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Was war. Was wird. Von hybriden Ehrabschneidungen und anderen Wahrheiten.

Hinter Palme: Schießscharten, wohin man guckt. Ob das gegen hybride Bedrohungen hilft? Hal Faber zweifelt, der BND aber ist zuversichtlich.

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Was war. Was wird. Von hybriden Ehrabschneidungen und anderen Wahrheiten.

Die Bocca della Verità, zur  Verehrung des Hercules oder doch nur ein Abfluss in die Kloake? Ja, es ist schon schwierig mit der Wahrheit, wenn man nicht einfach alternative Fakten passend zubereitet.

(Bild: serato / shutterstock.com)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Eine Palme. Dahinter: Das weiß man nicht so genau. Das ist geheim.

*** Hach, wie süß ist das denn? Die Leinwände waren pink vor Zorn, doch davor die große Glitzer-Gala. Die zauberhafte Juliette Binoche, trug eine elegante Robe mit Goldstaub und einer schwarzen Schleife. Toni Garrn ein Kleid mit bodenlangen Ärmeln zum Drüberstolpern, bei dem man kein Stoff mehr für den Rücken hatte. Und Deutschlands größte Food-Influencerin Janina Uhse kam gar mit einem Slip Dress wie aus dem Bett gehüpft. Ja, die Berlinale ist halt ganz großes Schaulaufen der Labels, bei dem die Männer die zweite Geige spielen – wenn überhaupt. Man nehme nur Morgan Freeman, den Star-Bienenzüchter. Niemand bemerkte Morgan Freeman, niemand notierte seine Kleidung, entworfen vom Label Tar Tuffe.

*** Dennoch war Morgan Freeman in Berlin präsent. Bundeskanzlerin Merkel präsentierte ihn zum Jahrestag der Gründung des Ministeriums für Staatssicherheit als abschreckendes Beispiel für die hybride Kriegführung in diesem Cyber-Raum. Ihre Rede zur Eröffnung des gebauten Unfalls verdient es, in ihrer bestechenden Logik zitiert zu werden. "Meine Damen und Herren, eine der erfolgreichsten Falschmeldungen der letzten Jahre lautete: 'Legendärer Schauspieler Morgan Freeman gestorben.' Diese Falschmeldung ist nur ein Beispiel dafür, wie sehr sich das Internet für die schnelle Verbreitung von Informationen eignet und wie häufig Informationen, wie wir alle wissen, manipulativ, nur halb wahr oder sogar gezielt als staatliche Propagandamaßnahme eingesetzt werden. Deshalb müssen wir lernen, auch mit den sogenannten Fake News als Teil einer hybriden Kriegsführung umzugehen."

*** Halten wir inne und überlegen einmal, welche hybride Kriegsführung denn hinter "einer der erfolgreichsten Falschmeldungen" im Cyber-Cyber stehen könnte. Sehen wir der Realität ins Auge und zwar mit den Augen eines Agenten des Bundesnachrichtendienstes. Da ist Morgan Freeman, bekennender Obama-Fan und Vorleser von Trump-Tweets. Die gezielte Nachricht von seinem Tod, illustriert mit Bildern seines zerquetschten Nissans, hätte zu einem Freudenfest der Tea-Party-Anhänger führen können, die Freeman als rassistische Bewegung bezeichnet hatte. Wie gut, wie nützlich ist es da, dass unsere Agenten über diesen kleinen Erdtrabanten im All schnell herausfinden können bzw. konnten, dass Freeman noch lebt.

*** OK, nicht alle 4000 Agenten im dem hässlichen Gebäude arbeiten mit Merkels fliegenden Augen da im Weltraum, "in einem weitgehend rechtsfreien Raum, in den das Grundgesetz nicht hineinreicht, und somit keinen deutschen Beschränkungen unterliegt". Einige werden geduldig klassische Dokumente übersetzen und analysieren, andere werden sich hübsche Legenden ausdenken oder Spy vs. Spy spielen. Doch die hybride Kriegsführung veredelt all das, denn damit sind sie Wahrheitskämpfer, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung hinter der Paywall jubelt. "Dass dem BND plötzlich so viel Vertrauen entgegengebracht wird, dass ihn die Reise von Pullach nach Berlin in einen Wahrheitskämpfer verwandelt, wird dem einen oder anderen Agenten den Abschied vom Gestern erleichtern. Wenn auch schmunzelnd."

*** Ein neuer Typ des Wahrheitskämpfers ist diese Woche aufgetaucht: Ganz im Stil von Donald Trump meldete Jeff Bezos via Twitter eine Aktion ganz besonderer Art, nämlich seine bei Medium veröffentlichte Gegen-Attacke auf einen Angriff des National Enquirer. Der derzeit reichste Mann der Welt nutzte nicht das Umfeld der ihm gehörenden Washington Post, er ließ auch nicht den National Enquirer abschalten, der in einer Amazon Cloud gehostet wird. Pathetisch gesagt verteidigte Bezos die Pressefreiheit und geht das Risiko ein, dass seine Dick Pics der Weltöffentlichkeit präsentiert werden: Seine Journalisten bei der Washington Post müssen nicht die Leser belügen und ihnen verheimlichen, dass American Media Incoprorated als Besitzer des National Enquirer mit Erpressungen arbeitet. Liest man die Antwort, scheint Bezos diese Runde gewonnen zu haben. Weniger pathetisch ist Bezos ein guter Marketing-Man, der sicher Paul Sethes Bonmot kennt. "Pressefreiheit ist die Freiheit von zweihundert reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten."

