Studie: Luftverschmutzung führt zu 5,5 Millionen frühzeitigen Todesfällen

Weltweit könnten pro Jahr 5,5 Millionen Menschen länger leben, wenn keine fossilen Brennstoffe mehr genutzt und die sonstigen Emissionen gestoppt würden.

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Luftverschmutzung, Ruhrgebiet

(Bild: Foto-RaBe, gemeinfrei (Creative Commons CC0))

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Das Sterblichkeitsrisiko durch verschmutzte Luft ist einer Studie zufolge vor allem aufgrund von Feinstaub in verschiedensten Ausformungen hoch: In ihrer Untersuchung schätzen Jos Lelieveld vom Max-Planck-Instituts für Chemie in Mainz (MPI) und seine Co-Autoren, dass weltweit pro Jahr rund 5,5 Millionen Menschen aufgrund von Luftverschmutzung vorzeitig sterben. Das ließe sich verhindern, wenn die Menschheit komplett auf fossile Brennstoffe wie Öl, Gas oder Kohle verzichte, nur noch auf erneuerbare Energien setze und auch die sonstigen menschlich verursachten Emissionen – etwa in der Landwirtschaft – vermeide.

Die Wissenschaftler haben laut ihrer am Montag im Fachmagazin "PNAS" der Nationalen Academy of Sciences der USA veröffentlichten Studie herausgefunden, dass allein die Verbrennung von fossilen Brennstoffen durch die dadurch entstehenden Luftschadstoffe für 65 Prozent der vorzeitigen Todesfälle verantwortlich ist. In Deutschland könnten ihnen zufolge durch konsequente Emissionsreduktionen jedes Jahr in 115.000 Fällen ein Tod vor der eigentlich erreichbaren Lebenserwartung vermieden werden.

Zudem ordnet die Gruppe um Lelieveld 70 Prozent des Kühlungseffektes auf das Klima durch Aerosole der Nutzung fossiler Energiequellen zu. Bei Vermeidung menschlich bedingter Emissionen würde diese "Klimaanlage" ausfallen, was aber "nur" zu einem durchschnittlichen globalen Temperaturanstieg von 0,36 Grad Celsius führen würde. Ausgleichend wirke sich aus, dass parallel auch die Emissionen von Treibhausgasen massiv zurückgingen. Somit sehen die Autoren die Chance, dass bei einem Ausstieg aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe bis zur Mitte des Jahrhunderts zumindest das international ersatzweise vereinbarte Ziel einer Klimaerwärmung von zwei Grad erreicht werden könnte.

Lelieveld und Kollegen hatten erst vor Kurzem für Schlagzeilen gesorgt mit ihrer Ansage, dass weltweit pro Jahr 8,8 Millionen Menschen an den Folgen von Luftverschmutzung sterben. Bisher hatte man mit 4,5 Millionen gerechnet. Der MPI-Wissenschaftler hatte dieses Ergebnis mit einem seit Oktober verfügbaren deutlich besseren Forschungsstand begründet.

Für Westeuropa hat Deutschland ihm zufolge "einen ziemlich schlechten Wert". Die Republik sei dicht besiedelt, habe relativ viel Verkehr und Industrie. Selbst kleinere Heizanlagen stießen viel Feinstaub aus. Der wichtigste Faktor sei aber die Nutzung von fossiler Energie, der zweitwichtigste die Landwirtschaft vor allem mit ihrer Gülleproduktion. Die EU-Grenzwerte für Feinstaub bezeichnete Lelieveld als "viel zu hoch". Generell hätten die Forscher die regionale Belastung der Luft ermittelt und sie verknüpft mit epidemiologischen Daten etwa zu Krankheiten, Bevölkerungsdichte oder Todesursachen.

Die Ergebnisse sind nicht ganz unumstritten. Für Gunnar Luderer, Leiter der Arbeitsgruppe Energiesysteme am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, stellt die neue Studie "ein idealisiertes, aber hochgradig relevantes Gedankenexperiment an: Wie stark würden die Gesundheitsschäden zurückgehen, wenn die Luftverschmutzung durch fossile Brennstoffe beseitigt würden?" Die Autoren haben ihm zufolge "eine sehr detaillierte Computersimulation" verwendet, um zu verstehen, "wie sich die ausgestoßenen Schadstoffe in der Atmosphäre ausbreiten und chemisch reagieren". So könnten sie abschätzen, wie stark dadurch – statistisch gesehen – bestimmte Krankheitsbilder verstärkt und Todesfälle erhöht werden.

"Die Hochrechnungen verwenden die besten derzeit verfügbaren Informationen", weiß auch Nino Künzli, Präsident der Eidgenössischen Kommission für Lufthygiene des Bundesrates der Schweiz. "Die Spannweite der Unsicherheit, die diesen komplexen Modellen zu Grunde liegen, werden in der Arbeit klar kommuniziert und sind nachvollziehbar." Die Folgen der Feinstaubbelastungen seien in bisherigen Studien eher unterschätzt worden. Der Gesamtnutzen einer "rigorosen Luftreinhaltepolitik" trete damit umso mehr vor Augen.

Alfred Wiedensohler, Leiter der Abteilung für experimentelle Aerosol- und Wolken-Mikrophysik beim Leipziger Leibniz-Institut für Troposphärenforschung, gibt dagegen zu bedenken, dass die ermittelten Zahlen der vorzeitigen Todesfälle "weit daneben liegen" könnten. Ihm zufolge wäre es weitaus sinnvoller gewesen, "die Maßeinheit der verlorenen Lebensjahre zu benutzen". Diese bezieht laut dem Science Media Center (SMC) zwar auch den Zeitpunkt des Todes ein, betrachte aber "weiterhin rein die Mortalität einer Population". Maße etwa für die Krankheitslast blieben auch hier außen vor.

Geht es nach einer Untersuchung der gesundheitlichen Folgen von Luftverschmutzung des International Council on Clean Transportation (ICCT), waren 2015 hierzulande etwa 13.000 frühzeitige Todesfälle allein auf Feinstaub und Ozon aus dem Verkehrsbereich zurückzuführen. (olb)