Was war. Was wird. Es war einmal ein FTP-User mit Folgen.

Nazis? Ach was, autoritäre Nationalradikale. Schlimm genug. Heute gefährlicher vielleicht. Aber vorher something completely different. Oder? Hal Faber grübelt.

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Pressefreiheit, Zensur

(Bild: wk1003mike / shutterstock.com)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Ach du liebes FTP-Userlein, jetzt haben wir die Bescherung. Im SIPRNET des US-Militärs gab oder gibt es jede Menge Windows-Computer, die neben den individuellen Nutzerkonten das generische Konto "FTP-User" besitzen, damit es die Administration beim Upload von Dateien etwas einfacher hat. Nachdem der Analyst Bradley Manning (heute: Chelsea Manning) in Fort Hammer im Irak unter seinem eigenen Nutzernamen viele Videos und Dateien auf eine CD kopierte und später an Wikileaks schickte, wollte er vorsichtiger vorgehen und keine Spuren mehr hinterlassen. Also bootete er seinen Arbeitsplatzrechner unter Linux und suchte nach der SAM-Datei, um aus ihr den Hashwert für diesen "FTP-User" zu extrahieren, von dem er wusste, dass er existiert. Mit Erfolg: 80c11049faebf441d524fb3c4cd5351c. Im Chat mit Julian Assange bot dieser dem Gefreiten Manning an, den Hashwert zu einem "Rainbow Table Guy" zu schicken, der das Passwort knacken könnte. Dieses Angebot bildet zusammen mit dem Chat-Protokoll die Grundlage für die Anklage der USA nach dem Computer Fraud and Abuse Act, derzufolge Manning und Assange zu einer Hacking Conspiracy zusammengetan haben. Die gemeinschaftliche Tat, erweitert durch die Ermunterung Assanges an Manning, doch bitte weiter nach kompromittierenden Daten zu suchen, bildet wiederum die Grundlage für das Auslieferungsersuchen der USA, über das britische Richter am 2. Mai entscheiden müssen. Gegen diese Entscheidung kann Assange vor verschiedenen Instanzen klagen, unter Umständen sogar vor dem europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, sofern Großbritannien dann noch Mitglied der EU ist.

*** Das Chat-Protokoll und die Aussage des Forensikers Shavers im Militär-Prozess gegen den Anarchisten Bradley Manning bilden also die Grundlage. Etliche schnell geschriebenen Berichte sprechen nun von einem großen Schaden, der damals angerichtet wurde, doch die damalige Anklage gegen Manning weiß davon nichts. Ganz im Gegenteil: "Fortunately for the United States, PFC Manning's attempts to gain access to the FPT user account would fail despite his requests for assistance from Julian Assange and WikiLeaks", heißt es auf Seite 11.000 der Manning-Akten, wo der "FTP-User" auch noch falsch geschrieben wurde. Die USA nehmen also das kleinstmögliche Vergehen und umgehen so alle Fragen nach der Rolle der Presse- und Meinungsfreiheit, wohl im Bewusstsein der Tatsache, dass Assange in seinem letzten (verlorenen) Verfahren gegen die Auslieferung an Schweden vor dem Supreme Court Großbritanniens erstmals als "Publisher" bezeichnet wurde. Insofern läuft der Ärger über Kommentare zur roten Linie ins Leere. "Hacken und Passwörter knacken, das ist für Journalisten ein Tabu.".

*** Wichtig ist indes, dass die USA mit ihrer Klage alles vermeiden, was das Auslieferungsersuchen mit einer militärischen oder politischen Klage verbinden könnte. Das gilt auch für die Forderungen von Hillary Clinton, die das Eingreifen von Wikileaks in den US-Wahlkampf untersuchen lassen möchte. Denn all diese zusätzlichen Aspekte erhöhen die Gefahr, dass ein britisches Gericht die Auslieferung ablehnt. Schließlich sind insbesondere militärische Fragen nicht vom Auslieferungsvertrag gedeckt, den beide Länder unterschrieben haben. Allerdings ist es bis zum 2. Mai möglich, dass die US-Behörden neue Anklagen nachliefern, um das Auslieferungsbegehren zu untermauern. Völkerrechtlich sollte jedoch der Spezialitätsgrundsatz gelten, nach dem Assange nur für die Taten vor Gericht gestellt werden kann, die auch im Antrag auf seine Auslieferung genannt werden. Da US-Richter dies in einigen Verfahren anders sahen, könnte das britische Gericht eine Klausel in den Auslieferungsbeschluss einbauen, dass der Spezialitätsgrundsatz beachtet werden muss.

