Kennzeichenerfassung: Brandenburgs Innenministerium will weitermachen

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts hält das brandenburgische Innenministerium Kfz-Kennzeichenerfassung weiterhin für legal.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 57 Kommentare lesen
Münchner Kennzeichen
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Christiane Schulzki-Haddouti
Inhaltsverzeichnis

Die Polizei Brandenburg erfasst mit elf Kennzeichen-Scannern täglich rund um die Uhr etwa 55.000 Nummernschilder von Fahrzeugen und speichert diese in einer Datenbank auf unbestimmte Zeit. Die Daten werden nur auf Mitteilung der Staatsanwaltschaft gelöscht. Seit Anfang 2017 gab es keine solchen Mitteilungen mehr, wohl weil es ständig ein laufendes Verfahren gab. Inzwischen sollen 40 Mio. personenbezogene Daten im Rahmen dieser Schleierfahndung gespeichert worden sein. Nach Auffassung des Innenministeriums handelt es sich aufgrund der laufenden Speicheranordnungen um keine Vorratsdatenspeicherung.

Das Bundesverfassungsgericht hatte erst im Februar für die Kennzeichenerfassung strenge Vorgaben aufgestellt. Demnach muss ein Kfz-Kennzeichenabgleich "auf den Schutz von Rechtsgütern von zumindest erheblichem Gewicht“ beschränkt werden. Es dürfen "jeweils nur die Fahndungsbestände zum Abgleich herangezogen werden“, "die zur Abwehr der Gefahr geeignet sind“. Das Gericht hielt dabei grundsätzlich fest: "Zur Freiheitlichkeit des Gemeinwesens gehört es, dass sich die Bürgerinnen und Bürger grundsätzlich fortbewegen können, ohne dabei beliebig staatlich registriert zu werden, hinsichtlich ihrer Rechtschaffenheit Rechenschaft ablegen zu müssen und dem Gefühl eines ständigen Überwachtwerdens ausgesetzt zu sein.“ Bis Ende 2019 müssen die Bundesländer nun ihre Praxis der Kfz-Kennzeichenerfassung korrigieren.

Im Mai wurde bekannt, dass die brandenburgische Polizei die Kennzeichenerfassung unverändert fortführte. Ein vom brandenburgischen Innenministerium am 1. Juli fertiggestellter Bericht, der von Netzpolitik.org publiziert wurde, rechtfertigt die Anwendungspraxis. Erstellt wurde er von Beamten des Innenministeriums und der Polizei, wobei es zu Überwerfungen gekommen sein soll: Der zuständige Abteilungsleiter des Innenministeriums wurde versetzt. Er hatte die Praxis als "unverhältnismäßig“ bezeichnet. Der Personalrat hat deshalb eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Innenminister erstattet.

"Der Bericht weicht maßgeblichen Fragen aus“, moniert Nils Leopold, der die grüne Bundestagsfraktion in Datenschutzfragen berät. Er sieht keine Rechtsgrundlage für die Erhebung der Daten, der vom Innenministerium angeführte Paragraf 100 h StPO genüge nicht.

Die Piratenpartei will mit Blick auf die jüngste Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die brandenburgische Speicherpraxis gerichtlich prüfen lassen und legte Beschwerde beim Amtsgericht und Landgericht ein. "Dass ein deutsches Bundesland völlig wahllos alle Autofahrer verfolgt und auf Vorrat speichert, hätte ich nicht für möglich gehalten", sagt Patrick Breyer, Europaabgeordneter der Piratenpartei Deutschland.

Die Brandenburger Landesdatenschutzbeauftragte Dagmar Hartge prüft seit mindestens vier Jahren, ob das Scannen von Fahrzeugkennzeichen in Brandenburg rechtmäßig ist, kam aber bisher zu keiner abschließenden Beurteilung. Ein Sprecher der Behörde erklärte, dass sich in den letzten Jahren die zu prüfenden Fragestellungen ständig weiterentwickelten. Die Datenschutzaufsicht hat dem Innenministerium begleitend zum KESY-Prüfbericht eine Reihe weitergehender Fragen gestellt. Die Polizei habe diese fristgerecht beantwortet, betonte der Sprecher gegenüber heise online. Die Antworten würden derzeit ausgewertet. Noch in diesem Jahr soll eine Prüfung vor Ort durchgeführt werden. Der Bericht der KESY-Prüfgruppe soll dann in diesem Zusammenhang bewertet werden.

Bereits im November 2015 hatte die Datenschutzaufsichtsbehörde im Innenausschuss des Landtags bemängelt, "dass die Nutzung der Kennzeichenfahndung für Zwecke der Strafverfolgung faktisch dazu führt, dass die Kameras ständig Fahrzeuge erfassen und bestimmte Straßenabschnitte entgegen einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts flächendeckend erfasst werden.“ Damals wie heute verfügt die Datenschutzaufsicht jedoch nicht über die Befugnis, die von ihr kritisierte Erfassungspraxis zu verbieten. Das hat der Landtag ihr verwehrt: Nach Paragraf 36 des erst im Juni 2019 verabschiedeten Brandenburgischen Polizei-, Justizvollzugs- und Maßregelvollzugsdatenschutzgesetzes kann die Aufsicht lediglich eine Anweisung erteilen, dass ein erheblicher Verstoß beseitigt wird und die Datenverarbeitungsvorgänge zeitweise einschränken.

(axk)