40 Jahre Walkman: Musik zum Mitnehmen

Am 1.7.1979 kommt Sonys „Walkman“ in Japan in den Handel. Er begründet eine neue Produktgattung und eine neue Art des Lebens mit Musik – überall und jederzeit.

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40 Jahre Walkman: Musik zum Mitnehmen

(Bild: Ned Snowman / Shutterstock)

Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Karl-Gerhard Haas
Inhaltsverzeichnis

Selbst für Mitgründer eines bedeutenden Elektronikkonzerns wird Unmögliches nicht sofort möglich gemacht – Wunder dauern eben etwas länger. Masaru Ibuka, seinerzeit Ehrenvorsitzender des Sony-Aufsichtsrats, nimmt den 1978 erschienenen tragbaren Kassettenrecorder TC-D 5 des Hauses und einen Kopfhörer auf Reisen mit, um seiner Lieblingsmusik zu lauschen. Der Recorder ist wegen seiner Qualität über Jahrzehnte beliebtes Arbeitsgerät von Rundfunkreportern – aber alles andere als mobil mit einem Gewicht von 1,7 Kilogramm, einer Höhe von fast fünf Zentimetern und einer Fläche, die deutlicher größer als die eines DIN-A5-Blattes ist. Zudem kostet er damals in Deutschland rund 1.400 D-Mark – für den Massenmarkt ist das deutlich zu teuer.

Etwas kleineres, leichteres und erschwinglicheres muss her – die Zeit ist reif dafür. Denn Musik zum Mitnehmen bedeutet in den 1970ern wahlweise ein Transistorradio – die ersten kamen schon Ende der 1950er auf den Markt – oder die bei Jugendlichen beliebte Kombination von Radio und Kassettenrecorder („Radiorecorder“). Die lassen sich auch von Batterien speisen. In ihrer maximalen Ausbaustufe sind diese Mobilunterhalter rund 60 Zentimeter breit und werden – mit Blick auf die Rap- und Breakdance-Subkultur – als Ghettoblaster verspottet.

Alternativ sind ohrumschließende Kopfhörer mit integriertem, batteriebetriebenem Radio gerade der letzte Schrei. Aber mit westentaschentauglichen Radios ist man auf Gedeih und Verderb dem vor Ort verfügbaren Programm ausgeliefert und steckt schon lange vor der Entwicklung des Mobiltelefons gelegentlich im Funkloch.

Radiorecorder ihrerseits sind so sperrig und schwer, dass man sie kaum ständig dabei haben kann und will. Zudem arbeiten viele noch mono. Ihr Batterieverbrauch macht Musik unterwegs zum teuren wie kurzen Vergnügen – leistungsfähige Akkus sind in den 1970ern noch Mangelware. Schließlich gilt schon damals Wilhelm Busch: „Musik wird oft nicht schön empfunden, weil sie stets mit Geräusch verbunden.“ In Bus, Bahn oder auf dem Bürgersteig strapaziert man mit nicht bestellter Beschallung die Nerven seiner Mitmenschen und riskiert durchaus auch körperliche Unmutsäußerungen.

Der Urahn aller Walkman: Der in Deutschland seinerzeit 400 D-Mark teure TPS-L 2 erobert die Herzen Jugendlicher im Sturm. Trotz technischer Unzulänglichkeiten definiert er bis heute die Art und Weise, wie wir unterwegs Musik hören.

(Bild: Sony)

All das ändert der Walkman. Sony-Gründer Ibuka fragt den damaligen stellvertretenden Generaldirektor Norio Ohga, ob er nicht die „Pressman“ genannten Sony-Diktiergeräte umbauen könne – Aufnahmemöglichkeit raus, Stereo-Wiedergabe rein. Ohga und der Leiter des Geschäftsbereichs Tonbandgeräte, Kozo Ohsone, können. Der Diktiergeräte-Umbau – wie dann auch der erste Walkman TPS-L 2 – ist taschenbuchgroß, läuft mit einem Satz Batterien lange genug für eine Bahnfahrt oder Flugreise und beschickt nur – ebenfalls kompakte und leichte – Kopfhörer. Da man auf die 1963 von Philips entwickelte Compactcassette als Musikträger setzt, passt ausreichend Abwechslung in Gestalt weiterer Bänder problemlos ins Gepäck.

In den 1970ern blüht zudem das Geschäft mit vorbespielten Kassetten; Kassettenrecorder, um eigene Programme aufzunehmen, gibt es ebenfalls zu überschaubaren Preisen. Programm ist also ausreichend verfügbar. Schließlich: Der Klang der ersten Walkman und ihrer Kopfhörer ist zwar noch nicht wirklich hi-fidel, aber um Welten besser als das, was aus dem Drei-Zentimeter-Lautsprecherchen eines Kassettenrecorders quäkt.