*** Es könnte auch ganz anders kommen: Erinnert sei an den Fall des UFO-Hackers Gary McKinnon, in dem die damalige Innenministerin Theresa May die Auslieferung schlicht untersagte, oder an den Fall von Lauri Love, in dem das angerufene Gericht Nein sagte. Juristisch interessant wäre auch der Fall, wenn Schweden seinen Antrag auf Auslieferung aktiviert. Da dieser Antrag bereits 2010 gestellt wurde, hätte er Vorrang vor dem US-amerikanischen. Über 70 britische Parlamentarier der Labour Party haben sich in einem offenen Brief für diese Variante stark gemacht und dabei an Gary McKinnon erinnert. Der Nebeneffekt: Würde Assange auf diese Weise nach Stockholm zurückkehren, so müssen Schweden und Großbritannien gemeinsam über den US-amerikanischen Auslieferungsantrag befinden.

*** Und sonst so? Während die Süddeutsche Zeitung von "Sankt Julian" schwärmt, dem Märtyrer der digitalen Kultur, dem ersten Ideologen des Internet, dem Verkünder der radikalen Transparenz und dem produktiven Zerstörer aller Kommunikationsflüsse, hält es die Frankfurter Allgemeine Zeitung mehr mit seinem ehemaligen Gefährten Daniel Domscheit-Berg. Dieser "erklärt", dass Assange für Trump ein nützlicher Idiot gewesen sei, und dass er liebend gerne die Hand beißt, die ihn füttert. Noch einen Schritt weiter geht Kim Dotcom, der Julian Assange direkt mit Jesus als dem ultimativen Verkünder der Wahrheit vergleicht und Ostern zu dem Fest machen will, an dem Julian Assange wieder aufersteht. Passend dazu gibt es die auch hier verlinkten Botschafts-Bilder vom russischen Ruptly, in denen der weißbärtige Märtyrer verschleppt wird. Man kann es auch gelassener sehen wie Reporter ohne Grenzen, wo man von den verdienstvollen Journalismus-ähnlichen Aktivitäten spricht und dennoch davor warnt, dass mit seiner Auslieferung an die USA die Presse- und Meinungsfreiheit weltweit in Mitleidenschaft gezogen wird. Was bleibt? Bescheiden, wie es gerade vor Ostern heise-Art ist, sei auf den Tippgeber verwiesen, der sich seit seinem Start im Jahre 2017 mehrfach bewährt hat, natürlich auch in diesem schauderschummerbösen Tor-Netz, das deutsche Politiker ausrotten wollen.

Was für ein schöner Sonntag! Wenn diese kleine, thematisch leicht einseitige Wochenschau online erscheint, beginnen unweit von Goethes Weimar die Feierlichkeiten zur Befreiung des Lagers Buchenwald, von der Mitglieder der AfD ausgeschlossen sind. Dankenswerterweise hat der Bielefelder Soziologe Wilhelm Heitmeyer, Herausgeber der "Deutschen Zustände", nun mit einem kenntnisreichen Artikel darauf aufmerksam gemacht, dass die AfD keine rechtspopulistische Partei ist und auch keine Partei der Neonazis, die mit Gewaltanwendungen und Gewaltdrohungen arbeiten. Vielmehr praktiziere die AfD einen autoritären Nationalradikalismus voll gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. "Gefährlich ist der Autoritäre Nationalradikalismus der AfD vor allem, weil er auf die gesellschaftlichen und politischen Institutionen zielt, auf Parlamente wie Gerichte, auf Polizei, Schulen, Vereine, Theater. Er will destabilisieren, Verängstigungsdruck erzeugen und einen Systemwechsel in Gang setzen." Das gelingt dem Nationalradikalismus solange, wie die "Wahrnehmung von biografischen, kulturellen oder sozial-geografischen Kontrollverlusten existiert oder gar zunimmt." Wer Angst vor einem Statusverlust oder dem Verlust der Teilhabe am sozialen Leben hat, der greift mit der Partei die Institutionen an, die Schuld an diesem Zustand haben sollen und entwickelt daraus Machtgefühle oder Hass auf bestimmte Flughäfen.

Ja, der EU-Wahlkampf hat begonnen, mit seltsamen Plakaten.

Zur anstehenden Feier des 125. Geburtstages der Streaming-Technologie nach dem Schema "ein Film - ein Zuschauer" startet in der Sonntagnacht die letzte Staffel des Gemetzels namens Games of Thrones. Das Ende hat ein kluger Algorithmus errechnet, der sich die gesamten 63,5 Stunden reingepfiffen hat, eine Leistung, auf die Computer kommen können, wenn sie nicht gerade Fotos von Schwarzen Löchern zusammenpuzzeln, die ein kollaboratives Teleskop-System produzierte. Die Erklärung der Leistung sollte kompetenten Forschern überlassen bleiben, bei der Saga um den Eisernen Thron verlassen wir uns auf den Filmkritiker der tageszeitung: "Eine Handvoll Adliger und unehelicher Adelskinder kämpft im mittelalterlichen Setting mit kreativer Gewalttätigkeit um den Eisernen Thron." Mehr braucht man wirklich nicht zu wissen, Jon Snow. (jk)