Verlegerverbands-Vize: "Wenn wir aufhören, stirbt die Freiheit"

Philipp Welte, Vorstand Hubert Burda Media, sieht das Fundament der freien Presse und der Demokratie zunehmend durch den Siegeszug der Tech-Riesen untergraben.

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Pressefreiheit, Zensur

(Bild: wk1003mike / shutterstock.com)

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"Die vierte Gewalt war seit Jahrzehnten nicht mehr so wichtig wie heute." Mit diesen Worten unterstrich Philipp Welte, Vize-Präsident des Verbands Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ), am Dienstag bei einer Veranstaltung mit der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung unter dem Motto "Presse. Macht. Freiheit" die Bedeutung der freien Medien in der digitalen Welt. Deren Aufgabe sei es, "auch dort den Blick hin zu richten, wo es den Herrschenden unangenehm ist". Journalisten stünden für die "bedingungslose Suche nach der Wahrheit" und die Verlage seien damit ein "essenzieller Teil der pluralistischen Demokratie".

Welte sprach von einem "unauflösbaren Band" zwischen der freien Presse und der Stabilität in einer Volksherrschaft. Weltweit sei der freie Journalismus aber in Gefahr "und damit die Freiheit an sich", warnte der Vorstand von Hubert Burda Media. Darauf verwiesen nicht nur staatliche Repressalien wie etwa in der Türkei, wo jüngst "193 Medienunternehmen und Verlage über Nacht geschlossen" worden seien. Auch in den USA regieren mit Donald Trump ein Präsident, der klassische Medienberichte ständig als "Fake News" beschimpfe. Und in Deutschland gröle der braune Mob: "Lügenpresse, halt die Fresse."

Der freie Journalismus sei aber auch wirtschaftlich bedroht, beklagte Welte wenige Tage vor dem Internationalen Tag der Pressefreiheit am 03. Mai. Sein Fundament "erodiert zunehmend durch den Siegeszug US-amerikanischer Technologiekonzerne, die sich in unseren Märkten aggressiv breitmachen" und "unsere Inhalte nutzen". Wachstum auf dem Werbemarkt gebe es nur noch auf diesen Plattformen, der "ganze große Rest schrumpft". So hätten 2018 die Werbeerlöse bei Verlagen hierzulande knapp 900 Millionen Euro betragen, während Google allein auf rund zwei Milliarden gekommen sei, so Welte.

Die Tech-Riesen "agieren als Medienunternehmen", lehnen im Gegensatz zu diesen die Verantwortung für die publizierten Inhalte aber kategorisch ab, monierte der gelernte Zeitungsjournalist. Vor allem in den sozialen Netzwerken komme es so zu einer "anschwellenden Flut von manipulativen Inhalten". Immer mehr Menschen verlören im "kleinen digitalen Grenzverkehr" zwischen wahren und falschen Meldungen die Übersicht. Die Verleger seien "Zwerge in diesem Kampf", müssten diesen aber stärker aufnehmen und sich als Medienschaffende auf ihre Mission besinnen.

Zugleich rief Welte nach der Politik, die der Branche klarmachen müsse, was es bedeuten würde, wenn der Journalismus der Verlage verschwände. "Unsere Arbeit ist unverzichtbar, wenn unsere Welt eine freie bleiben soll", stellte der Vertreter des VDZ klar. "Wenn wir aufhören, stirbt die Freiheit."

"Ein Angriff auf die Pressefreiheit ist immer auch einer auf die Demokratie und die offene Gesellschaft", konstatierte die frischgebackene FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg. Neben dem journalistischen Betrieb gebe es mittlerweile über das Internet weitere Foren, die einen direkten Austausch ermöglichten, ohne die einordnende und auswählende Funktion des Journalisten. Diese würden "umgangen und entmachtet", in ihrer Rolle hinterfragt.

