Bastelcomputer Raspberry Pi 4 im Test

Mit der vierten Generation des Raspi erfüllt die Raspberry Pi Foundation viele Wünsche der Bastlergemeinde. Die verbesserte Hardware macht neue Projekte möglich, etwa Streaming-Clients für 4K-Videos.

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Super-Himbeere: Raspberry Pi 4
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Das war eine Überraschung: Fast aus dem Nichts präsentierte die Raspberry Pi Foundation den Raspberry Pi 4 mit schnellerem Hauptprozessor, viel mehr RAM und leistungsfähigeren Schnittstellen wie USB 3.0 und Gigabit Ethernet. Damit werden nun Raspi-Projekte möglich, die zuvor an zu magerem Arbeitsspeicher, zu lahmer USB-2.0-Anbindung oder fehlendem Decoder für H.265-(HEVC-)Video scheiterten.

Dank kluger Entscheidungen bleibt der Preis für den 1-GByte-Raspi sogar fast gleich, nur die Varianten mit 2 oder 4 GByte RAM sind teurer – aber immer noch billiger als die meisten konkurrierende Einplatinencomputer. Doch der Reihe nach.

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Weiterhin stammt der wichtigste Raspi-Chip von Broadcom: Der BCM2711 enthält vier CPU-Kerne vom Typ ARM Cortex-A72 sowie eine VideoCore-VI-(VC6-)GPU. Bei ungefähr dem gleichen Strombedarf wie der Vorgänger BCM2387B0 liefert der BCM2711 spürbar mehr Rechenleistung, weil die CPU-Kerne etwas höher takten (bis zu 1,5 statt 1,4 GHz) und Out-of-Order-Execution beherrschen. Im EEMBC CoreMark schafft der Neuling aus der 28-Nanometer-Fertigung etwas mehr als die doppelte Punktzahl des Vorgängers, sowohl mit nur einem Kern als auch mit allen Kernen gleichzeitig. Bei kontinuierlicher Last auf allen vier Kernen drosselt sich der Neuling deutlich später, liefert also länger viel höhere Performance. Bei Last auf einem einzigen Kern trat in unseren Tests auch ohne aktive Kühlung keine Drosselung auf, anders als noch beim BCM2837B0. Behutsames Übertakten auf 1750 MHz funktioniert ohne Garantieverlust, lohnt aber nicht.

Herz des Raspberry Pi 4 Model B ist der Broadcom BCM2711 (silbern), der hier mit einem LPDDR4-SDRAM mit 4 GByte gekoppelt ist.

Beim VideoCore VI steht weniger die stärkere 3D-Beschleunigung im Vordergrund als eher die verbesserten Video-Decoder und vor allem der hier integrierte Speicher-Controller, der nun bis zu 4 GByte LPDDR4-SDRAM anbindet. Letzteres überträgt Daten auch deutlich schneller als der zuvor verwendete LPDDR2-Speicher, ist aber weiterhin aufgelötet und nicht aufrüstbar.

Fest eingebaut im BCM2711 ist auch ein Media Access Controller (MAC) von Broadcom für Gigabit Ethernet (GE), der über den sogenannten PHY-Chip BCM54213PE die RJ45-Buchse ansteuert. Damit schafft der Raspi 4 nun endlich volle GE-Geschwindigkeit von rund 100 MByte/s, während der Raspi 3B+ mit seinem per USB 2.0 angebundenen GE-Chip höchstens etwa ein Drittel davon lieferte. Und weil an den BCM2711 via PCI Express (PCIe 2.0) auch ein USB-3.0-Controller angeschlossen ist, nämlich der VIA Labs VL805, taugt der Raspberry Pi Model 4 B (RPi4B) auch viel besser als kleiner Netzwerkspeicher (NAS): Von einer USB-3.0-Festplatte oder -SSD am Raspi können andere Geräte im LAN mit bis zu 80 MByte/s Daten lesen. Ist die SSD mit LUKS verschlüsselt, sind es noch 60 MByte/s. Detaillierte Benchmarks dazu liefern wir in einer der nächsten Ausgaben.

