Brainstorming: Wie die Demokratie die digitale Revolution überleben könnte

Experten empfehlen: Datenmonopolisten zerschlagen, Netzinfrastrukturen kollektivieren, Gesichtserkennung verbieten und die Regierung nicht automatisieren.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 18 Kommentare lesen
Brainstorming: Wie die Demokratie die digitale Revolution überleben könnte

(Bild: Deutsche Fotothek CC BY-SA 3.0)

Lesezeit: 5 Min.
Inhaltsverzeichnis

"Die Zukunft ist privat", hat Facebook-Chef Mark Zuckerberg jüngst als neue Losung ausgegeben. Für die Filmemacherin und Autorin Hito Steyerl hört sich das aus dem Mund eines der größten Datensammler weltweit nach Humbug an. "Wir sollten Zuckerberg nicht vertrauen, wenn er Mumbo-Jumbo als Fakten verkaufen will", warnt die Künstlerin. Digitale Technologien würden weltweit vielfach eingesetzt, um die Bevölkerung "zu überwachen und zu unterdrücken". Sie müssten daher scharf reguliert werden.

Geht es nach der Medienprofessorin an der Berliner Universität der Künste, steht außer Frage: "Die Datenmonopolisten müssen zerschlagen werden", um die Privatsphäre, weitere Grundrechte und letztlich die Demokratie zu retten. Gesichtserkennung sollte nach dem Vorbild San Franciscos weltweit verboten werden.

Die Trainingsdaten dafür hätten die mit autoritären Regimen kooperierenden Anbieter sowieso von den Internetnutzern gestohlen. Das beklagte Steyerl am Mittwoch auf einem Panel zur Überlebensfähigkeit der Demokratie in der digitalen Revolution während der Konferenz Future Affairs vom Auswärtigen Amt und re:publica in Berlin. Microsoft etwa habe die Technik anhand von online veröffentlichten Bildern von hunderttausenden "Prominenten" mit dem Projekt MS-Celeb-1M verfeinert. Ihr eigenes Bild sei auch in dieser Datenbank.

Wer die Trainingsdaten für Algorithmen und Künstliche Intelligenz (KI) besitze, könne mit Vorhersagen aus Big-Data-Analysen "die Zukunft kolonisieren", veranschaulichte die Deutsch-Japanerin die Macht der Tech-Riesen. Sie vergleicht KI mit Feuer, dem Forscher die "Kolonisierung der Zeit" unterstellten. Der Grund dafür liegt in der Tatsache, dass der Lichtschein eines brennenden Holzscheits die Nacht ein Stück weit zum Tag macht und die Spanne menschlicher Aktivitäten in die Dunkelheit hinein verlängert.

Mit den von ihr vorgeschlagenen Eingriffe in den Datenkapitalismus dürfte die Volksherrschaft nach Steyerls Ansicht die Digitalisierung durchaus überleben. Eine viel größere Gefahr für die Demokratie sei aber die damit oft einhergehende Automatisierung. Überlegungen, dass Algorithmen gegebenenfalls objektiver entscheiden und somit auch Richter oder Politiker ersetzen könnten, erteilte sie eine klare Absage: Regierung und Regulierung dürften keinesfalls automatisiert werden, da dies das genaue Gegenteil der Volksherrschaft bedeute. Bei letzterer gehe es im Kern um einen aktiven Abwägungsprozess, darum wohlüberlegte Entscheidungen zu treffen.

Ständig überwacht zu werden, sei in vielen Ländern keine abstrakte Bedrohung, ergänzte Marina Weisband, einstige politische Geschäftsführerin der Piratenpartei Deutschland. Ein solcher Zustand beeinflusse Denken und Verhalten. Wenn Konzerne viele Daten sammelten, könnten auch Behörden diese einfach abgreifen. Dazu komme das gemeinsame Interesse von Firmen und totalitären Staaten an Zensurinfrastrukturen.

Aktivisten und die Zivilgesellschaft generell bräuchten deswegen aber nicht in Schockstarre verfallen, meint die Projektleiterin beim Portal Politik Digital. "Wir müssen die Infrastruktur kollektiv besitzen und redundante Netze bauen", führte sie als Alternative ins Feld. "Die Technologie verhilft uns zu einer Stimme." Wichtig seien alternative, nicht profit-getriebene Plattformen. Die Basis, um die Bürger entsprechend zu ermächtigen, sollte in kommunalen Gemeinschaften und Schulen gelegt werden.

Über Vorgaben zur Interoperabilität könnten Facebook & Co. Weisband zufolge zudem in einem ersten Schritt gezwungen werden, standardisierte offene Protokolle einzusetzen. Über diese werde es möglich, sich mit Mitgliedern anderer Dienste auszutauschen. In alter Piratenmanier machte sie sich ferner für digitale Beteiligungswerkzeuge, Formen der direkten Demokratie und eine transparentere EU stark.

Am Beispiel Südamerika verdeutlichte Marisa von Bülow, Professorin für Politikwissenschaft an der Universität von Brasilia, dass soziale Netzwerke und digitale Kommunikationskanäle Populisten in die Hände spielten. Noch sei unklar, welchen Einfluss einschlägige Technologien auf die jüngsten Präsidentschaftswahlen in Brasilien gehabt hätten, deren Manipulationspotenzial sei aber hoch. So hätten der Wahlgewinner Jair Bolsonaro und sein Team WhatsApp als Hauptmedium für Propaganda genutzt und "Nonstop-Messages" für den Rechtskonservativen versandt.

Dabei hätten Datenbanken mit privaten Handy-Nummern eine wichtige Rolle gespielt, führte von Bülow aus. Diese seien oft illegal erstellt und mit Targetingkriterien versehen worden. Weder die Behörden noch die Zivilgesellschaft seien darauf vorbereitet gewesen. Schon vorher habe ein von Social Bots angefeuertes Retweet-Netzwerk die Kampagne zum Sturz der früheren Präsidentin Dilma Rousseff vorangetrieben und "die Türen geöffnet für extremeres Gedankengut".

Vor allem Peking habe den Einsatz digitaler Techniken perfektioniert, um die Bevölkerung mit Kameras, Gesichtserkennung, Big Data und Social Scoring zu kontrollieren, monierte Xiao Qiang, Leiter des China Internet Project an der University of California in Berkeley. Halbstaatliche nationale Tech-Giganten wie Huawei, Alibaba oder Tencent spielten dabei eine wichtige Rolle und seien dabei, derlei Überwachungstechnologien vor allem nach Afrika und Südamerika zu exportieren. Demokratische Länder müssten sich dagegen verteidigen und dem "chinesischen digitalen Totalitarismus" widerstehen, der längst vermischt sei mit dem Überwachungskapitalismus aus dem Silicon Valley.

Der Menschenrechtler mahnte eine kollektive Antwort auf dieses Phänomen an. China spiele seine Marktmacht bereits vor allem im Mobilfunk und bei sozialen Netzwerken etwa per WeChat oder TikTok international aus. Aber auch bei KI und biometrischen Erkennungsmethoden drohten Amazon, Apple, Facebook und Google ihre Vorteile zu verlieren. An sich sei die Demokratie aber eine starke Regierungsform, die auch die Nazis und den Kalten Krieg mit seinen Atombedrohungen für die gesamte Menschheit überlebt habe. (cbr)