Firma bewirbt sich beim Mitarbeiter: IT-Jobportale drehen Arbeitsmarkt um

Weltweit suchen tausende Computerspezialisten einen Job. Bei denen können sich interessierte Firmen über verschiedene Plattformen bewerben.

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Firma bewirbt sich beim Mitarbeiter: IT-Jobportal dreht Arbeitsmarkt um

Honeypot ist eine der Jobplattformen, bei denen Unternehmen sich bei potenziellen Mitarbeitern bewerben.

(Bild: honeypot.io)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Peter Ilg
Inhaltsverzeichnis

Vor etwa eineinhalb Jahren war Shady Botros einer von jenen, hinter denen die gesamte deutsche Industrie her ist: Informatiker und auf Jobsuche. Der 28-jährige stammt aus Ägypten. In der Hauptstadt seines Heimatlandes, Kairo, hat er Informatik studiert und mit einem Bachelor abgeschlossen. Dann zog er nach Deutschland und machte Ende 2016 an der TU München einen Master in Informatik, ging ein halbes Jahr auf Reisen und als er nach München zurückkam, kümmerte er sich um seinen ersten Job.

Er hatte im Internet gelesen, dass man sich als IT-Spezialist für eine Aufnahme auf der Jobplattform Honeypot bewerben kann – und wenn man genommen wird, dass sich dann Unternehmen bewerben. Das klang für Botros spannende, er nahm das umgekehrte Spiel an.

Wöchentlich bewerben sich bei Honeypot rund 1.000 IT-Fachkräfte um die Aufnahme in dem Datenpool, teilt die Berliner Firma mit, die seit April dem Karrierenetzwerk Xing gehört. "Die Bewerber stammen aus aller Welt, etwa ein Viertel aus Deutschland“, sagt Kaya Taner, Gründer und Geschäftsführer des jungen Unternehmens, das 2015 mit seinem Angebot startete und heute 100.000 IT-Spezialisten in seiner Datenbank hat.

heise jobs – der IT-Stellenmarkt

Zu Arbeitsplätzen und Stellenangeboten in der IT-Branche siehe auch den Stellenmarkt auf heise online:

Honeypot ist ein digitaler Recruitingmarktplatz. Bevor Bewerber aufgenommen werden, prüft das Unternehmen technische Skills wie Programmierkenntnisse, checkt den Lebenslauf hinsichtlich Konsistenz und klärt ab, ob der Kandidat tatsächlich an einer Stelle interessiert ist. Jeder zehnte schafft die Aufnahme. Für drei Wochen ist deren Profil dann sichtbar. "Wir begrenzen den Zeitraum, damit sie nicht mit Spam überhäuft werden“, begründet Taner diese Maßnahme.

Die Kandidaten geben an, in welcher Stadt, mit welcher Technologie sie arbeiten und wieviel sie verdienen wollen. "Das macht den Prozess für suchende Unternehmen und die IT-ler transparent“, so Taner. Registrierte Unternehmen können auf den Datenpool an IT-Spezialisten zugreifen und frei suchen. Es können aber auch geeignete Kandidaten vorgeschlagen werden, wenn sie Suchkriterien angeben. Dieses Matching macht künstliche Intelligenz möglich. Etliche Dutzend Kandidaten pro Monat vermittelt Honeypot über seinen Datenpool. Der Preis dafür: 15 Prozent vom ersten Bruttojahresgehalt muss das Unternehmen bei erfolgreicher Vermittlung bezahlen.

Scalable Capital mit Sitz in München ist Kunde von Honeypot und Andreas Schranzhofer CTO des Unternehmens, das digitale Vermögensverwaltung anbietet. Für die anspruchsvolle Software dieser Dienste sucht Scalable Capital auch bei Honeypot nach IT-Spezialisten und hat auf diesem Weg schon acht Softwareentwickler eingestellt. "Auf der Plattform können wir unterschiedliche Profile anschauen, sehr schnell und effizient eine Auswahl treffen. Das nimmt uns viel Arbeit ab und ist effizient für die Kandidaten, die passende Angebote von Firmen bekommen“, sagt Schranzhofer.

