Flow on demand
Kann KI uns zu einem erfĂĽllten Arbeitsleben verhelfen? Forscher vom Karlsruher Institut fĂĽr Technologie sind davon ĂĽberzeugt.
(Bild: Shutterstock)
- Christian Honey
Ich sitze in Kabine B10 an einem kleinen Tisch mit einem Bildschirm darauf. B10 misst gerade mal 1,5 Quadratmeter, ist schalldicht verschlossen und neonhell beleuchtet. Das allein ist klaustrophobisch. Verstärkt wird der Effekt noch von den drei EKG-Elektroden, die auf meiner Brust kleben. Die Kabel führen zu einem Computer, der unter dem Tisch surrt. Er zeichnet meinen Herzschlag auf, während ich angestrengt die Kopfrechenaufgaben löse, die auf dem Bildschirm erscheinen.
B10 ist nur eine von 40 Kabinen im Decision & Design Lab des Karlsruher Instituts für Technologie. Hier nehme ich an einem Experiment teil, das die Zukunft der Arbeit einläuten soll, zumindest wenn es nach der Vision der Versuchsleiter geht. Eine Zukunft, in der Arbeitgeber den Geisteszustand ihrer Mitarbeiter mit physiologischen Signalen vermessen, damit diese bei ihrer Arbeit im „Flow“ bleiben, jenem mysteriösen Zustand, in dem man eins wird mit seiner Aufgabe, die Zeit vergisst und obendrein Höchstleistungen erbringt. Der Beginn einer Arbeitswelt, in der alle Menschen ihren Job lieben – und nur mithält, wer ständig im Flow ist?
Den Flow erkennen
Erdacht hat das Experiment die Forschungsgruppe von Alexander Mädche, Direktor am Institute of Information Systems and Marketing (IISM) des KIT. "Uns interessiert generell die menschzentrierte Gestaltung interaktiver intelligenter Systeme", sagt Mädche. "Ein wichtiges Ziel unserer aktuellen Forschungsarbeiten ist, intelligente Informationssysteme zu entwickeln, die Flow in Echtzeit erkennen und verarbeiten.“ So ein System soll dann zum Beispiel entscheiden, wann einem Mitarbeiter E-Mails oder Benachrichtigungen gezeigt werden, damit dessen Flow möglichst wenig unterbrochen wird.
Neu ist der Wunsch, Flow in die Business-Welt zu bringen, nicht. Beschrieben hat das Konzept bereits in den 1970er-Jahren. der Psychologe Mihály CsĂkszentmihályi von der Universität Chicago. Er hatte damals Hunderte Menschen, die ihre Tätigkeit als Selbstzweck empfanden, zu ihren Leidenschaften befragt: Kletterer, Tänzer, Schachspieler, Komponisten, Basketballspieler. Die Ergebnisse fasste CsĂkszentmihályi 1975 in seinem Buch „Beyond Boredom and Anxiety“ zusammen. Darin definiert er Flow als Zustand der glĂĽcklichen Selbstvergessenheit. Menschen kämen immer dann in diesen Zustand, wenn ihre Handlungen „einer internen Logik folgen, aber keiner bewussten Steuerung [...] unterliegen“. Sie erlebten ihre Handlungen dann zwar noch bewusst, vergessen sich aber selbst ĂĽber ihrer Aufgabe. Begleitet ist der Zustand laut CsĂkszentmihályi vom einem positiven GefĂĽhl der Kontrolle ĂĽber sich selbst und die Situation.
GlĂĽckliche Effizienz bei der Arbeit
Diesen Zustand glĂĽcklicher Effizienz wollen die Forscher vom KIT bei IT-gestĂĽtzter Arbeit fördern – oder zumindest nicht stören. Der Flow hat nach CsĂkszentmihályi drei entscheidende Vorbedingungen: Erstens muss die Aufgabe selbst Feedback ĂĽber die Leistung zur VerfĂĽgung stellen, zweitens muss sie ein deutlich erkennbares Ziel haben, und drittens muss sie den Fähigkeiten eines Menschen entsprechen; sie darf ihn weder ĂĽber- noch unterfordern.
"Früher hat man geglaubt, dass ein Flow-Zustand nur bei Tätigkeiten auftritt, die keine extrinsische Belohnung einbringen, wie etwa finanzielle Vorteile", sagt Mario Nadj, wissenschaftlicher Mitarbeiter von Mädche. "Zwischenzeitlich wurde aber nachgewiesen, dass Menschen unter den richtigen Bedingungen auch im Arbeitskontext in den Flow kommen können." Das schließe monotonere Arbeitsaufgaben ein. Zu den "richtigen Bedingungen" zähle dabei neben der Arbeitsumgebung auch die Einstellung des Mitarbeiters gegenüber seiner Aufgabe.
(wst)