Die mobilen Musiker starten verhalten: Als Sony die ersten Muster seinen Händlern vorstellt, bemäkeln die die fehlende Aufnahmemöglichkeit. Dennoch lässt der Chef Akio Morita gleich 30.000 Exemplare fertigen – von Sonys populärstem Kassettenrecorder wurden zu der Zeit 15.000 Stück pro Monat verkauft. Sony lädt acht Tage vor dem Verkaufsstart, am 22. Juni 1979, die japanische Presse in den Yoyogi-Park, einen Treffpunkt junger Skateboard- und Rollschuhfahrer ein. Man bittet die Medienvertreter, die Walkman-Kopfhörer aufzusetzen und die Wiedergabetaste zu drücken. Das Gerät erklärt sich selbst – aber die leicht dadaistische Performance lässt die Journaille eher kühl reagieren. Viel schlimmer: Bis Ende Juli 1979 gehen in Japan nur 3000 der Kassettenspieler über die Ladentheken. Offensichtlich ist der Nutzen des seltsamen Kistleins nicht selbsterklärend. Sony schickt Sonntags die jüngsten Mitarbeiter durch die belebten Tokioter Viertel Shinjuku und Ginza, die für Aufmerksamkeit sorgen und den Passanten den Klang demonstrieren. Japanische Promis werden werbewirksam in Anwesenheit von Pressefotografen mit Walkman bedacht. Das wirkt und bis Ende August 1979 sind die 30.000 Player verkauft.

Ein halbes Jahr später soll der Walkman auch den Rest der Welt beglücken. Die Vorbereitungen laufen – aber noch immer ist man bei Sony nicht sicher, ob der für den japanischen Markt gewählte Name wirklich ideal ist. Für die USA denkt man an "Soundabout", für Großbritannien an "Stowaway" und für Schweden ist "Freestyle" geplant. Aber während einer Europareise wird Akio Morita in Frankreich und Großbritannien von Eltern bedrängt, deren Kinder fragen, wo sie einen "Walkman" bekommen könnten. Offensichtlich brachten Japan-Touristen erste Exemplare der Musikspieler mit in die Heimat; der Name Walkman ist vor der offiziellen Markteinführung bereits geläufig – und bleibt. Als Gattungsbegriff existiert er bis heute. Die Konkurrenz lässt sich für ihre Mobilplayer gezwungenermaßen Anderes einfallen, was oft krude Resultate zeitigt: Beim deutschen Hersteller Grundig etwa heißen die Kassetten-Portis "Beat Boy".

Der Walkman wird 40 (10 Bilder)

Mit ihr fing alles an: Ohne die 1963 von Philips vorgestellte Compactcassette hätte es wohl noch sehr lange keine mobile Musikunterhaltung mit dem persönlichen Wunschprogramm gegeben. Philips verzichtete auf Lizenzzahlungen, um Sony als Partner für sein Format zu gewinnen.
(Bild: Philips)

Zunächst macht Sony das Geschäft allein. Nur: Schon 1977 hat der Deutsche Andreas Pavel eine ähnliche Idee, die er er 1977 als "Stereobelt" zum Patent anmeldet. Die Konzepte ähneln sich verblüffend, Pavel und Sony streiten bis 2004 um Lizenzzahlungen. Fest steht, dass Pavel diversen Firmen, darunter auch Sony, das Konzept angeboten hat – ob die Japaner wirklich die Idee abkupferten oder, wie so oft in der Technikgeschichte, die Zeit einfach reif für ein solches Produkt war, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Auf Sony-Seite sind die unmittelbar Beteiligten verstorben, für diesen Artikel konnte heise online Andreas Pavel nicht erreichen.

Die juristische Auseinandersetzung spielt in den Jahren nach der Markteinführung zunächst keine Rolle – Sony konzentriert sich auf andere Dinge. Denn die Qualität des Ur-Walkman ist bestenfalls mittel – Diktiergeräte sind zwar mobil, werden bei der Aufnahme und Wiedergabe aber so gut wie nicht bewegt. Der Antrieb des TPS-L 2 ist daher alles andere als trudelsicher, an Joggen ist nicht zu denken. Die damals verbreitete Dolby-B-Schaltung (zu der Zeit meist nur NR wie Noise Reduction genannt), die der Compactcassette wenigstens ansatzweise das auffällige Rauschen austreibt, fehlt dem Walkman, was man unter Kopfhörern besonders deutlich hört. Eine korrekte Wiedergabeentzerrung für die damals verbreiteten Chromdioxidbänder ("Typ II") glänzt ebenfalls mit Abwesenheit. Nicht einmal einen gemeinsamen Lautstärkeregler für linken und rechten Kanal gibt es, was Balancefehler geradezu provoziert.