Bundesregierung: IT-gestützte Krisenfrüherkennung ist wissenschaftlich belastbar

Das Außenministerium und die Bundeswehr setzen auf Maschinenlernen, um Konflikte vorauszusagen. Berlin verteidigt die millionenschweren Projekte gegen Kritik.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 41 Kommentare lesen
Künstliche Intelligenz: Überall in Europa entscheiden schon Algorithmen

(Bild: whiteMocca/Shutterstock.com)

Lesezeit: 3 Min.
Inhaltsverzeichnis

Die Bundesregierung hat Details zu ihren Plänen genannt, mithilfe lernfähiger Software große Datenbestände zu durchforsten, um sich anbahnende Konfliktherde vorherzusagen. Gegenwärtig entwickeln und nutzen das Auswärtige Amt und das Bundesverteidigungsministerium Verfahren, "die aus verschiedenen softwarebasierten Instrumenten zur Unterstützung des betreffenden Fachpersonals bei der Aufgabenwahrnehmung Krisenfrüherkennung gewonnen werden".

Bei der Bundeswehr läuft bis Mitte 2019 noch ein Projekt mit der IBM-Wissensdatenbank Watson, an die mehrere "Ereignisdatenbanken" zu bewaffneten Konflikten, terroristischen Anschlägen sowie Medienberichten angebunden sind. Dazu gehören etwa die Systeme "Armed Conflict Location & Event Data" (ACLED), die "Global Database of Events, Language, and Tone" (GDELT) sowie die "Global Terrorism Database" (GTD). Wird das lernende System offiziell im Rahmen des noch laufenden Prüfverfahrens anerkannt, sollen zusätzlich bald Daten des "Militärischen Nachrichtenwesens der Bundeswehr" verarbeitet werden.

Kritiker monieren, dass die für die laufende Studie aufgewendeten 15,1 Millionen Euro schlecht eingesetzt seien und die Bundesregierung auch aus Teeblättern lesen könnte. In einer heise online vorliegenden Antwort auf eine Anfrage der linken Bundestagsfraktion hält das Verteidigungsministerium dagegen, dass die einbezogenen Datenbanken "das Ergebnis wissenschaftlicher Forschungen und öffentlich verfügbar" seien. Nach derzeitiger Bewertung seien die Eingaben so "grundsätzlich zuverlässig" und eigneten sich "für die weitere zielgerichtete Nutzung im Rahmen der Aufgabenwahrnehmung Krisenfrüherkennung". Diese sei "Teil des verfassungsrechtlichen Auftrages der Streitkräfte".

Die Bundesregierung räumt aber auch ein, dass eine andere, vom Fraunhofer-Institut für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie (FKIE) durchgeführte Untersuchung ergeben habe, dass zumindest eine automatisierte Erkennung von "Fake News" mit den derzeitigen wissenschaftlichen Ansätzen "nicht zuverlässig möglich ist". Über Schlussfolgerungen aus einer weiteren Studie der Bundeswehr-Universität in München zur "Automatisierten Beobachtung von Internetinhalten" schweigt sie sich aus, da diese als geheim eingestuft seien. Aus einer weiteren Untersuchung der Beraterfirma IABG zur "Bearbeitung der Lage im Informationsumfeld" hat das Verteidigungsministerium nach eigenen Angaben Anregungen für das kollaborative Arbeiten gezogen.

Das Außenministerium experimentiert derweil offenbar mit einer mehr oder weniger selbst zusammengebauten Lösung. Dort kämen die Datenbanksysteme Sybase und SAP Hana, das Datenverwaltungssystem "Data Services" und die Softwarepakete BI Platform, Lumira, Design Studio sowie die Predictive Analytics Suite zum Einsatz, schreibt die Regierung. Zudem gebe es erste Überlegungen, um "deutsche Außenpolitik betreffende Desinformationen und Kampagnendynamiken" in sozialen Medien zu erkennen. Diese könnten künftig auch die "datenschutzkonforme computergestützte Auswertung" von Netzwerken wie Facebook oder Twitter umfassen.

Der linke Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko hält die Idee, politische Ereignisse künftig mithilfe einer Software früh erkennen zu wollen, für "haarsträubend". Die Datenbanken, über deren Schnittstellen die digitalen Glaskugeln gefüttert werden, seien nämlich "genauso wenig neutral wie die Medienberichte, deren Inhalte darin verarbeitet werden". Das lasse sich derzeit am Beispiel Venezuela gut beobachten: Europäische Medien berichten zum Beispiel kaum über die Hundertausende, die für die Regierung von Nicolas Maduro demonstrieren, sondern nur über die Gegner.

"Wenn sich die Bundeswehr und das Auswärtige Amt mit ihrer Software zur Früherkennung auf solche Quellen stützen, führt das zwangsläufig zu einem politischen Blindflug", warnt der Volksvertreter. Problematisch sei auch, "dass der Quellcode der Vorhersagesoftware unbekannt ist". Wenn sich die Bundeswehr bei der Interpretation der Nachrichtenlage auf eine Anwendung verlässt, deren Funktionsweise sie gar nicht einschätzen könne, "sind Fehlentscheidungen vorprogrammiert". Hunko fordert: "Die Ministerien müssen die geplante Beschaffung deshalb stoppen." (vbr)