Mitarbeiter über 50: Die Generationsdebatte – nutzlos oder notwendig?

Weil Ältere selten eine berufliche Perspektive von ihrem Arbeitgeber bekommen, braucht es Netzwerke, die sich für sie einsetzen.

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Mitarbeiter über 50: Die Generationsdebatte – nutzlos oder notwendig?
Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Peter Ilg
Inhaltsverzeichnis

Mit 20 hat Waltraud Hermann Physik studiert, mit 30 Wirtschaftsinformatik und mit 50 Philosophie. Seit 27 Jahren arbeitet sie bei Bosch, jetzt in der Organisationsentwicklung. Die hoch qualifizierte 58-jährige leitet ein Team, das sich um Kultur, Führung und Agilität im Unternehmen kümmert. Die andere Aufgabe bei ihrem Arbeitgeber ist eine freiwillige: Hermann ist Sprecherin des Mitarbeiter-Netzwerks 50plus@bosch. Das besteht seit 2006.

Waltraud Hermann ist Sprecherin des Mitarbeiter-Netzwerks 50plus@bosch.

(Bild: Fotostudio Janke)

"Wir setzen uns für berufserfahrene Kollegen ein, damit sie geschätzt und anerkannt werden, ihre besonderen Fähigkeiten und Potentiale einbringen, sich weiterentwickeln können und den Wandel hin zur Digitalisierung mitgestalten.“ Das sind Selbstverständlichkeiten für einen respektvollen und wertschätzenden Umgang miteinander. Warum braucht es dann das Netzwerk?

In einer Umfrage im Jahr 2013 an drei Standorten wollten die Netzwerkmitglieder wissen, wie es diesen Mitarbeitern im Unternehmen geht. Fast 3000 antworteten. Die wesentlichen Erkenntnisse daraus:

  1. Es mangelt an Wertschätzung in dieser Altersgruppe.
  2. Weiterbildung und Führung durch Vorgesetzte findet in dieser Altersgruppe nicht mehr statt.
  3. Bei interessanten Aufgaben kommen Jüngere zum Zug.
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"Zwei Drittel der Beschäftigten 50plus sind zwar zufrieden mit den Weiterentwicklungsmöglichkeiten und der Förderung durch den Vorgesetzten. Doch die Zufriedenheit in anderen Altersklassen ist höher“, sagt Hermann. Deshalb sei die Interessensvertretung Ü50 notwendig. Diese Altersklasse beginnt bei Bosch schon Ü46 und endet im Renteneintrittsalter. Im Jahr nach der ersten fand eine zweite Befragung an einem anderen großen Standort statt mit sehr ähnlichen Ergebnissen.

Ü50-Netzwerke gibt es in Deutschlands Unternehmen zu Hauf. Von Ü30- oder Ü40-Netzwerke hört man nichts. Doch auch die gibt es, sie tragen nur andere Namen. Bei Bosch heißen sie "Papas @ Bosch" und "Women @ Bosch". Eine Lebenssituation oder das Geschlecht entscheiden über eine mögliche Zugehörigkeit. Jede dieser Gruppen verfolgt ihre eigenen Ziele. Dasselbe scheint für die unterschiedlichen Generationen zu gelten, von den Baby-Boomern über X, Y und Z. Was geschieht nun, wenn in einem Team, wie es gang und gäbe ist, unterschiedliche Generationen zusammenarbeiten? Entstehen dann Probleme aufgrund unterschiedlicher Interessen?

"Das Theater um die unterschiedlichen Generationen in den Unternehmen ist völlig nutzlos“, sagt Christian Stamov Roßnagel, Professor für Organisationspsychologie an der privaten Jacobs University Bremen, denn "was können die Firmen mit der Information anfangen, welcher Generation jemand angehört?“ Beispiel altersgemischte Teams. Die gelten als besonders konfliktträchtig. Heißt das, ein Team aus lauter 30-Jährigen arbeitet konfliktfrei zusammen? "Wegen unterschiedlichen Alters entstehen nicht mehr oder weniger Probleme, als aus anderen Gründen.“ Menschen waren schon immer unterschiedlich, werden es immer sein und das Alter ist nur eine von vielen Quellen für solche Unterschiede, so der Professor.

