EU-Parlament vs. "terroristische Inhalte": Prinzip Notice-and-Take-Down wackelt

Das EU-Parlament plant eine Neuregelegung gegen "Verbreitung terroristischer Inhalte im Internet". Das bisherige Notice-and-Take-Down-Prinzip würde fallen.

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Europäisches Parlament

Das Europäische Parlament in Straßburg.

(Bild: dpa, Patrick Seeger)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Christiane Schulzki-Haddouti
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Im europäischen Parlament wird derzeit eine neue Regelung diskutiert, die von den Internet-Plattformen verlangt, terroristische Inhalte "proaktiv" an der Verbreitung zu hindern. Falls sie doch veröffentlicht werden, sollen die Diensteanbieter innerhalb von 60 Minuten reagieren. Dabei bezieht sich die Verordnung auf die "Verbreitung terroristischer Inhalte im Internet".

Der Einsatz von Filtertechnologien wird nicht vorgeschrieben, doch mit diesen Vorgaben ist er für große Anbieter nahezu zwingend. Denn die Identifizierung der Inhalte müsste bei einem proaktiven Vorgehen nahezu zeitgleich mit dem Upload stattfinden. Laut Entwurfstext sollen die Anforderungen zwar "keine generelle Verpflichtung zur Überwachung implizieren". Dies ist wohl dem Umstand geschuldet, dass die Vorratsdatenspeicherung vor dem Europäischen Gerichtshof wegen einer "generellen Verpflichtung zur Überwachung" gescheitert ist.

Dagegen deutet der Entwurf an, dass mit selbstlernender Software auch bislang unbekannte "terroristische Inhalte" erfasst werden könnten. Die Verordnung stellt außerdem nicht klar, ob und wann ein Inhalteanbieter verwaltungsgerichtlich gegen eine Meldung einer Behörde vorgehen kann und wie und wann eine gerichtliche Überprüfung stattfinden kann.

Am 11. März findet eine Entscheidung im Kulturausschuss des Parlaments (CULT) statt, zehn Tage später soll im Innenausschuss (LIBE) abgestimmt werden. Damit soll das Parlament noch vor den Europawahlen im Mai über die Verordnung entscheiden können. Derzeit ist der Ausgang offen, da sich innerhalb der Fraktionen keine klaren Positionen gebildet haben.

Ein Kritikpunkt an der geplanten Regelung besteht darin, dass private Betreiber damit entscheiden müssten, was als "terroristisch" einzustufen ist und was nicht. Das ist in der Europäischen Union nicht ganz einfach, da etwa separatistische Bestrebungen in Spanien oder Flüchtlingsströme in Ungarn in diesen Staaten tendenziell schärfer beurteilt werden als in anderen Mitgliedstaaten. Die von Menschenrechtsorganisationen kritisierte Terrorismusbekämpfungs-Richtlinie (RL 2017/541) könnte auch auf Formen zivilen Ungehorsams wie Blockadeaktionen bezogen werden.

Die Richtlinie bezieht sich nämlich auch auf "Methoden für das Begehen terroristischer Straftaten", womit auch journalistische Aktivitäten oder solche von Menschenrechtsorganisationen betroffen sein könnten, die sich mit dem Thema Terrorismus befassen. Auf eine möglicherweise zu weite Definition wiesen bereits der UN-Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit, der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Privatheit und die UN-Sonderberichterstatterin für den Grundrechtsschutz im Anti-Terror-Kampf hin.

In einem offenen Brief warnen auch sieben zivilgesellschaftliche Organisationen die Mitglieder des LIBE-Ausschusses vor der neuen Regelung. Dazu gehört neben dem Verein 'Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung' (FIfF) und dem Chaos Computer Club auch die Gesellschaft für Informatik und Digitalcourage. Sie halten die damit verbundenen "Zensurmaßnahmen für höchst zweifelhaft" und warnen davor, die Rechtsdurchsetzung an Dritte zu übertragen. Denn damit seien Meinungsfreiheit und Informationsfreiheit "ernsthaft" bedroht. Die Verordnung beträfe nicht nur große Plattformen wie Facebook und YouTube, kritisieren die Organisationen, sondern auch Blogs und Nachrichtenportale mit Kommentarfunktion, Foren, Videostreamingdienste, File-Sharing- und der Öffentlichkeit nicht zugängliche Cloud-Dienste.

Mit dem Verordnungsentwurf wackelt das Notice-and-Take-Down-Prinzip nach fast zwanzig Jahren. Die im Jahr 2000 beschlossene E-Commerce-Richtlinie verlangt von den Providern keine allgemeine Überwachungspflicht, wenn sie nur als Vermittler für User agieren. Mit dieser Regelung sollte eine allgemeine Zensur durch Private verhindert werden. Doch weil große Plattformen wie Facebook, YouTube und Twitter auf Hinweise oftmals zögerlich reagieren, steigt die Unzufriedenheit mit dem bisherigen Löschverfahren.

Das Notice-and-Take-Down-Verfahren wird derzeit auch vom Europäischen Gerichtshof in Luxemburg bewertet. Er verhandelt unter anderem den Fall eines gefälschten Facebook-Accounts, dessen beleidigenden Post Facebook nur zögerlich löschte. Ein Nutzer hatte Eva Glawischnig, ehemals Grünen-Vorsitzende in Österreich, beispielsweise als "Volksverräterin" bezeichnet. Der österreichische Oberste Gerichtshof legte folgende Fragen zur Entscheidung vor: Darf Facebook einen Post nur in Österreich oder weltweit sperren? Muss das Unternehmen Vorsorge treffen, um "sinngleiche" Behauptungen künftig zu unterbinden? Muss es also wort- oder sinngleiche Inhalte suchen und löschen?

Kommt das Gericht zu dem Schluss, dass das Unternehmen proaktiv handeln muss, könnte das, was jetzt im Europäischen Parlament nur für terroristische Inhalte überlegt wird, künftig für alle Inhalte gelten. Vermutlich wird es Kriterien für wirksamere Sperren entwickeln. Mit einem Urteil ist im Sommer zu rechnen. (tiw)