"Zombie Vorratsdatenspeicherung": EU-Staaten fordern umfassende Studie

Der EU-Ministerrat drängt auf eine Neuauflage der Protokollierung von Nutzerspuren. Die Kommission soll auch eine "allgemeine" Datenspeicherung ausloten.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 172 Kommentare lesen
Server, Rechenzentrum, Vorratsdatenspeicherung
Lesezeit: 4 Min.
Inhaltsverzeichnis

Die Justizminister der EU haben am Donnerstag bei ihrem Treffen in Luxemburg die Kommission aufgefordert, eine "umfassende Studie" zu "möglichen Lösungen für die Vorratsdatenspeicherung" durchzuführen. Dabei soll die Brüsseler Regierungseinrichtung gezielt "einen künftigen Gesetzgebungsvorschlag" im Hinterkopf haben, heißt es in einer Erklärung des Ministerrats. In den Blick zu nehmen seien dabei auch "Konzepte der generellen, der gezielten und der beschränkten" Protokollierung von Nutzerspuren.

Vorratsdatenspeicherung

Die Initiative ist heikel, da der Europäische Gerichtshof (EuGH) 2014 und 2016 glasklar geurteilt hat, dass eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung unvereinbar mit den Grundrechten der Gemeinschaft ist. Das Bundesverfassungsgericht will zudem in diesem Jahr darüber entscheiden, ob das hiesige, derzeit ausgesetzte Gesetz zur verdachtsunabhängigen Aufzeichnung von Verbindungs- und Standortdaten mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

Der Rat gibt der Kommission dazu nur mit auf den Weg, die sich entwickelnde relevante Rechtsprechung des EuGH und nationaler Gerichte sowie den weiteren Überlegungsprozess in dem Ministergremium mit einzubeziehen. Zudem gelte es zu erforschen, welche "kumulativen" Auswirkungen strenge Schutzvorkehrungen und potenzielle Schranken bei der Tiefe der Grundrechtseingriffe etwa auch beim gezielten Zugriff auf die begehrten Informationen haben könnten, um einen neuen Anlauf rechtskonformer zu gestalten.

Allgemein soll die Regierungsinstitution die Bedürfnisse der zuständigen Sicherheitsbehörden ausloten, "Daten verfügbar zu haben, die unbedingt notwendig sind im Blick einer effektiven Bekämpfung von Kriminalität einschließlich Terrorismus". Auch Konsultationen mit anderen Interessengruppen halten die Mitgliedsstaaten für keine falsche Idee. Die geplante, von den Ländern bislang blockierte E-Privacy-Verordnung darf deren Ansicht nach der effektiven Strafverfolgung in diesem Bereich auf keinen Fall entgegenstehen. Über den Stand ihrer Arbeit soll die Kommission bis Ende des Jahres Bericht erstatten.

Bereits seit einigen Jahren arbeitet der Rat an neuen Ansätzen zur Vorratsdatenspeicherung, wobei ihm die Quadratur des Kreises angesichts der hohen rechtlichen Hürden aber bislang nicht gelungen ist. Unter anderem waren bereits "erneuerbare Anordnungen" im Gespräch, über die Provider Telekommunikationsdaten "anlassbezogen" unter bestimmten Bedingungen für eine gewisse Zeit lang archivieren sollten. Der jüngste, von Europol ausgeheckte Vorschlag lautet, etwa auf Informationen zur Länge der genutzten Antennen, zur Verbindungsqualität und zur Zahl der Klingeltöne der jeweiligen Nutzer zu verzichten.

Die Bundesregierung hat für den neuen EU-Plan gestimmt. Sie habe bereits am 22. Mai auf diplomatischer Ebene im Ausschuss der ständigen Vertreter (AStV) des Rates die Annahme der Schlussfolgerungen befürwortet, erklärte das Bundesinnenministerium in einer jetzt veröffentlichten Antwort auf eine Anfrage der Bundestagsfraktion "Die Linke". Die Kommission habe bei der jüngsten Ratsarbeitsgruppe unter Verweis auf die Wahlen zum EU-Parlament und der darauf folgenden Neukonstituierung des Regierungsgremiums zwar darauf hingewiesen, dass der Zeitpunkt für eine derartige Studie ungünstig sei. Die konkreten weiteren Schritte seien der Bundesregierung aber nicht bekannt.

Der EU-Experte der Linken im Bundestag, Andrej Hunko, sieht mit dem neuen Schritt das EU-Parlament überrumpelt: Auch wenn die Mitgliedsstaaten zunächst nur einen Gesetzesfahrplan verabschiedet hätten, handele es sich dabei dennoch "um ein uferloses Überwachungsprojekt, bei dem zum allergrößten Teil Unbescholtene ins Raster geraten". Mit ihrem Plazet für eine "beschränkte" Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung verkaufe die Regierung die Bürger "komplett für dumm", da Polizei und Geheimdienste nur sinnlose Daten aussparen wollten.

"Der Zombie Vorratsdatenspeicherung ist zurück", befürchtet auch der frischgebackene EU-Abgeordnete Patrick Breyer. Nötig sei nun ein "Aufschrei der Zivilgesellschaft", da ein solches flächendeckendes Instrument "maximal in die Privatsphäre eingreift". Es beschädige den Schutz journalistischer Quellen, erschwere vertrauliche Beratung sowie Hilfe und könne selbst höchste Amtsträger erpressbar machen, moniert der Pirat. EU-Staaten wie Deutschland hätten auch ohne Vorratsdatenspeicherung laut unabhängigen Studien ebenso hohe Aufklärungsquoten wie solche, "die zu diesem leicht zu umgehenden Überwachungshammer greifen".

Auch Oliver Süme, Chef des eco-Verbands der Internetwirtschaft, lehnt "jede politische Maßnahme einer Wiederbelebung der Vorratsdatenspeicherung" entschieden ab. Entsprechende Diskussionen stellte "eine unmittelbare Gefahr für einen stabilen digitalen Binnenmarkt in Europa" dar und brächten "bei der Bekämpfung von Kriminalität keinen erkennbaren Mehrwert". Einschlägige Sammlungen von persönlichen Kommunikationsdaten" seien vielmehr "ergiebige Datenquellen für Spionage und Missbrauch jeder Art". (olb)