Fokus Plastik: Gutes Plastik - Schlechtes Plastik

Extrem haltbar und vielseitig auf der einen, eine große Umweltgefahr auf der anderen Seite: Plastik ist ein einziges Dilemma. Wie lösen wir es?

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Elektromobilität: Auf dem Weg zum Öko-Akku

(Bild: Alamy)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Tim Schröder

Dass Kunststoff einst ein so schlechtes Image haben würde wie heute, hätten sich die Pioniere des Plastikzeitalters wohl nie träumen lassen. 1870 meldete der US-amerikanische Tüftler und Chemiker John Wesley Hyatt sein Patent für die erste Billardkugel aus Zelluloid an, einem Kunststoff aus pflanzlicher Zellulose. Bis dahin hatte man mit Elfenbeinkugeln gespielt.

Jetzt präsentierte John Wesley Hyatt mit seinem Zelluloid eine billige – und selbst nach heutigen Maßstäben immer noch nachhaltigere – Alternative. Damals wurde Zelluloid unter Handelsnamen wie Cubana oder Rotperl zum Renner: Brillengestelle, Messergriffe oder Schmuck kamen in die Läden. In den folgenden Jahrzehnten gesellten sich viele neue Kunststoffe hinzu. Sie wurden zum Inbegriff der Moderne, denn endlich ließen sich preisgünstig haltbare, hygienische Produkte wie Becher, Eimer oder Schüsseln herstellen. "Stell dir eine Welt ohne Mottenfraß und Rost vor, eine Welt voller Farben", so stimmte 1941 der "Plastic Man" ein Loblied auf die Ära der Kunststoffe an – ein Comicheld aus den USA.

Die Vision des Plastic Man ist Realität geworden. In den 1950er-Jahren produzierte die Menschheit jährlich rund 1,5 Millionen Tonnen Kunststoffe. Heute sind es etwa 350 Millionen. Doch die Geister, die man rief, wird man nur schwer wieder los. Plastik gehört zum größten Umweltproblem unserer Zeit. Längst ist die Begeisterung in harsche Kritik umgeschlagen. Eine der größten Stärken der Kunststoffe, ihre besondere Haltbarkeit, ist gleichzeitig ihre größte Schwäche: Sie verschwinden nicht von allein. Sie gleichen dem Plastic Man, der in mehreren Comic-Neuauflagen bis ins 21. Jahrhundert überlebt hat.

Aber ganz ohne Plastik geht es eben auch nicht, zumindest nicht mit den heutigen Vorstellungen von Wohlstand. Denn Kunststoff liefert nicht nur Plastiktüten, Käsebehälter oder Gurkenfolien. Sondern auch Bauteile, die dank Carbonfaserverstärkung Flugzeuge leichter und spritsparender machen. Im Krankenhaus sind sterile Katheter oder Spritzen aus Kunststoff ein Muss. Auf einen Fahrradhelm aus Kunststoff, der haltbar, robust und elastisch ist, um Stöße abzufangen, würden Radler nur ungern verzichten. Und Polyestergewebe ist so fest, dass man pro laufendem Meter 20 bis 50 Tonnen Gewicht anhängen kann. Damit lassen sich riesige Stadiondächer bauen, die 50 Meter überspannen, aber nur einen Millimeter dick sind. Stahl hat eine Dichte von 7,8 Gramm pro Kubikzentimeter, Aluminium von 2,7 und Kunststoff im Schnitt von 1,5. Mit Kunststoffen lassen sich viele Konstruktionen also deutlich leichter auslegen, was Rohstoffe spart.

Selbst bei den viel kritisierten Verpackungen ist das Bild keineswegs so einseitig, wie die Kritiker es zeichnen: Plastik ist ideal, um Lebensmittel frisch zu halten und hygienisch zu verpacken. Grillwürstchen zum Beispiel werden eingeschweißt, damit kein Fett nach außen tritt, das Fleisch nicht austrocknet und Keime nicht ins Innere gelangen. Und das Wichtigste: Das Material muss ungiftig und lebensmittelecht sein. Bei der Chipstüte sind sogar mehrere Kunststofffolien von nur wenigen Mikrometern Dicke miteinander verschweißt, damit das Aroma drinnen und die Luftfeuchtigkeit draußen bleibt. Damit sind die Chips auch nach einem halben Jahr noch knackfrisch – wodurch sie länger im Regal liegen und seltener weggeschmissen werden. Wegen der verschiedenen Kunststofftypen in der Folie lässt sich eine solche Verpackung aber kaum recyceln, sondern nur verbrennen. Doch eine Alternative gibt es kaum. Glas etwa wäre ungeeignet, weil es wenig sinnvoll ist, luftig leichte Chips in eine so schwere Verpackung zu füllen. Wie also kommen wir aus diesem Dilemma heraus?

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(jsc)