Wie Tech-Konzerne in die Finanzbranche eindringen

Große Technologieunternehmen haben beste Voraussetzungen dafür, auch Finanzdienstleistungen anzubieten – und tun dies nicht erst seit Facebook Libra. Laut einer neuen Studie der BIZ birgt das Chancen ebenso wie Risiken.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 1 Kommentar lesen
Libra

(Bild: dpa, Kay Nietfeld)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Sascha Mattke
Inhaltsverzeichnis

Bislang machen Finanzdienstleistungen nur einen kleinen Anteil der globalen Aktivitäten von riesigen Technologiefirmen wie Alibaba, Amazon, Facebook, Google oder Tencent aus. Angesichts ihrer Größe und Verbreitung könnten sich solche Anbieter aber rasch eine dominierende Position in der Branche verschaffen – und dies brächte Gefahren für Wettbewerb, Finanzstabilität und gesellschaftlichen Wohlstand mit sich. Davor warnt in einer neuen Studie mit dem Titel "Big Tech in Finance" die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), eine Art weltweite Über-Zentralbank.

Die Studie, Teil des jährlichen Wirtschaftsberichts der BIZ, wurde Ende Juni veröffentlicht – am Ende der Woche, in der Facebook weit reichende Pläne zur Einführung einer eigenen Digitalwährung namens Libra bekannt gegeben hatte. Als Reaktion auf dieses Vorhaben ist sie schon wegen des kurzen zeitlichen Abstandes nicht zu verstehen. Aber sie zeigt, wie aktuell das Thema bereits ist. "Wir haben die richtige Woche für die Veröffentlichung des Kapitels gewählt", sagte dazu Hyun Song Shin, Research-Leiter bei der BIZ.

Bislang, so haben die Experten der BIZ berechnet, machen Finanzdienstleistungen ungefähr 11 Prozent der Umsätze der großen Technologieunternehmen aus. Die meisten von ihnen würden von Asien-Pazifik und Nordamerika aus operieren, aber Nutzer in der gesamten Welt bedienen. In China sei ihr Vordringen in die Finanzbranche bislang am stärksten ausgeprägt, aber auch in anderen Schwellenländer-Regionen wie Südostasien, Ostafrika und Lateinamerika gehe es damit schnell voran.

Der Einstieg von großen Technologieunternehmen in den Finanzbereich hat laut den BIZ-Ökonomen durchaus positive Aspekte. Denkbar sei, dass er die Effizienz der Bereitstellung von Dienstleistungen erhöhe, finanzielle Inklusion erleichtere (dieses Argument wurde auch von Facebook für Libra vorgebracht) und somit der Wirtschaftsleistung insgesamt zugute komme. Denn mit ihren vergleichsweise niedrigen Kosten könne die Tech-Branche auch grundlegende Finanzdienstleistungen bieten und dabei das Risiko von Kreditnehmern mit Hilfe ihrer großen Datenmengen möglicherweise genauer einschätzen als traditionelle Anbieter.

Als typisches und am nächsten liegendes Beispiel für Finanz-Aktivitäten von Tech-Konzernen nennt die Studie Zahlungsdienstleistungen wie Alipay von Alibaba in China. Diese Unterstützung für Transaktionen auf Handelsplattformen und Überweisungen von Nutzer zu Nutzer könne als "Ergänzung und Verstärkung" des bestehenden Geschäfts dienen: Sie liefere zusätzliche Daten, die dann wieder genutzt werden könnten, um andere Bereiche wie zielgenaue Anzeigen oder weitere Finanzdienstleistungen wie Kredit-Bewertung voranzubringen.

Auch traditionelle Banken haben viele Kunden und breite Angebote, aber laut den Experten der BIZ waren sie bislang nicht so gut in der Lage wie die kommende Konkurrenz aus dem Tech-Sektor, die bei Internet-Plattformen alles entscheidenden Netzwerk-Externalitäten – mehr Nutzer bedeuten einen höheren Wert für andere Nutzer, was zu einem selbstverstärkenden Zyklus führen kann – zu ihrem Vorteil zu nutzen. Zum Teil liege dies an Regulierung, zum Teil aber auch an alten IT-Systemen, die eine Verknüpfung unterschiedlicher Dienstleistungen erschwere.

Großes Potenzial für Finanzdienste von Technologieunternehmen besteht laut der Studie vor allem bei der Kreditvergabe. Hier liegen die größten Kosten und Probleme traditionell darin, vorab die Kreditwürdigkeit von Kunden einzuschätzen und anschließend die Rückzahlung sicherzustellen. Mit den vielen Daten über ihre Nutzer und ihrer Fähigkeit, deren Aktivität zu überwachen, seien Unternehmen auf dem Technologiebereich hier bestens aufgestellt, zu niedrigeren Kosten zu operieren und damit den Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten zu verbreitern.

Genau diese Vorteile, so die BIZ-Ökonomen weiter, könnten sich aber auch in ihr Gegenteil verkehren. Sobald ein attraktives Ökosystem aus Tech- und Finanzdiensten eines Anbieters entstanden sei, gebe es für Konkurrenten kaum noch Spielraum, dagegen anzutreten – der Netzwerk-Effekt bedeutet, dass die Einstiegshürden für andere immer höher werden. Für die Finanzbranche könnte das bedeuten: Erst nimmt der Wettbewerb zu, weil neben den klassischen Anbietern solche aus dem Tech-Bereich mitmischen. Später aber könnten die Internet-Riesen auch im Finanzbereich zu Quasi-Monopolisten werden, denen kaum noch jemand gefährlich werden kann.

Mehr Infos

Und wenn es erst einmal so weit ist, könnten die neuen Platzhirsche anfangen, ihre dominierende Stellung auszunutzen, wie es Monopolisten nun einmal tun. So könnten sie ihre überlegene Daten-Ausstattung und -Analysen nicht nur für eine effiziente Bewertung der Kreditwürdigkeit nutzen, sondern auch dafür, bei jedem einzelnen Kreditnehmer den maximalen Zinssatz herauszuholen, den er gerade noch zu zahlen bereit ist. Und wer bei der Tilgung in Verzug gerät, könnte mit der Drohung, ihn vom Rest der Dienste seines kreditgebenden Unternehmens wie etwa Facebook auszuschließen, auf Kurs gezwungen werden.

Mit dem Eindringen der Tech-Konzerne in das Finanzwesen, so das Fazit der Studie, müsse sich auch die Regulierung dafür umstellen. Statt hauptsächlich Finanzstabilität seien hier in Zukunft auch Fragen von Wettbewerb und Datenschutz berührt, für die bislang jeweils unterschiedliche staatliche Stellen zuständig seien. Entscheidend für die neue Zeit sei deshalb eine Abstimmung zwischen allen beteiligten Aufsichtsbehörden – auf nationaler wie internationaler Ebene.

(sma)