Nach Abstürzen: Auch Kanada verbietet Flüge mit Boeing 737 Max

Den Kanadiern liegen neue Erkenntnisse vor, sodass sie sich nun doch für ein Flugverbot entschieden haben. Der Druck auf Boeing und die USA steigt.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 56 Kommentare lesen
Nach Abstürzen: Auch Kanada verbietet Flüge mit Boeing 737 Max

Die Boeing 737 Max muss auch in Kanada auf dem Boden bleiben.

(Bild: Boeing)

Lesezeit: 6 Min.
Inhaltsverzeichnis

Nach der EU und zahlreichen anderen Ländern hat nun auch Kanada ein Flugverbot für Flugzeuge des Typs Boeing 737 Max ausgesprochen. "Es ist bedauerlich, aber Sicherheit muss ganz oben auf der Tagesordnung stehen", sagte der kanadische Transportminister Marc Garneau am Mittwoch in Ottawa und begründete die Entscheidung mit der Kenntnis neuer Daten. In dem nordamerikanischen Land sind 41 Maschinen von Air Canada, Westjet und Sunwing betroffen.

Zunächst hatte Kanada keinen Anlass gesehen, ein Flugverbot auszusprechen. Doch den kanadischen Behörden liegen nach Angaben des Ministers inzwischen Daten vor, die auf gewisse Parallelen zwischen dem Absturz der Ethiopian-Air-Maschine am vergangenen Sonntag und dem Absturz eines Flugzeugs der indonesischen Lion Air im Oktober 2018 hinweisen. Diese Ähnlichkeiten hätten eine bestimmte Schwelle überschritten, sodass sich die Regierung zu dieser Vorsichtsmaßnahme gezwungen sah.

Was genau für Daten den Kanadiern vorliegen, sagte der Minister nicht. Es handele sich um Satellitendaten, die den Behörden seit Mittwoch vorlägen. Ob das die von modernen Verkehrsflugzeugen regelmäßig ausgestrahlten Positionsdaten sind (ADS-B) oder es sich um Telemetriedaten handelt, die entsprechend ausgerüstete Flugzeuge an den Betreiber oder Hersteller senden können, ist derzeit nicht klar.

Die Maschine der Ethiopian Airlines war am Sonntag kurz nach dem Start in Addis Abeba abgestürzt. Schnell wurde über mögliche Parallelen zum Unglück in Indonesien vor fünf Monaten spekuliert, auch die Boeing 737 Max der Lion Air war kurz nach dem Start ins Meer gestürzt. Bei diesem Unglück spielte den bisherigen Ermittlungen zufolge ein von Boeing entwickeltes System zur Stabilisierung der Fluglage eine Rolle.

Wegen dieses Maneuvering Characteristics Augmentation System (MCAS) gerät Hersteller Boeing zunehmend unter Druck. Zwar hält die US-Luftfahrtbehörde FAA die Betriebserlaubnis der Boeing 737 Max noch aufrecht, doch wachsen auch in den USA die Zweifel. US-Medien berichten am Mittwoch über Piloten von US-Airlines, die den Behörden schon nach dem Absturz der Lion Air Probleme gemeldet hatten, die möglicherweise mit MCAS zusammenhängen.

Demnach berichten zwei US-Piloten, dass kurz nach dem Start beim Einschalten des Autopiloten die Boeing 737 Max plötzlich heftig gegengesteuert habe. "Ich hatte keine Erklärung, warum das Flugzeug die Nase so aggressiv nach unten drückte", wird ein anonymer Flugkapitän zitiert. Beide betroffenen Crews haben die Kontrolle über das Flugzeug wiedererlangt, indem sie den Autopilot wieder abschalteten. Ein weiterer Pilot kritisiert, dass er für den Einsatz auf der 737 Max nicht besser geschult wurde und vom Hersteller nicht ausreichend über MCAS informiert worden sei.