*** Das Gegenstück zum tapferen Wahrheitskämpfer ist sicherlich der Lügner. Doch was ist mit dem Ehrabschneider, laut Duden "jemand, der durch seine unwahren Äußerungen einen anderen herabsetzt und in einen schlechten Ruf bringt", ein Wort, das seit 1977 zum veralteten Sprachgebrauch gehört? Mit seinem Spruch von der "Herrschaft des Unrechts" hat der heutige Bundesinnenminister Horst Seehofer die Ehre des damaligen Bundesinnenministers Thomas de Maizière abgeschnitten, findet dieser. Das Seehofer-Wort vom Unrecht signalisiere einen Rechtsbruch, den es aber nicht gegeben habe. Stattdessen sei die Entscheidung, die Grenzen offen zu lassen, gründlich durchdacht worden. Das sind starke Worte und sie sind geschickt platziert: Schließlich soll heute ein Werkstattgespräch die Politik von Merkel und de Maizière aufarbeiten, das will die neue Großinquisitorin Kramp-Karrenbauer. Das Tribunal kann beginnen.

Wer mit einer Rede von Bundeskanzlerin Merkel beginnt, sollte auch mit dem Ausblick auf eine Rede von Angela Merkel aufhören. Schließlich wird sie politische Keynote zum Thema "The Future of Made in Europe" liefern, wenn nach dem Ende der Berlinale der Digitising Europe Summit von Vodafone die Prominenz nach Berlin zieht. Auf dem roten Teppich defilieren diesmal die Männer. Nein, nicht die hybride Bedrohung Morgan Freeman, aber Tom Enders von Airbus, Alex Karp von Palantir Technologies und DGB-Chef Rainer Hoffmann sind doch auch was. Airbus ist die europäische Musterfirma, nach deren Vorbild bekanntlich ein Airbus der KI entstehen soll, doch Palantir? In Deutschland besser bekannt für Hessendata, die Software, mit der 75 Gramm Schwarzpulver und ihr Besitzer ausfindig gemacht wurde, womit ein großer Terroranschlag verhindert wurde.

Der oberste Gewerkschafter Rainer Hoffmann mag den einen oder anderen verwundern, aber ihn beschäftigt die Jahrhundertfrage Kann KI Mitbestimmung?. Sie ist allerdings eine Frage des letzten Jahrhunderts, so um 1986 herum. Immerhin, jetzt sind wir weiter, denn KI kann nun Moral vom Menschen lernen: Zeit totschlagen ist erlaubt, Menschen totschlagen nicht. So einfach ist das.

Während Vodafone mit seinem neuen Berliner Think Tank Europa im Visier hat, geht es dem Europäischen Polizeikongress um Migration – Integration – Sicherheit, natürlich in ganz Europa und besonders intensiv an den europäischen Außengrenzen. Auch der bereits erwähnte Innenminister Horst Seehofer soll seine Teilnahme signalisiert haben. Inmitten des vollen Programmes steht ganz unscheinbar ein Schmankerl: "Geheimhaltung versus Indiskretion". Was ist vertraulich, was darf veröffentlicht werden? Wieder einmal ist das "Digitale" eine ganz üble Sache, wenn es in der Ankündigung zu diesem Programmpunkt heißt: "Aber viel mehr trägt dazu noch die digitale Öffentlichkeit bei, die Medien ebenso wie Behörden vor eine Echtzeitsituation stellt, die eine Strafverfolgung wie auch das Abwägen der Berichterstattung kaum noch möglich macht. Des Weiteren ist der investigative Journalismus immer häufiger einem Duktus plakativer Enthüllungen folgend." Diskutierende Männer hier: Staatssekretär Stephan Mayer vom Bundesinnenministerium, Wilfried Karl von der staatlichen Trojaner-Schmiede ZITiS und der Journalist Georg Mascolo, seines Zeichens das Aushängeschild für den öffentlich-rechtlichen "Rechercheverbund des NDR, WDR und der Süddeutschen Zeitung".

Mein Name? Bond, James Bond. Und ein bisschen Spielzeug hab ich auch mit.

Die eigentlichen Kämpfer gegen die Geheimhaltung, etwa die Open Knowledge Foundation mit dem dieser Tage gestarteten offenen Handelsregister oder auch die Dokumentenausschneider von Netzpolitik.org kommen nicht zu Worte. Wie jedes Jahr, seit nunmehr 20 Jahren, so auch dieses Jahr, wird gegen den Kongress demonstriert. (jk)