Quantitativ gebe es eine größere Meinungsfreiheit, da jeder im Netz ein großes Publikum erreichen könne, zeigte Teuteberg auch Chancen der Entwicklung auf. Zugleich wachse der wirtschaftliche und gesellschaftliche Druck auf die Medien aber. Selbst kleinere Redaktionen müssten eine wachsende Anzahl an Kanälen bedienen, was keine gute Grundlage für Qualitätsjournalismus darstelle und in einen Teufelskreis führe. Parallel werde die journalistische Arbeit "diffamiert als Systempropaganda, befeuert etwa vom russischen Staatsapparat".

Über die Rolle von Facebook, Google sowie Twitter & Co. in diesem Umfeld sei noch zu reden, befand Teuteberg. Parallel müssten aber auch die Medien sich neu erfinden sowie ihr journalistisches Ethos als Kern für eine "Aufklärung 2.0" stellen, da selbst "die beste Urheberrechtsreform den Fortschritt nicht aufhalten wird".

Die unliebsame Presse werde nicht nur unterdrückt, müde und mürbe gemacht, verwies die Autorin Düzen Tekkal etwa auf die USA und Polen. Dazu komme weltweit eine "digitale Erregung über Social Media", die die Arbeit von Journalisten und Aktivisten beeinflusse: entweder würden diese als "Gutmenschen" oder "Nazis" abgefertigt. Oder "es werden Sprechverbote ausgesprochen, wenn jemand eine andere Meinung hat", verwies Tekkal auf das bedrohte freie Wort. Die Frage der Deutungshoheit dürfe aber nicht "den Lauten" überlassen werden, da sonst ein Ungleichgewicht entstehe.

Bei ihrer Kriegsarbeit im Irak, in Syrien sowie in Kurdistan hat die Tochter türkisch-jesidischer Eltern nach eigenen Angaben erfahren, dass die "Entstehung von Feindbildern" und ein "dichotomisches Weltbild" der Grund für Kriege und Völkermorde sind. Sie halte daher nichts davon, jeden Tag eine neue Sau mit Hashtags durchs globale Dorf zu jagen. Viel wichtiger sei es, "frei von Ideologie und Identitätspolitik die Vernunft walten zu lassen" ohne eine "künstliche Neutralität", die "wir dann gar nicht aufrechterhalten können".

"Viele jungen Kollegen sind vor allem angetrieben von der Motivation, Dinge zu bewegen", berichtete der Auslandsjournalist Michael Obert von Beweggründen, um auch nach dem Fall Relotius etwas mit Medien machen zu wollen. Es gehe ihnen darum, "einen Beitrag zu leisten, für den es sich lohne, auch etwas zu riskieren", weiß der Gründer der Reporter-Akademie Berlin. Er sieht seine Aufgabe darin, "Menschen eine Stimme zu geben, die sonst stumm bleiben". Dabei könne es sich etwa aktuell um die eine Million Flüchtlinge gehen, die in Libyen im Bürgerkrieg gefangen seien.

Vor allem in einigen afrikanischen Ländern wollen die Machthaber laut Obert im Einklang mit der Devise "No news is good news" möglichst gar keine Berichte zulassen. Wer dort recherchiere, müsse jeden Tag mit "Besuch vom Geheimdienst" rechnen. Viele Agenten fremder Länder seien in Berlin aber inzwischen fast ebenso aktiv wie in ihrer Heimat: "Da steht dann jemand nachts um Zwei vor der Tür in Kreuzberg und will wissen: wer sind deine Informanten."

Feinde der Pressefreiheit gingen auch "in unsere Rechner rein" und hörten Journalisten ab, führte der Autor aus. Als er seinen Laptop mal zum Sicherheitscheck gebracht habe, sei ihm geraten worden, das verwanzte Ding besser wegzuschmeißen. Das alles passiere über Plattformen, "die gar nicht so weit weg sitzen". Die Bedrohung nehme auch sonst im Netz "enorme Formen" an etwa mit Ansagen wie: "Wir wissen, wo deine Kinder zur Schule gehen." Auch wenn er selbst gar keine habe, empfinde er solche Vorgänge doch als Nadelstiche, mit denen sich "was hochschraubt". (olb)