Bei beiden Unglücken der Boeing 737 Max hatten die Piloten kurz vor dem Absturz über Probleme berichtet, die Maschine zu kontrollieren. Bisher ist noch nicht klar, ob ein Zusammenhang zwischen den beiden Unglücken besteht. Dennoch hatten sich die Aufsichtsbehörden in zahlreichen Ländern zu der Vorsichtsmaßnahme entschlossen, den Luftraum für Flugzeuge dieses Typs zu schließen.

Weitere Aufklärung versprechen sich die Behörden von der Auswertung des Flugdatenschreibers und der Tonaufnahmen aus dem Cockpit. Beide Geräte konnten aus den Trümmern geborgen werden. Die äthiopischen Behörden wollen die Auswertung der Daten in einem europäischen Land vornehmen lassen, was als Misstrauen gegen die USA gewertet wird. Normalerweise werden die Flugdatenschreiber im Land des Herstellers ausgewertet.

Unterdessen wächst auch in den USA die Skepsis und rufe nach einem Flugverbot werden laut. Die Gewerkschaft der Flugbegleiter des größten US-Carriers American Airlines hat die Unternehmensführung aufgefordert, die 24 Maschinen des Typs 737 Max am Boden zu lassen. Auch die Flugbegleiter von United Airlines, das 14 Maschinen des Typs im Einsatz hat, haben sich besorgt gezeigt. Bisher hält die FAA aber an der Betriebsgenehmigung für das Modell fest.

Die EU und viele andere Länder hatten bereits am Dienstag ein Flugverbot für die 737 Max ausgesprochen. Rund 240 der seit 2017 rund 370 ausgelieferten Maschinen stehen inzwischen am Boden. An den deutschen Flughäfen gab es am Mittwoch für die Passagiere nur geringe Einschränkungen. In Frankfurt waren von dem am Dienstag verhängten europaweiten Flugverbot lediglich zwei Flüge betroffen, in anderen Städten gab es gar keine Auswirkungen.

Ein paar Flüge – wie hier der Tuifly 3052 von Hurghada nach Brüssel – mussten wegen des plötzlichen Flugverbots umgeleitet werden.

(Bild: Flightradar24/Screenshot)

Der Tui-Konzern will den Ausfall seiner Max-8-Flotte vor dem Osterreiseverkehr mit Charter-Flugzeugen ausgleichen. Am Dienstagabend mussten zwar einige Maschinen des Reisekonzerns ihre geplanten Flüge abbrechen, um rechtzeitig vor dem Flugverbot auf dem Boden zu sein, doch Flüge der deutschen Tuifly waren nicht betroffen. Zur Frage möglicher Kompensationszahlungen für den Ausfall wollte sich das Unternehmen nicht äußern.

Die hoch verschuldete norwegische Fluggesellschaft Norwegian pocht hingegen bereits auf Schadenersatz. Es sei offensichtlich, dass die Kosten, die durch das vorübergehende Startverbot für brandneue Flugzeuge entstünden, von denjenigen getragen werden müssten, die diese Maschinen hergestellt hätten, sagte ein Unternehmenssprecher der dpa. Norwegian hat 18 Maschinen des Typs in der Flotte und versucht, die Ausfälle mit anderen Flugzeugen und Umbuchungen aufzufangen.

Für Boeing könnte das jüngste Unglück weitaus mehr als nur eine Imagekrise bedeuten. Die 737-Max-Serie ist der gefragteste Flugzeugtyp des Airbus-Rivalen. Der zweite Absturz einer neuen Boeing Maschine binnen weniger Monate hatte wachsende Zweifel am Markt ausgelöst. Bei andauernden Problemen mit dem Kassenschlager könnten somit auch massive Umrüstungskosten und Geschäftseinbußen drohen. Der Aktienkurs des Unternehmens sackte in den Tagen nach dem Unglück deutlich ab.

Boeing beharrt auf der Verlässlichkeit der in die Kritik geratenen Baureihe. "Wir haben volles Vertrauen in die Sicherheit", teilte der Konzern mit. Ein Softwareupdate für die Maschine soll bis April für alle Kunden zur Verfügung gestellt werden. (vbr)