Genug Leistung, zu wenig Energie

Was bedeutet der Kohleausstieg für die Stromversorgung? Hier ein paar Zahlenspiele.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 1 Kommentar lesen
Lesezeit: 4 Min.

Wir haben nun also so etwas wie einen Plan für einen Kohleausstieg: Die installierte Leistung von derzeit rund 21 Gigawatt (Braunkohle) beziehungsweise 24 Gigawatt (Steinkohle) soll bis 2030 auf je 8 GW sinken – und bis 2038 auf null. Was bedeutet das für die Stromversorgung?

Nimmt man an, dass Erneuerbare wie geplant ausgebaut werden und die anderen fossilen Energieträger stagnieren, werden 2030 nach meiner Rechnung gut 87 Terawattstunden weniger produziert als 2018. Dem stehen rund 50 TWh bisher exportierter Strom entgegen. (Die bisherige Abregelung von Windkraftanlagen in Höhe von rund 5,5 TWh schlägt hingegen kaum zu Buche.) Wird der Export beendet, bleibt also eine Lücke von knapp 40 TWh. Sie wird sich durch den zunehmenden Stromverbrauch von Elektroautos und Wärmepumpen vermutlich noch vergrößern.

Auch das selbstgesteckte Ziel von 65 Prozent Erneuerbarer bis 2030 wird die Koalition mit dem derzeitigen Ausbaupfad nicht erreichen. Ohne weitere Sonderausschreibungen werden meiner Berechnung zufolge rund 70 Terawattstunden fehlen. Die Details dazu erscheinen in unserer März-Ausgabe.

Diese Lücke muss durch forcierten Ausbau von Erneuerbaren oder durch Gaskraftwerke geschlossen werden – oder durch eine höhere Auslastung der Kohlekraftwerke. Steinkohle lieferte in den letzten Jahren nur etwa 40 Prozent des Stroms, den sie bei Volllast erzeugen könnten. Da aber beim Kohleausstieg – anders als bei der Kernkraft – nicht die verbleibende Strommenge begrenzt wurde, sondern nur die installierte Leistung, könnte die tatsächlich Minderung der Treibhausgase deutlich niedriger ausfallen, als es mit Blick auf die Leistung den Anschein hat.

Soweit die Betrachtung der Energiemenge. Allerdings ist diese etwas irreführend, weil Wind- und Sonnenkraft ja nicht immer bedarfsgerecht produzieren. Das führt zur Frage: Wird 2030 noch genug Leistung zur Verfügung stehen, um einzuspringen, wenn die Erneuerbaren schwächeln?

Einen Eindruck der benötigten Leistung vermitteln die Energy-Charts des Fraunhofer ISE. Am 30. November 2017 um 18 Uhr etwa lieferten Windkraft und Photovoltaik kaum noch Strom. Fossile und nukleare Kraftwerke mussten mit fast 70 Gigawatt aushelfen. Solche Momente sind zwar extrem selten, aber auch dafür muss genug Leistung bereitstehen. Sonst droht Stromausfall.

Laut dem jüngsten Monitoringbericht der Bundesnetzagentur waren 2017 Gaskraftwerke mit knapp 30 Gigawatt am Netz. Bleiben diese bis 2030 erhalten und rechnet man noch alle anderen nicht-volatilen Energieträger einschließlich Wasserkraft und Biomasse sowie 16 GW Kohle hinzu, kommt man ebenfalls auf rund 70 Gigawatt. Eine dramatische Lücke ist bei konstantem Stromverbrauch also nicht abzusehen. Steigenden Strombedarf durch ein klügeres Lastmanagement oder eine bessere Vernetzung mit europäischen Nachbarn zu kompensieren, sollte kein Hexenwerk sein – wenn man rechtzeitig die Weichen richtig stellt.

Bleibt die Frage nach dem richtigen Strommix. Hier hat Bruno Burger vom Fraunhofer ISE auf einen bemerkenswerten Zusammenhang hingewiesen: Selbst im Supersommer 2018 reichte die installierte Solarleistung nicht aus, um den fehlenden Wind zu kompensieren. Würden sie entsprechend ausgebaut, könnten Wind und Sonne das ganze Jahr über in Summe eine relativ konstante Leistung abgeben. Dazu müssten zwar vielerorts die Verteilnetze ertüchtigt werden, aber da Photovoltaik dezentral über die ganze Republik verteilt ist, bräuchte es dafür zumindest keine großen neuen Stromtrassen.

Ironischerweise hat die Bundesregierung 2012 ausgerechnet den Ausbau der Photovoltaik auf 52 Gigawatt gedeckelt. Derzeit sind es bereits knapp 46 Gigawatt, jährlich will die Bundesregierung 2,5 Gigawatt Zubau erreichen. Wenn das eintrifft, wäre also schon in gut zwei Jahren Schluss mit der Photovoltaik-Förderung.

Fassen wir zusammen:

  • Wenn alles so weiterläuft wie gehabt, werden 2030 knapp 40 TWh weniger produziert als heute. Dazu kommt voraussichtlich ein größerer Strombedarf. Diese Lücke kann vermutlich durch eine höhere Auslastung bestehender fossiler Kraftwerke geschlossen werden. Soll dies nicht passieren, müssen die Erneuerbaren deutlich stärker ausgebaut werden als bisher.
  • Bei konstantem Strombedarf reicht die Leistung voraussichtlich auch weiterhin aus, selbst wenn Strom und Sonne praktisch ausfallen.
  • Für den optimalen Strommix ist mehr Photovoltaik nötig.

(grh)