Für die Stromversorgung mit 5 Volt hat der RPi4B nun eine USB-C-Buchse statt MicroUSB. Man braucht also auch ein Netzteil mit USB-C-Stecker oder einen einfachen Adapter. Die Raspberry Pi Foundation verkauft ein passendes USB-C-Netzteil, das 15 Watt liefern kann (5 V/3 A). Wenn keine stromdurstigen USB-Geräte wie schnelle Massenspeicher an den USB-Buchsen hängen, soll der RPi4B weiterhin mit einem 2,5-Ampere-Netzteil auskommen.

Neu sind auch die beiden Micro-HDMI-Buchsen statt nur einer in normal großer HDMI-Bauform. Auch hier kommt man mit Adaptern weiter, empfehlen können wir das jedoch nicht: Es passen keine zwei solcher Adapter nebeneinander und die Adapter belasten die kleine Buchse physisch wesentlich stärker als ein Kabel mit Micro-HDMI-Stecker. Achtung: Es gibt auch Mini-HDMI, zum Beispiel am Raspi Zero – also nicht die falschen Adapter oder Kabel kaufen! Schon wegen der beiden Micro-HDMI-Buchsen passt der RPi4B nicht in die Gehäuse für seine Vorgänger, außerdem wurde die RJ45-Netzwerkbuchse versetzt. Das neue „offizielle“ Gehäuse ist derzeit leider noch nicht lieferbar. Das alte Original-Gehäuse kann man aber erst mal benutzen, wenn man einen Steg abfeilt und eine Seitenblende weglässt.

Im Vergleich zum Raspberry Pi 3 Model B+ (rechts) fallen die blauen USB-3.0-Buchsen und die neue Position des Ethernet-Ports auf.

Die beiden Micro-HDMI-Buchsen liefern HDMI-2.0-Signale für Displays mit Auflösungen bis zu 4K alias Ultra HD (UHD), also mit 3840 × 2160 Pixeln. Einen solchen Schirm kann der Raspi mit 60 Hz ansteuern, zwei gleichzeitig nur mit jeweils 30 Hz. Das genügt zwar für 4K-Videos mit 24 oder 30 fps, aber nicht für ergonomisches Arbeiten am Linux-Desktop. An Full-HD-Displays gibts auch zweimal 60 Hz gleichzeitig. Der VideoCore kann auch 10-Bit-Signale dekodieren und ausgeben. Für eine der diversen Geschmacksrichtungen von HDR fehlt aber noch die Software.

Im Test mit einer Vorabversion von LibreELEC 10 ließen sich HEVC-(H.265-)kodierte 4K-Videos mit 60 Bildern pro Sekunde (2160p60) flüssig dekodieren und auf einem 4K-Display abspielen – aber bisher nur mit 30 fps. Der Hardware-Decoder für H.264 (MPEG-4 AVC) arbeitet nur bis Full HD (1080p60). Für den bei YouTube-Videos gängigen VP9-Codec gibt es keine Spezial-Hardware – hier muss man die Auflösung reduzieren oder YouTube mit einer Browsererweiterung dazu überreden, einen H.264-Stream zu liefern.

Der Browser Chromium unter Raspbian kann die Video-Decoder im BCM2711 bisher nicht nutzen; hier ruckelt es daher bei hohen Auflösungen. Genauso sieht es beim Videoplayer VLC aus. Bei beiden könnte es eine Weile dauern, bis sie die HEVC-Hardware nutzen können, meint Eben Upton von der Raspberry Pi Foundation. Der Integrationsweg sei ein anderer als beim De- und Encoder für H.264, es muss eine Menge Code neu geschrieben werden.

