Der Glöckner aus Rüsselsheim

Alltag im Opel Ampera-e

An Quasimodo, den Protagonisten aus "Der Glöckner von Notre-Dame", erinnerte mich der Opel Ampera-e. Auch er hat ein gutes Herz, das vieles überstrahlt. Noch viel schöner wäre es gewesen, wenn man ein ebenso gutes Auto drumherum gebaut hätte

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Opel Ampera-e 14 Bilder

(Bild: Pillau)

Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Martin Franz
Inhaltsverzeichnis

Dieser Erfahrungsbericht besteht aus drei Teilen.

Teil 1: Start Praxistest: Opel Ampera-e

Teil 2: Elektrischer Alltag im Opel Ampera

Als am 15. April in Kirche Notre-Dame ein dramatischer Brand ausbrach, der Menschen rund um die Welt bewegt hat, tauchte aus den Tiefen meines Bücherregals der historische Roman „Der Glöckner von Notre-Dame“ von Victor Hugo wieder auf. An den Protagonisten Quasimodo dieser berühmten Geschichte erinnerte mich der Opel Ampera-e aus unserem Praxistest. Auch er hat ein gutes Herz, das vieles überstrahlt. Noch viel schöner wäre es gewesen, wenn man ein ebenso gutes Auto drumherum gebaut hätte. Hat man aber nicht.

Unverkennbar amerikanisch

Ich meine damit nicht das Äußere. Ob der Ampera-e als unschön oder attraktiv angesehen werden kann, liegt sicher im Auge des Betrachters. Für mich ist das eine schwülstige Kombination aus ein bisschen SUV und einem Rest Van. Auch im Innenraum gibt es formal nichts, was mich positiv anspricht. Sei es drum, es wird sicher Menschen geben, denen dieser Knubbel gefällt. Doch abseits der formalen Gestaltung gibt es ein paar Dinge, die angesichts des Preises eine mutige Ansage sind. Bei den Innenraummaterialien wie auch bei der Verarbeitung schimmert die amerikanische Herkunft für meinen Geschmack dann doch zu heftig durch. Das Cockpit besteht aus einem Kunststoff, der ansonsten vermutlich nur für die Innenverkleidung von Kühlschränken verwendet wird – von sehr günstigen Kühlschränken. Mit der bei Opel sonst üblichen Qualitätsanmutung hat das so viel zu tun wie Minderheitenschutz mit dem amtierenden US-Präsidenten.

Woher die Leiste am Armaturenbrett ihr Muster hat, möchte ich ebenso wenig wissen wie die genaue Herkunft der Sitzbezüge aus Leder. Man könnte meinen, das Tier, dem sie diese Haut abgezogen haben, hat nie gelebt. Die Ampera-e-Sitze selbst sind von der Qualität der zu Recht gelobten AGR-Sitze, die Opel anderswo einbaut, weiter entfernt als Orio in Michigan, wo der Chevrolet Bolt gebaut wird, von Rüsselsheim. Es fehlt an Seitenhalt und Unterstützung im unteren Rückenbereich. Immerhin ließen sie sich weit genug nach hinten schieben, um selbst meinen langen Beinen ausreichend Platz zu lassen.

Reichlich gespart

Die Mittelarmlehne wirkt schon im Fast-Neu-Zustand arg klapprig, die dünne Hutablage so spillerig, dass selbst in der Bedienungsanleitung davor gewarnt wird, dort etwas abzulegen – was sicher einen anderen Hintergrund hatte. Ein doppelter Ladeboden, unter dem die Kabel einfach verschwinden könnten, fehlt leider. Wer sie dort verstauen will, muss sie in die vorgegebene Form drücken. Muss man an so etwas wirklich sparen?

Kurz: Für die Anmutung würde ein 20.000-Euro-Auto vergleichbarer Größe mit Verbrennungsmotor geteert und gefedert werden. Opel zeigt im ähnlich langen Crossland X, dass sie es sehr viel besser können. In der von uns gefahrenen Nobel-Version „Ultimate“ kostet der Ampera-e aber fast 50.000 Euro. So sympathisch mir der Antrieb ist – und er ist es wirklich sehr – für diese Summe sollte, ja muss ein Auto feiner verpackt sein. Eine Ansicht, die zugegebenermaßen nicht mal in der Redaktion alle teilen.

Gespart wurde auch bei der Dämmung der Umgebungsgeräusche. Der Antrieb ist so leise, dass zugegebenermaßen die Unbescheidenheit steigt. Mit nur etwas mehr Schallisolierung in den Radkästen wäre der Ampera-e auf Landstraßen vermutlich sensationell ruhig, so eben nur ziemlich leise. So leise, dass der Fahrer oft erst anhand zurückbleibender Verkehrsteilnehmer merkt, wie schnell er schon wieder ist.

Wackelige Verbindung

Kritik gibt es auch an der Unterhaltungselektronik. Es gibt im Ampera-e kein Navigationssystem, was ich nicht schlimm finde. Mir geht es diesbezüglich wie meinem Kollegen Clemens: Kaum ein werksseitig verbautes Infotainmentsystem ist die Wahnsinnssumme wert, die fast alle Hersteller dafür aufrufen. Opel setzt dagegen auf Apple CarPlay und Android Auto. Mit meinem Nokia 6.1 (Test) harmonierte das System gar nicht, anders als im kürzlich gefahrenen Seat Leon TGI (Test). Ich hatte das Kabel im Verdacht, aber ein Wechsel änderte nichts. Matthias aus der Techstage-Redaktion lieh mir ein ZTE Blade V10 aus, ebenfalls mit Android 9, aktuellem Patchlevel und Android Auto. Damit lief es halbwegs stabil.