Wer sich auf 5G freuen sollte – und wer nicht

5G kommt, die Versteigerung läuft. Aber was dann? Mit diesem Schwerpunkt wollen wir zeigen, wer von dem neuen Mobilfunkstandard profitiert.

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Einleitungsartikel 5G

(Bild: Alexander Supertramp / Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Inhaltsverzeichnis

Die Milchkanne ist ziemlich abgenutzt. Forschungsministerin Anja Karliczek sagte letzten November in einem Interview mit Reuters: "5G ist nicht an jeder Milchkanne notwendig". Ein Spruch, der im Deutschland der vielen Null-Balken-Verbindungen so abgehoben klingt wie ein Flugtaxi. Seitdem fordert jeder an allen Kannen von den Alpen bis zur Nordsee den Mobilfunkstandard der fünften Generation, 5G.

"Wir brauchen 5G an jeder Milchkanne", sagt etwa der Entwicklungsminister Gerd Müller, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes Gerd Landsberg, der Ministerpräsident von NRW Armin Laschet, die Fraktionschefin der Grünen im bayerischen Landtag Katharina Schulze, oder der Bund der Deutschen Landjugend. Also so ziemlich jeder, der nicht Anja Karliczek heißt.

Schwerpunkt: 5G - Das Netz der Zukunft

Aber braucht man wirklich 5G in jeder Ecke des Landes? In diesem Schwerpunkt wollen wir zeigen, was der neue Mobilfunkstandard kann, für wen er sinnvoll ist und warum Wissenschaftler vor den 5G-Strahlen warnen.

"Sie befinden sich auf dem experimentellen WAP-Server des Heise-Verlags." So begrüßte wap.heise.de im September 2001 die Handy-Besucher. Sie konnten anschließend die Cebit-Demo der iX-Redaktion oder den heise-Newsticker sehen. Die iX gibt es noch, den heise-Newsticker auch, allerdings haben Cebit und WAP seitdem etwas gelitten.

Mit knapp 0,01 Mbit/s konnte der Handy-Besitzer damals im GSM-Netz (2G) maximal surfen. 18 Jahre und drei Generationen weiter: 5G-Basisstationen versprechen später 10 Gbit/s für mobile Nutzer. Eine gewaltige Steigerung gegenüber dem Daten-Rentner. Wer sich an damals erinnert, befindet sich also im Rausch der Geschwindigkeit.

Voll ausreizen werden die Handys aber 5G nicht so schnell. Die ersten 5G-Netz werden auf 4G aufbauen und nicht die Maximalgeschwindigkeit erreichen. Erst mit selbstständigen 5G-Systemen sind 10GBit/s tatsächlich möglich.

Aber was haben heutige mobile Anwender von dem neuen Standard? Schließlich könnte bereits LTE (4G) maximal 1 Gbit/s für mobile Nutzer bringen. Die ernüchternde Antwort: Noch nicht viel. LTE reicht für normale Internetanwendungen auf dem Smartphone völlig aus, inklusive 4K-Streaming.

Von geringen Latenzen unter 1 ms mit 5G dürfte allerdings Augmented-Reality-Anwendungen profitieren und die virtuellen Objekte flüssiger in das Kamerabild der echten Welt einfügen. Zudem könnte 5G die Basis für neue anspruchsvolle Multiplayer-Spiele auf dem Smartphone werden. Die ersten Handys mit 5G wird es wohl im Laufe des Jahres zu kaufen geben und die Top-Smartphones der Hersteller betreffen.

Damit mobile Nutzer überhaupt auf 5G zugreifen können, muss erst einmal ein Netz stehen. Vier Unternehmen bieten in Deutschland um die 5G-Frequenzen: Telekom, Telefónica (O2), Vodafone und Drillisch (1und1). Allerdings müssen die Unternehmen bestimmte Voraussetzungen einhalten, wenn sie die Frequenzen nutzen möchten:

  • Bis Ende 2022 sollen mindestens 98 Prozent der Haushalte in den Bundesländern mit mindestens 100 Mbit/s versorgt sein. Dasselbe gilt für Bahnstrecken mit mehr als 2.000 Fahrgästen pro Tag, alle Autobahnen und die wichtigsten Bundesstraßen.
  • Bis Ende 2024 sollen alle übrigen Bundesstraßen mit mindestens 100 Mbit/s versorgt sein, alle Landes- und Staatsstraßen, Seehäfen und die übrigen Bahnstrecken mit mindestens 50 Mbit/s.

Im Business-Bereich kommen die Unternehmen aus den Superlativen gar nicht mehr heraus. Chip-Hersteller Qualcomm schwärmt von dem neuen Standard: "5G wird tiefgreifende Veränderungen bringen wie das Auto oder die Elektrizität" schreibt Qualcomm in einer FAQ zu 5G. Das Unternehmen muss natürlich so euphorisch sein, schließlich will das Unternehmen Chips verkaufen.

Auch die Netzbetreiber müssen werben: "Für Unternehmen eröffnen sich mit 5G völlig neue Geschäftsfelder", schreibt etwa Vodafone auf seiner Webseite über 5G. Kräne auf Baustellen, ferngesteuerte Medizinroboter und autonome Autos bräuchten dringend 5G, für dessen Frequenzen Vodafone gerade Millionen ausgibt – und natürlich am Ende mehr Geld wieder einnehmen möchte.

Tatsächlich könnten vor allem autonome Fahrzeuge von der neuen Technik und ihrer geringen Latenz profitieren, indem sie fast schon in Echtzeit Informationen austauschen und sich auf der Straße abstimmen. Fabriken könnten in Zukunft auf Kabel verzichten und mehr mobile Roboter einsetzen. In der Landwirtschaft können etwa hochauflösende Bilder von Pflanzen sofort ausgewertet und daraufhin bestimmte Maßnahmen ergriffen werden. Was in Gewächshäusern vielleicht noch über eine Glasfaserverbindung funktioniert, ist auf einem Feld in Brandenburg nicht ohne 5G möglich.

Bei all den Hättes, Könntes und Wäres steht die Industrie jedenfalls momentan vor konkreteren Anwendungen als der normale Nutzer, der mit 5G im dümmsten Fall sein mickriges 2-GByte-Datenvolumen schneller aufbraucht als mit LTE.

Aber ein dickes Könnte schwebt zusätzlich über den 5G-Frequenzen: Könnte 5G-Strahlung gefährlicher sein als die Strahlen für 2G bis 4G? Das ist nicht nur eine Frage für Aluhutträger und die üblichen Verschwörungsposter aus dem heise-Forum. Auch echte Wissenschaftler fordern mehr Forschung, um Gefahren ausschließen zu können.

Netzbetreiber und Chip-Hersteller machen kräftig Werbung. Normale Nutzer müssen noch etwas abwarten. Die Industrie lotet gerade aus, wo 5G sinnvoll sein kann – vielleicht ja sogar an der Milchkanne. Und Forschungsministerin Anja Karliczek? Im Februar sagte sie einem Journalisten vom ZDF: "Ich glaube, ich habe da ein falsches Bild gewählt. Die Milchkanne ist an der Stelle vielleicht nicht das richtige Bild."

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(str)