Post aus Japan: Die nukleare Spürzunge

Die Retter im AKW Fukushima 1 tasten sich erstmals bis zum geschmolzenen Reaktorkern vor. Mit den Ergebnissen ihres Versuchs wollen sie Verfahren für die Atommüllbergung entwickeln.

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Post aus Japan: Die nukleare Spürzunge

(Bild: Tepco)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Martin Kölling
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Acht Jahre nach der Atomkatastrophe in Fukushima hat es am Mittwoch eine Premiere gegeben: Der Betreiber der Atomruinen Tepco hat erstmals den geschmolzenen Kernbrennstoff berührt. Dies ist ein wichtiger Schritt zum Abbau der vier zerstörten Reaktoren. Bereits 2021 wollen die GAU-Sanierer mit der Bergung der Überreste der Kernbrennstäbe aus den Reaktoren beginnen.

Post aus Japan

Japan probiert mit Elektronik seit jeher alles Mögliche aus - und oft auch das Unmögliche. Jeden Donnerstag berichtet unser Autor Martin Kölling an dieser Stelle über die neuesten Trends aus Japan und den Nachbarstaaten.

Der neue Test fand am Mittwoch im Reaktor 2 zwei statt. Ein Roboter vom Technikkonzern Toshiba wurde in das zerstörte Reaktordruckgefäß gelassen. Dort hat es nun geschafft, was seinen Vorgängern bisher verwehrt blieb: Er lokalisierte Reste der Kernschmelze, berührte sie und hob sie an, um ihre Eigenschaften überprüfen.

So will Tepco herausfinden, ob und wie sich der geschmolzene Kernbrennstoff bergen lässt. Der Roboter wurde daher für seine Aufgabe mit einer neuen Technik ausgestattet: Über ein Dosimeter, LED-Lichter und Kameras hinaus kann das Gerät mit kleinen "Zungen" oder Klauen am Brennstoff "lecken", um dessen Beschaffenheit zu untersuchen. Der Mechanismus soll bis zu zwei Kilogramm schwere Stücke heben können. Die werden dann im LED-Licht fotografiert, um zu sehen, wie hart und spröde sie sind.

Die neue technische Errungenschaft ist Teil einer Roboterevolution, deren Mutation durch extrem hohe Strahlung getrieben wird. Die Auslese der Ideen begann dabei mit dem Versprechen der japanischen Regierung und Tepcos, das havarierte Atomkraftwerk Fukushima 1 den Atommüll komplett zu bergen und das Atomkraftwerk komplett abzutragen. Kurz nach der Strahlung wurde daher mit der Entwicklung von Bergungstechnologien begonnen.

2017 schickte Tepco dann einen kleinen Roboter auf Mission, den Toshiba und das Internationale Forschungsinsitute für nukleare Dekommissionierung entwickelten hatten. Der fand immerhin heraus, dass Teile der Plattformgitter im Druckbehälter abgestürzt waren.

Danach entwickelten die beiden Partner einen ausfahrbaren Teleskoparm, an dessen Spitze Messgeräte und eine Kamera angebracht waren. Im Januar 2018 konnten damit Ablagerungen am Boden des Reaktordruckbehälters nachgewiesen werden. Die jetzigen Ergänzungen sind eine Vorstufe für die kommenden Bergungsgeräte.

Ob der Abbau des strahlenden Mülls gelingen wird, ist offen. Aber die Fortschritte in Fukushima machen den Japanern Mut. In den Atomruinen können Besucher inzwischen ohne Schutzkleidung herumlaufen und sich sogar einigen Reaktoren nähern. Damit entwickelt sich der Super-GAU unbeabsichtigt immer mehr zu einer makraben Werbeplattform für nukleare Bergungsverfahren Made in Japan.

Wenn irgendwo auf der Welt noch einmal ein Atomkraftwerk havariert, kann Japan nicht nur Knowhow zum Krisenmanagement um den GAU herum liefern, sondern auch für den Reaktor liefern – und die passenden Maschinen zum Aufräumen gleich noch obendrein.

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