Intelligent Vehicles: Wenn autonome Autos in die Zukunft sehen

Prognosen, wie sich andere Verkehrsteilnehmer verhalten werden, können Unfälle vermeiden. Intelligente Fahrzeuge sollen das in Zukunft leisten.

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Intelligent Vehicles: Was bringt die Zukunft?
Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Hans-Arthur Marsiske
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Die Zukunft lasse sich nicht vorhersagen, heißt es oft. Dabei tun wir es ständig: Mit erstaunlich hoher Trefferquote prognostizieren wir, dass das Fahrzeug vor uns gleich abbiegen oder ein Fußgänger die Straße überqueren wird. Manchmal helfen uns dabei deutliche Zeichen wie eine blinkende Leuchte, manchmal sind es subtilere Hinweise, etwa in der Körperhaltung, die wir kaum bewusst wahrnehmen.

Autonome Fahrzeuge müssen auch dazu in der Lage sein, wenn sie sich sicher in den Verkehrsfluss einfügen sollen. Beim Intelligent Vehicles Symposium in Paris ist daher viel von Prognoseverfahren die Rede. Dabei geht es zumeist um eine Zeitspanne von wenigen Sekunden, die aber entscheidend sein können, sodass man zum Beispiel auf der Autobahn vom Spurwechsel eines vorausfahrenden Autos nicht überrascht wird. So präsentierte Wenwen Si (Carnegie Mellon University) einen Algorithmus, der den Vorhersagefehler für dieses Szenario in einem Zeitfenster von 2,5 Sekunden um 60 Prozent reduziert. Das als AGen (Adaptive Generative Model) bezeichnete Verfahren baue auf dem Lernverfahren PS-GAIL (Parameter Sharing Generative Adversarial Imitation Learning) auf, erläuterte sie. Dies sei aber nicht in der Lage, individuelle Differenzen im Verhalten der Fahrzeuge zu erfassen. Ihr Forschungsteam habe es daher mit dem Algorithmus RLS-PAA (Recursive Least Square Parameter Adaptation Algorithm) kombiniert und so eine bessere Anpassung an die aktuelle Verkehrssituation erzielt.

Zhanhong Yan (University of Tokyo) richtete den Blick dagegen ins Innere eines manuell gesteuerten Fahrzeugs, um aus dem Verhalten des Fahrers auf einen bevorstehenden Spurwechsel zu schließen. Dabei wurden Kopfbewegungen und Blickrichtung erfasst. Es zeigte sich, dass die Blickrichtung unzuverlässige Daten lieferte und die Bewegungen des Kopfes allein ausreichten, um den Beginn der Aktion mit einer Genauigkeit von 0,58 Sekunden und das Ende auf 0,51 Sekunden genau vorherzusagen. Yan verglich auch verschiedene Rechenverfahren, von denen sich GRU (Gated Recurrent Unit Network) als überlegen gegenüber LSTM (Long Short-term Memory) und SVM (Support Vector Machines) erwies.

Forscher der TU Delft haben die besonders gefährdeten Verkehrsteilnehmer im Auge, die bei dem Pariser Symposium mit dem Kürzel VRU (Vulnerable Road Users) bezeichnet werden. Um den Weg eines Radfahrers eine Sekunde in die Zukunft vorherzusagen, sei es nötig, den Kontext der jeweiligen Situation zu berücksichtigen, sagte Ewoud Pool. Eine Videosequenz, die er zur Illustration abspielte, zeigte einen Radfahrer aus der Perspektive eines hinter ihm fahrenden Autos, der sich einer Abzweigung näherte. Der Abstand zu dieser Abzweigung, die zum Überholen erforderliche Zeit und die Wahrscheinlichkeit, dass der Radfahrer den Arm hebt, seien die Parameter die hier von einem RNN (Recurrent Neural Network) berücksichtigt wurden, so Pool. Der durchschnittliche Vorhersagefehler habe bei 33 Zentimetern gelegen. Das verwendete Verfahren habe den Vorteil, dass es keine vorab vorgenommenen Modellannahmen erfordere. Zukünftig wollen die Forscher es aber mit modellbasierten Verfahren wie DBN (Dynamic Bayesian Network) kombinieren, um auf diese Weise Expertenwissen mit einzubeziehen.

Während die niederländischen Forscher das Verhalten des Radfahrers mit einer Kamera erfassten, wird am Forschungszentrum CARISSMA der Technischen Hochschule Ingolstadt für die gleiche Aufgabe mit Radar experimentiert. Patrick Held zeigte, wie aus den reflektierten Signalen aufgrund des Doppler-Effekts Bewegungsmuster erkannt werden können. "Wenn der Radfahrer bei Annäherung an eine Abzweigung aufhört zu treten, deutet das darauf hin, dass er anhalten wird", sagte er. Dagmar Steinhauser führte vor, wie auf ähnliche Weise die Intentionen von Fußgängern erfasst werden können.

Deutlich weiter in die Zukunft blickt die Studie, die Sebastian Hörl (ETH Zürich) vorstellte. Mithilfe der Open-Source-Plattform eqasim und des Simulators AMoDeus haben die Forscher die Effekte eines AMoD-(Autonomous Mobility-on-Demand)-Systems für Paris simuliert. Sie kamen zum Ergebnis, dass so ein Angebot fahrerloser Taxen bei einer Flottengröße von 25.000 Fahrzeugen zu einem Preis von 0,27 Euro pro Kilometer operieren könne. Das sei günstig, verglichen mit den Kosten der Nutzung eines privaten Fahrzeugs, die bei etwa 0,30 Euro pro Kilometer lägen. Hörl betonte noch einmal, dass sich diese Vorteile autonomer Fahrzeuge nur bei einer öffentlichen Nutzung ergäben, nicht aber, wenn sich solche Autos in Privatbesitz befänden. Das hatte sich auch bereits bei einer Simulationsstudie für den Raum Zürich gezeigt, die die ETH-Forscher durchgeführt haben.

Eine Studie von US-Forschern hatte auf Grundlage realer Verkehrsdaten erst vor kurzem ebenfalls unterstrichen, dass neue Verkehrsmittel trotz gegenteiliger Beteuerungen nicht automatisch das Verkehrsaufkommen reduzieren: Tatsächlich kamen die Forscher von der University of Kentucky zu dem Ergebnis, das Fahrdienste wie Uber und Lyft zu mehr Verkehr und längeren Fahrzeiten geführt hätten.

So wies dann auch der Verkehrsexperte Tom Vöge in seiner Keynote beim Pariser Symposium darauf hin, dass autonome Fahrzeuge zunächst einmal genau so viel Platz beanspruchten wie konventionelle Autos oder Elektromobile. Es sei überhaupt nicht ausgemacht, dass sich die Zahl der Fahrzeuge auf den Straßen im Zuge der Automatisierung verringerte. Hier seien Politiker gefordert, rechtliche und regulatorische Rahmenbedingungen zu schaffen. Sie müssten die Führung übernehmen, um den Wandel in eine gesellschaftlich erwünschte Richtung zu lenken. Zu den minimalen Erfordernissen, die dabei erfüllt werden müssten, zählte er die Vermeidung einer Abkehr von umweltfreundlichen Arten der Fortbewegung wie Laufen und Radfahren, die Gewährleistung von Mobilität für alle und natürlich Sicherheit.

Vöge warnte davor, sich vom gegenwärtigen Hype blenden zu lassen. Die Technologie stecke immer noch in ihren Anfängen, niemand wisse, wohin sie führe. Die ferne Zukunft lässt sich eben nach wie vor nicht vorhersehen – wohl aber gestalten.

(olb)