Leutheusser-Schnarrenberger: Schonungslose Analyse der Gefahren für die Freiheit

Justizministerin Katarina Barley lobt das neue Buch "Angst essen Freiheit auf" ihrer Vorvorgängerin, doch beim NetzDG sind beide nicht ganz auf einer Linie.

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Leutheusser-Schnarrenberger: Schonungslose Analyse der Gefahren für die Freiheit

(Bild: Stefan Krempl)

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"Die Freiheit ist bedroht", weiß Bundesjustizministerin Katarina Barley. Das sei kein Ausnahmefall, sondern "der Normalzustand", der mit diesem Grundwert selbst einhergehe. Mit diesem Verständnis hat die SPD-Politikerin am Dienstag in Berlin in einem Gespräch mit Sabine Leutheusser-Schnarrenberger deren neues Buch "Angst essen Freiheit auf" als "schonungslose Analyse der Gefahren für die Freiheit" gewürdigt. Es handle sich um ein starkes "Plädoyer für die Freiheitsrechte, das sich auch juristisch nicht vorgebildeten Menschen erschließt".

"Die freie und offene Gesellschaft hat einen Preis, der schmerzhaft sein kann", hat Barley gelernt. Es sei auch nicht populär, "die Stimme der Freiheit" jederzeit für alle hochzuhalten. Umso mehr freue sie sich, dass es sich bei dem Werk ihrer Vorvorgängerin nicht um ein "Empörungsbuch" handle und diese nicht "alles bloß auf die Sicherheitspolitiker" abschiebe. Die Botschaft sei deutlich: "Alle Bürger tragen Verantwortung, stimmen in der Demokratie mit." Es gehe um einen "Auftrag für uns alle", die Freiheit zu verteidigen.

Als gemeinsames Steckenpferd machte die Sozialdemokratin den "Datenschutz als Grundlage für die Freiheit" aus. Die Bedrohung gehe hier "auch sehr stark von Konzernen oder Nutzern aus, die leichtfertig mit ihren persönlichen Daten umgehen". Einschränkungen der Freiheit seien im digitalen Zeitalter subtiler möglich. Barley betonte: "Wir ahnen nicht mal, wie transparent wir sind." Es sei im Internet viel weniger durchschaubar, "wie wir in Datenabsaugmechanismen hineinkommen".

Sie selbst nutze WhatsApp nicht, "weil es so eine Datenkrake ist", erklärte die amtierende Ministerin und warb für ihren Vorschlag, die Schnittstellen von Messenger-Diensten und sozialen Medien im Sinne von Interoperabilität zu öffnen. Ganz ohne Handy hielten es aber die wenigsten aus, sodass auch die Rolle des Staates größer geworden sei. Sie kämpfe daher an allen Ecken und Enden für die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), da diese die Plattformen in die Pflicht nehme und die Politik mit den darin verankerten hohen Sanktionsmöglichkeiten "ihre Waffe" zeige.

Der größte Dauerbrenner sei aber der Konflikt zwischen Freiheit und Sicherheit, räumte Barley ein. In diesem Spannungsfeld "können wir die Angst nicht wegdiskutieren", auch wenn die "statistische Chance, dass man selbst Opfer einer Straftat ist", recht gering sei. Sie selbst sei genauso wenig wie Leutheusser-Schnarrenberger gewillt, durch immer schärfere Gesetze dem Drängen hin zu vermeintlicher 100-prozentiger Sicherheit nachzugeben. Aber wenn heutzutage WhatsApp nicht abgehört werden könnte, "wären wir sicher nicht auf der Höhe der Zeit".

Im "Grundverständnis" sei sie auch bei der Vorratsdatenspeicherung "sehr nah" bei der FDP-Politikerin, ließ Barley durchblicken. Die Liberale hatte dieses Instrument immer wieder abgelehnt und für "Quick Freeze" als Alternative geworben. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) sei hier sehr klar gewesen, dass das anlasslose Protokollieren von Nutzerspuren nicht gehe, konstatierte die Ministerin. Sie könne aber auch verstehen, dass sich von Stalking oder Angriffen auf ihre Familien betroffene Aktivisten ausgeliefert und hilflos fühlten, "wenn man auf Daten nicht zugreifen kann". Das Thema sei auf jeden Fall nicht erledigt: "Wenn Sie wüssten, was alles an Forderungen bei mir auf dem Tisch liegt."

Auch das Unbehagen der Autorin über das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG), mit dem Privaten aufgegeben werde, rote Linien durchzusetzen, teilt Barley nach eigenen Angaben. Die Zahlen der Portalbetreiber zeigten aber, "dass Overblocking nicht passiert" und sich die großen Befürchtungen nicht bewahrheitet hätten.