Wie bei früheren Modellwechseln achtet die Raspberry Pi Foundation auf möglichst gute Kompatibilität zu den Vorgängern, damit sich vorhandene Software weiter nutzen lässt. Deshalb bleibt Raspbian zunächst 32-bittig. Diese Version kann die potenziellen Vorteile der ARMv8-kompatiblen Cortex-A72-Kerne nicht ausreizen, es spricht sie als ARMv7-Kerne an. Von der Rechenleistung einfacher x86-Prozessoren wie Intels „Atom-Celeron“ N4100 bleibt der RPi4B weit entfernt, er kostet aber auch nur einen Bruchteil. Ein 64-Bit-Kernel ist bei der Foundation in Arbeit, aber wann er kommen könnte, ist ungewiss. Andere Distributionen haben schon länger 64-Bit-Kernel für den Raspi, die laufen zurzeit aber noch nicht auf dem RPi4B.

Ob schon vorhandene Aufsteckmodule, die sogenannten HATs, weiterhin funktionieren, hängt in erster Linie von ihrer Form ab. An den 40 GPIO-Pins hat sich physisch nichts geändert, an den internen Anschlüssen für Kamera und Display gar nichts.

Die Leistungsaufnahme des Raspberry Pi 4 Model B ist zwar absolut gesehen gering, er braucht im Leerlauf 3,7 Watt inklusive Gigabit-Ethernet-Verbindung und Dongle für eine Funktastatur. Das ist aber ein ganzes Watt mehr als beim Vorgänger. Um den Mehrbedarf ins Verhältnis zu setzen: Viele USB-3.0-Sticks brauchen schon über 1 Watt, selbst wenn sie bloß in der USB-Buchse stecken. Und im Soft-off-Modus kommt der RPi4B mit nur 0,3 Watt aus, der Vorgänger brauchte das Dreifache.

Unter Last, aber ohne Monitor schluckt der Neuling mit maximal 6,1 Watt nicht nennenswert mehr als der 3B+, der nach dem Update auf Raspbian Buster 5,8 Watt umsetzt. Unter Dauer-Höchstbelastung etwa mit OpenSSL-Verschlüsselung auf allen CPU-Kernen gleichzeitig erhitzen sich letztere innerhalb einiger Minuten auf über 80 Grad Celsius, dann drosselt der Chip seine Leistung stufenweise. Bis es soweit ist, dauert es aber wesentlich länger als beim Raspi 3B+.

Mit Gigabit Ethernet und zwei USB-3.0-Buchsen eignet sich der RPi4B deutlich besser als Mini-Server als seine Vorgänger. GE liefert beim RPi4B die volle Transferrate von rund 925 MBit/s und ist über einen Broadcom-Standardtreiber in Linux beziehungsweise Raspbian eingebunden. Auch der RPi4B ist für die Stromversorgung via Ethernet (PoE) vorgerüstet, man braucht dazu aber noch eine Zusatzplatine.

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Als NAS-Ersatz taugt der Raspi freilich nur für bestimmte Einsatzzwecke, weil man dabei leicht Eigentore schießt: USB-Platten und zusätzliche Hubs schlucken leicht mehr Strom als der Raspi selbst. Das gilt vor allem für externe Festplatten im 3,5-Zoll-Format, von denen manche mehr als 10 Watt verbraten. Wer mehrere Terabyte flotten Netzwerkspeicher braucht, ist mit einem „richtigen“ NAS besser bedient.

Der WLAN-Chip des RPi4B ist wie beim Vorgänger der Cypress CYW43455 mit 802.11ac. Er ist weiterhin per SDIO mit dem BCM2711 verbunden, hat inzwischen aber Bluetooth 5.0 gelernt. SDIO ist eine Variante der Schnittstelle für SD-Karten, aber eben für I/O-Bausteine – und arbeitet besonders sparsam.

Mit seiner einzigen, auf der Platine integrierten Antenne (1 Stream, also 1 × 1) ist der CYW43455 kein Sprinter, schafft aber immerhin bis zu 85 MBit/s, umgerechnet netto rund 8 MByte/s. Das reicht für viele Bastelprojekte zur Datenübermittlung und auch noch für Videostreaming bis Full-HD-Auflösung. Im 5-GHz-Band fällt die Leistung je nach Orientierung der Antenne, die ja von der Position des gesamten Raspi abhängt, über die 20-Meter-Distanz deutlich ab.

