Wissenschaftler: Digitalisierung könnte Klimakrise weiter beschleunigen

Die Digitalisierung als Brandbeschleuniger im Klimawandel oder als Helfer? Der Wissenschaftliche Beitrat der Bundesregierung fordert, die Weichen zu stellen.

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Von
  • Christiane Schulzki-Haddouti

Der digitale Wandel wird den Ressourcen- und Energieverbrauch sowie die Umwelt- und Klimakrise weiter beschleunigen, warnt der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) in seinem Gutachten "Unsere gemeinsame digitale Zukunft". Die Politik müsse die Digitalisierung in den Dienst nachhaltiger Entwicklung zu stellen. Seit 1992 berät der Beirat die Bundesregierung zu globalen Umwelt- und Entwicklungsproblemen. Neben Analysen soll er auch Handlungs- und Forschungsempfehlungen erarbeiten.

Dirk Messner, Co-Vorsitzender des WBGU und Direktor des "Institute for Environment and Human Security" an der UN-Universität in Bonn, betonte gegenüber Spiegel Online, dass die Digitalisierung nicht automatisch zu mehr Nachhaltigkeit führe, sondern vielmehr als Problembeschleuniger fungiere, da sie die Vorstellung von kontinuierlichem, ressourcen- und treibhausgasbasiertem Wachstum verlängerten, obgleich dies zu großen ökologischen Schwierigkeiten führe. Gleichzeitig sei jedoch der Abschied von fossilen Brennstoffen und eine effiziente Kreislaufwirtschaft mit weniger Materialverbrauch "mit digitaler Technik besser zu erreichen als ohne sie". Eine geteilte Mobilität beispielsweise, die mit digitalen Diensten effizienter organisiert werden kann, könnte laut Gutachten das Fahrzeugaufkommen in Städten senken.

Auch könnte beispielsweise die Energiewende durch Einsatz intelligenter Energienetze gefördert werden. Der WBGU hält überdies Einschätzungen über die Auswirkungen der Digitalisierung, etwa auf den Verbrauch seltener Erden, für oftmals "widersprüchlich". Mit der Digitalisierung seien auch umfangreiche Beobachtungs- und Analyseaufgaben möglich. Entsprechend müsse die Wissenschaft "mehr belastbares Wissen" über die Wirkungen digitaler Technologien schaffen. Das müsse der Weltgemeinschaft zur Verfügung gestellt werden.

Der WBGU fordert die Politik aber auch auf, jetzt Vorkehrungen zu treffen, um mit tiefen gesellschaftlichen Umbrüchen umzugehen, die mittelfristig mit der Digitalisierung einhergehen: Dazu zählt etwa der absehbare radikale Strukturwandel auf den Arbeitsmärkten, der Ersatz realweltlicher Erfahrungen in virtuellen Räumen, die vielfältigen Wirkungen von Künstlicher Intelligenz auf Bildung, Wissenschaft und Demokratie oder auch die Herausforderung, die Überwachungspotenziale der neuen Technologien demokratisch einzuhegen. Alle digitalen Veränderungen sollten auf das Gemeinwohl und die Steigerung der Lebensqualität der Menschen hin ausgerichtet werden. Die Wissenschaftler sehen dabei weniger die Unternehmen, sondern eher die Politik in der Pflicht.

Obwohl sich die Wissenschaftler an die ganze Regierungsmannschaft wenden, gingen erst zwei Bundesministerien auf die Forderungen ein: Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) kündigte an, ihr Ministerium zum "Treiber der nachhaltigen Digitalisierung" machen zu wollen, "denn Digitalisierung birgt ein riesiges Potenzial für den Umweltschutz".

Bundesforschungsministerin Anja Karliczek will diesen Themenbereich in den nächsten Jahren ebenfalls "intensiv" fördern. Deutschland werde davon auch ökonomisch profitieren: "Fortschrittliche Umwelttechnologien werden weltweit in den nächsten Jahren immer gefragter sein." Der Förderumfang betrug seit 2015, dem Jahr des Pariser Klimaabkommens, 2 Milliarden Euro. Auch im Bildungsbereich will die Ministerin zum Thema nachhaltige Entwicklung aktiver werden. (mho)