Das Unternehmen hat etwa 100 Mitarbeiter, da macht es wenig Sinn, groß Ressourcen für Mitarbeitersuche aufzubauen. Deshalb die Zusammenarbeit mit Honeypot. Fast alle neuen Mitarbeiter, die Schranzhofer über Honeypot eingestellt hat, stammen aus Südamerika. "Gerade IT-Experten aus Lateinamerika hatten meistens schon mit US-Firmen zu tun und sprechen daher gut Englisch.“ Das ist ein großer Vorteil dieser Gruppe.

In der IT-Branche gibt es nach Angaben des High-Tech-Verbands Bitkom aktuell 82.000 offene Stellen und folglich einen großen Wettbewerb um talentiertes und qualifiziertes IT-Personal. „In der IT-Branche kann man deshalb durchaus von einem Anbietermarkt sprechen“, sagt Christoph Busch, Bereichsleiter Arbeit und Innovation beim Bitkom. Bei IT-Experten hat sich der Arbeitsmarkt aufgrund des Mangels an Fachkräften von einem Nachfrage- in einen Anbietermarkt gewandelt. Das bedeutet: nicht mehr die Personaler suchen sich aus einem Stapel von Bewerbungen neue Mitarbeiter aus, sondern die Unternehmen müssen sich bei potentiellen Angestellten bewerben.

Diese Situation bestand schon 2014, meint Matthias Schleuthner, Geschäftsführer von 4scotty mit dem gleichen Geschäftsmodell wie Honeypot und ebenfalls mit Sitz in Berlin. "Wir waren mit unserer Unternehmensgründung 2014 die ersten in Deutschland, die das Modell der Mitarbeitersuche gedreht haben“, sagt Schleuthner. Das Geschäft lief zunächst zäh, weil die Unternehmen damit nichts anfangen konnten. "Heute stellen sogar die großen anzeigenbasierten Jobbörsen sowie die Business Netzwerke auf das Marktplatzmodell der Mitarbeitersuche bei IT-Spezialisten um, weil Stellenanzeigen im IT-Bereich nicht mehr funktionieren“, sagt Schleuthner. Für ihn sind Annoncen für IT-Profis ein Auslaufmodell.

Heute laufen die Geschäfte von 4Scotty gut: das Unternehmen hat etwa 1.000 Kunden und 50.000 angemeldete IT-Experten, von denen 20.000 aktuell auf Jobsuche sind. „Von uns profitieren vor allem flinke Firmen bei der Stellenbesetzung und das sind Mittelständler“, sagt Schleuthner. Ein guter Softwareentwickler bekomme in kurzer Zeit fünf bis sieben Angebot und unterschreibe dann durchschnittlich innerhalb eines Monats einen neuen Arbeitsvertrag. „Konzerne sind oft behäbig aufgrund langwieriger Prozessketten und kommen deshalb weniger zum Zug.“ 4Scotty rekrutiert IT-Profis europaweit, manchmal auch weltweit. Die Kunden sind ausschließlich Unternehmen aus Deutschland.

Auf den Eintrag von Shady Botros bei Honeypot hatten sich etwa zehn Unternehmen beworben. Es folgten Vorstellungsgespräche und am Ende hatte der junge Ägypter zwei Angebote, davon eines von Scalable Capital. "Das habe ich angenommen, weil mir die Kultur am ehesten zugesagt hat.“ Ihm gefallen insbesondere die flache Hierarchie und die Teilhabe an der Entscheidungsfindung. Seit September 2017 ist Botros Softwareentwickler bei Scalable Capital in München.

[UDPATE]

Der Artikel wurde um Informationen über den Anbieter 4scotty ergänzt. (axk)