Der Raspberry Pi 4 Model B ist eine tolle Überraschung, er kann praktisch alles besser als der gleich teure Vorgänger und erweitert den Einsatzbereich des Raspi in viele Bereiche, für die man bisher teurere Einplatinencomputer mit weniger ausgereifter Software-Infrastruktur nehmen musste. An Raspbian muss die Entwickler-Community allerdings noch gehörig schleifen und polieren, weil vieles noch nicht klappt: Booten per USB und Netz, 64-Bit-Kernel und -Anwendungen, H.265-Videos und die Einbindung der Video-Decoder in Chromium und andere Software. Auch der Zwei-Schirm-Betrieb ist noch nicht ohne Tücken.

Ob sich der RPi4B auch als Desktop-PC-Alternative eignet, wie Eben Upton immer wieder betont, hängt stark von der persönlichen Erwartungshaltung ab. Wer den RPi4B als Desktop-PC nutzen will, sollte auf jeden Fall mindestens zur 2-GByte-Version greifen. Die 4-GByte-Version ist für aufwendigere Projekte sinnvoll. Über eine 8-GByte-Version wird schon spekuliert, doch falls sie überhaupt kommt, dann wohl erst nach der Einführung eines 64-Bit-Raspbian – und das kann noch dauern. Geduld brauchen Raspi-Freunde jedoch sowieso, denn bisher gibt es erst kleinere Stückzahlen des RPi4B und das sehr günstige USB-C-Netzteil der Foundation kann man wohl erst ab August kaufen.

Doch auch wenn fast jeder teurere Raspi-Konkurrent irgendetwas schneller oder besser kann: Der Raspi 4 ist mit einem Schlag wieder der beste Allrounder.


Die Raspberry Pi Foundation und Raspi-Mastermind Eben Upton zeigen, wie man das Maximum aus beschränkten Mitteln herausholt: Beim Raspi geht es nicht um Höchstleistung in Einzeldisziplinen, sondern um ein effizientes, bezahlbares und beherrschbares Komplettpaket. Zum gleichen Preis und bei ähnlicher Leistungsaufnahme liefert der Raspi 4 erheblich mehr Leistung und Ausstattung. Das gelingt den Raspi-Machern, indem sie ganz gezielt möglichst wenige Teile verbessern, auf breite Wirkung jeder einzelnen Maßnahme achten und zudem Nebenwirkungen und Kosten scharf im Blick behalten. Dabei geht es nicht nur um Hardware-Preise, sondern auch um den Aufwand für die Entwicklung, Software-Support und Liefermöglichkeiten. Insgesamt setzt der Raspi geradezu idealtypisch das KISS-Prinzip um: Keep it simple, Stupid!
Genial ist aber auch die Idee, den Raspi in möglichst wenigen Varianten für möglichst viele Einsatzbereiche zu fertigen und zusätzlich gewerbliche Käufer aus den Sparten industrielle Steuerung, Embedded Systems und Digital Signage anzulocken – der RPi4B wird bis 2026 gefertigt, taugt also auch für länger laufende Projekte und bekommt vermutlich Nachfolger, auf die man vergleichsweise leicht umsteigen kann.
Geschickt nutzt Eben Upton seine engen Verbindungen zur Firma Broadcom, wo er weiterhin als Chip-Architekt auf der Gehaltsliste steht. Das macht Dinge möglich, die andere Projekte nicht hinbekommen, etwa offene Linux-Treiber für den VideoCore VI und die Entwicklung des Spezialchips BCM2711, der eng mit Broadcom-SoCs für Settop-Boxen verwandt ist. Und auch wenn Broadcom die WLAN-Sparte an die Firma Cypress verkauft hat (die bald ein Teil von Infineon sein dürfte), sind die Kontakte anscheinend gut. Ich bin sehr gespannt, was noch alles kommt! (Christof Windeck)


Dieser Artikel stammt aus c't 15/2019 (ciw)