Kommentar: Apple TV+ ist viel heiße Luft

Apple hat am Montag in Cupertino eine bemerkenswerte Veranstaltung abgehalten: Es wurde ein Streamingdienst gezeigt, ohne einen Streamingdienst zu zeigen.

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Analyse: Apple TV+ ist viel heiße Luft

Ziemlich wolkig: Apple TV+.

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Inhaltsverzeichnis

Stars gab es wirklich genug bei der Apple-Keynote am gestrigen Montag (s. Mac & i-Liveticker). Von Steven Spielberg über JJ Abrams bis hin zu Jennifer Aniston, Steve Carell und sogar die TV-Talkerin Oprah versammelte der Konzern einige Prominenz auf der Bühne des Steve-Jobs-Theater in Cupertino. Soviele Promis aus Hollywood gab es bei einer Apple-Veranstaltung noch nie.

Man hatte ein bisschen das Gefühl, Apple-CEO Tim Cook und Co. hatten sich eine Art V.I.P.-Sonnenstich geholt; jedenfalls erzitterten die Mitarbeiter des Konzerns im Saal quasi beim Aufmarsch der Celebs – und Cook selbst kamen sogar kurz die Tränen. Man hatte zwischenzeitlich den Eindruck, nicht bei einer Apple-Veranstaltung zu sein, sondern bei einer Hollywood-Preisverleihung oder der Präsentation eines TV-Studios.

Dabei blieb Apple bei der Präsentation des eigentlichen Produkts, Apple TV+ genannt, erstaunlich vage: Es wurde ein neuer Streamingdienst gezeigt, ohne einen neuen Streamingdienst zu zeigen. Minimale Bildausschnitte und extrem kurze Clips waren von den diversen Serien, Filmen und Dokus zu sehen, die Apple plant – und für gerüchteweise über eine Milliarde US-Dollar eingekauft (Analysten sprechen gar von zwei Milliarden) hat.

Auch über den Preis, den der Dienst kosten soll, ließ sich Apple nicht aus – all diese Infos folgen erst bis Herbst. Nur klar ist, dass Apple den Dienst Apple TV+ in 100 Ländern/Regionen starten wird. Das ist lobenswert; allerdings erwartet man von einem eigenfinanzierten Service auch nichts anderes. Netflix-Original-Content wird ja ebenfalls (fast) immer allen Kunden weltweit angeboten.

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Überhaupt Netflix: Ist das der Hauptkonkurrent für Apple TV+? Dazu müsste Apple neben seinen eigenproduzierten Sendungen – so interessant sie auf den ersten Blick wirken mögen – signifikant mehr Inhalte bieten. Wo sollen die herkommen? Über Verträge mit anderen Studios und Medienriesen ist bislang nichts bekannt.

Ob die überhaupt mitziehen würden, ist ebenfalls unklar; zumal Apple ja über die sogenannten Apple TV Channels in der überarbeiteten Apple-TV-Anwendung eine weitere Möglichkeit bietet, Inhalte zu vermarkten. Dort kann man sich dann etwa HBO für 10 US-Dollar im Monat im Abo kaufen. Das kann also nicht auch über Apple TV+ zugänglich sein – oder? Man weiß es nicht, weil Apple – leider typisch – nichts dazu sagt.

Wenn man nun darüber nachdenkt, welche Zielgruppe Apple TV+ haben soll, wird es ebenfalls schwierig. Fans von Jennifer Aniston und Steven Spielberg? Zuseher von Oprah? Fans bestimmter Dokus? Der gesamte Dienst wirkt noch unausgereift, zumindest mit dem am Montag präsentierten Angebot. Würde man für so etwas 10 Euro im Monat blechen?

Oder macht Apple den Dienst doch gratis für Nutzer von Apple-Produkten? Letzteres ist aktuell eher unwahrscheinlich, da der Konzern einen anderen "+"-Dienst wie Apple News+ – warum gibt's den übrigens nur in den USA und Kanada? – kostenpflichtig offeriert.

Positiv ist immerhin, dass Apple sich anderen Plattformen gegenüber öffnet, ein Schritt, der für den Konzern geradezu als revolutionär erscheint. So wird es die Apple-TV-App auch auf Roku-Boxen und dem Amazon FireTV geben.

Bereits angekündigt war die Unterstützung für TV-Geräte von Samsung, Sony, LG und Vizio. Damit folgt Apple im TV-Segment seinem Musikdienst Apple Music, der lange schon auf Android-Hardware nutzbar ist und kürzlich auf dem Amazon Echo landete. Auch gut: Apple verspricht, die Privatsphäre der Nutzer zu respektieren, obwohl Streamingdienste üblicherweise jede Menge Trackingpotenzial haben. Dass Apple TV+ werbefrei sein wird, kann man hingegen als Standarderfüllung betrachten – hoffentlich gilt das auch für Hinweise auf eigene Inhalte.

Alles in allem bleibt von Apple TV+ bislang nicht viel mehr als heiße Luft – das zu verbergen gelang nicht einmal den vielen Promis auf der Bühne. Wenn man bedenkt, wie lange die Vorbereitungszeit war, die Apple für den Streamingdienst hatte, ist das enttäuschend. Apple versucht offensichtlich angesichts all der Ankündigungen der Hollywood-Studios und TV-Channel, eigene Streamingdienste zu starten, Claims abzustecken.

Immerhin kann der Konzern die Nutzerschaft noch positiv überraschen, wenn endlich Details bekannt werden. Es ist damit zu rechnen, dass dies im September erfolgt – dann präsentiert Apple traditionell auch neue iPhones. Die Latte jedenfalls liegt angesichts der Konkurrenz hoch. (bsc)