Hinzu kommen Geschlecht, Lebensphase, oder Persönlichkeit. Dass Unternehmen ein Diversity-Management brauchen, davon ist Stamov Roßnagel überzeugt. "Damit verbinde ich individuelle, menschengerechte Führung – doch individuell und Generationenschubladen schließen sich offensichtlich gegenseitig aus.“ Daher finde menschengerechte Führung nur selten statt.

Das Aufhebens um die unterschiedlichen Generationen ist nach Meinung des Organisationspsychologen ein hilfloser Versuch der Unternehmen, ihre Arbeitgeberattraktivität zu steigern mit dem Ziel, die Alten halten, weil immer weniger Junge nachkommen, und von denen zugleich möglichst viele für sich gewinnen.

"Die Unternehmen versuchen mit ihren Generationennetzwerken und Initiativen für Ältere möglichst arbeitnehmerfreundlich zu sein und den Erwartungen und Präferenzen der einzelnen Generationen entgegenzukommen“, sagt Stamov Roßnagel. Was in den wenigsten Fällen geschehe. Dass die Alten sich alt fühlen kommt aus den Zeiten, als die Unternehmen 50-jährige im großen Stil in Frührente geschickt haben. „Dass diese Generation heute umgarnt wird, beruht auf Vernachlässigungserscheinungen der vergangenen Jahre“, sagt Stamov Roßnagel. Vorher wollte man sie loswerden, jetzt wird versucht, sie zu halten, weil sie gebraucht werden.

Doch die Potentiale erfahrener Mitarbeiter werden nicht adäquat berücksichtigt. "Wenn das der Fall wäre, gäbe es uns als Netzwerk gar nicht“, sagt Hermann. Bosch macht alle zwei Jahre eine Mitarbeiterbefragung. Die Leute Ü50, also über 46 Jahre, schneiden darin im Punkt Weiterbildung am schlechtesten ab. Junge werden bei internen Stellenwechseln bevorzugt, Ältere kommen kaum zu Zuge. „Wir haben eine wertschätzende Arbeitskultur, gleichzeitig spielen Führungskräfte und deren Einstellung eine wichtige Rolle bei der Weiterentwicklung der Mitarbeiter“, sagt Hermann.

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Führungskräfte hätten häufig die jüngeren Mitarbeiter im Blick, wenn es um die Weiterentwicklung und Karrieremöglichkeiten gehe. „Und Erfahrene sprechen das bei ihrem Vorgesetzten oft gar nicht erst an. Dabei ist in der heutigen Zeit lebenslanges Lernen bis ins hohe Alter notwendig“, so Hermann. Indem die Netzwerkmitglieder mit Kollegen, Führungskräften und Personalern sprechen, wollen sie diese für die Potenziale der 50plus Mitarbeiter sensibilisieren und diese Altersgruppe stärker in den Fokus rücken.

Dass jüngere viel und ältere wenig von Digitalisierung verstehen würden, hält Hermann für eine Mär. "Wir Älteren haben die Technik dafür entwickelt. Einige der Jüngeren entwickeln sie weiter, aber viele konsumieren sie lediglich.“ Nur gemeinsam könne das Beste für alle herausgeholt werden. Stamov Roßnagel sieht das ähnlich: „Zu behaupten, die Jungen seien wesentlich digitalaffiner als Ältere, ist Unsinn.“ Für ihn ist auch ein bestimmtes Thema wie Digitalisierung keine Frage des Alters, sondern ebenso der Persönlichkeit. Wer sich die Neugierde erhalten hat, könne auch mit Ü60 gut am PC sein. (axk)