luftschadstoffen beeinflussen. Wird in solchen Kästchen noch ein Geräuschsensor eingebaut, ließe sich beispielsweise die Zahl der vorbeifahrenden Autos ermitteln – und zu den anderen Messwerten in Beziehung setzen.

Mit entsprechenden Anreizen würden sicherlich viele Bürger selbst die Installation und Pflege der Sensoren übernehmen. Ein solches dichtes, bürgerbetriebenes und quelloffenes Messnetz würde die Luft-Debatte tatsächlich versachlichen – stärker jedenfalls als die Meinungsäußerung einer Minderheit von Lungenärzten.

(grh)