Drittes CRISPR-Baby in China geboren?

Ein weiteres gentechnisch verändertes Baby könnte geboren worden sein. Die Welt wird aber vielleicht nie von seiner Geburt erfahren, wenn die chinesische Regierung beschließt, sie geheim zu halten.

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Baby, Hand, Kommunikation, Algorithmen

(Bild: Rita, gemeinfrei)

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Von
  • Antonio Regalado

Im November 2018 wollten Genforscher in Hongkong auf dem zweiten internationalen Kongress über Genomeditierung bei Menschen die Vor- und Nachteile gentechnisch veränderter Personen erörtern. Stattdessen wurde die Veranstaltung durch die kurz vorher bekannt gewordenen Enthüllungen des chinesischen Biophysikers He Jiankui erschüttert: Er habe genau das bereits vollbracht und nach eigenen Angaben bei Zwillingsmädchen mit dem leistungsstarken Geneditierwerkzeug CRISPR ein Gen Namens CCR5 beschädigt, um die Kinder vor einer HIV-Infektion zu schützen.

Dann überraschte der chinesische Wissenschaftler die geschockten Experten gleich aufs Neue. Eine zweite chinesische Frau sei mit einem weiteren CRISPR-Baby schwanger, bei dem die CCR5-Kopien ebenfalls funktionsuntüchtig gemacht wurden. Dieses dritte Kind könnte bereits auf die Welt gekommen sein. Der Arzt William Hurlbut, der als Ethiker an der Stanford University in Kalifornien arbeitet und seit 2017 regelmäßig mit He in Verbindung stand, weiß, an welchem ​​Tag das dritte Baby gezeugt wurde. Er will das Datum jedoch nicht öffentlich machen, da dann das Risiko bestünde, dass die Information die Identität der Eltern und des Kindes preisgibt. Nur so viel verriet er Anfang Juli gegenüber Technology Review: "Was ich sagen kann, ist, dass eine normale Schwangerschaft 38 bis 42 Wochen dauert und diese ziemlich in der Mitte davon liegt."

Nun rätseln CRISPR-Experten, ob die chinesische Regierung das dritte CRISPR-Baby jemals offiziell bestätigen wird. Zwar hat etwa Rosario Isasi, Bioethikerin an der Universität von Miami, die chinesischen Wissenschaftsführer dazu ermutigt, "eine Erklärung abzugeben und Schadensbegrenzung zu betreiben". Die Regierung möchte jedoch möglicherweise nicht mehr auf sich aufmerksam machen, und Experten in China zögern, Hes Experiment in überwachten Social-Media-Netzwerken wie WeChat zu diskutieren. "Die Regierung ist sich sämtlicher Übertretungen sehr klar bewusst. Sie haben das Tiananmen-Jubiläum, sie haben die Proteste in Hongkong und sie haben die CRISPR-Babys", sagt Isasi.

Viele Experten befürchten, dass weitere CRISPR-Babys unvermeidlich sind. Trotz der Forderung nach einem weltweiten Moratorium ist es unmöglich, den Zugang zur gentechnischen Modifizierungstechnologien zu beschränken, die relativ einfach durchzuführen sind. Erst im Juni sagte ein Wissenschaftler in Moskau, er hoffe, als nächster CRISPR-Babys erzeugen zu können, wenn er dafür eine Zulassung erhalte.

Gen-Editiermethoden - eine kleiner Einblick (6 Bilder)

Das System aus CRISPR (Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats) und der Cas9-Nuklease haben die Molekularbiologinnen Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentier 2012 entdeckt. Dank seiner einfachen Handhabe und geringer Kosten erlebt die Gentherapie derzeit ein Revival.
(Bild: Text: Inge Wünnenberg; Grafik: Brian Sipple)

Am 25. November hatte Technology Review als erster darüber berichtet, dass He Jiankui mithilfe der CRISPR-Technik gentechnisch veränderte Embryos erzeugt und Frauen eingesetzt hatte. Innerhalb weniger Stunden veröffentlichte der chinesische Biophysiker eine Reihe von YouTube-Videos, in denen er behauptete, seine gentechnischen Veränderung von menschlichen Embryonen hätten zur Geburt von "zwei schönen kleinen chinesischen Mädchen" geführt, den zweieiigen Zwillingen Lulu und Nana.

Anstatt als wissenschaftlicher Held gefeiert zu werden, wurde He von Beobachtern auf der ganzen Welt inklusive China scharf kritisiert, weil er ein riskantes und medizinisch sinnloses Experiment durchgeführt habe. Zwei Tage nachdem der bis dahin relativ unbekannte Forscher die Videos hochgeladen hatte, kam sein dramatischer Auftritt bei dem Hongkonger Kongress, wo er seine Ergebnisse vorstellten durfte. Während einer Befragung durch den britischen Entwicklungsbiologen Robin Lovell-Badge vom Francis Crick Institute in London folgte die zweite große Überraschung. "Nur damit das klar ist, gibt es andere Schwangerschaften, bei denen als Teil Ihrer klinischen Studien gentechnische Änderungen vorgenommen wurden?", fragte Lovell-Badge. "Es gibt eine weitere, mögliche Schwangerschaft", antwortete He. Sie war durch einen Bluttest nachgewiesen worden, was bedeutete, dass sie seit mindestens zwei Wochen bestand.

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He hatte zu diesem Zeitpunkt bereits Drohungen erhalten. Tatsächlich hatte sich der chinesische Biophysiker, der auch unter dem Kürzel "JK" bekannt ist, vor seinem Auftritt in Hongkong in einem Raum versteckt und wurde anschließend umgehend von Sicherheitsbeamten der Universität weggeführt. "Die Idee war, JK zum Reden zu bringen, weil wir wussten, dass dies die einzige Gelegenheit sein würde, mit ihm zu interagieren", schrieb Lovell-Badge später über die Geschichte der sich in rasendem Tempo entfaltenden Ereignisse rund um den Kongress.

Nun stellt sich die Frage, ob die chinesischen Behörden die Geburt des dritten Kindes anerkennen werden. He und andere Wissenschaftler waren sich auf dem Gipfel einig, dass die wissenschaftlichen Daten über die CRISPR-Babys veröffentlicht werden sollten. Wissenschaftler werden die Ergebnisse der Genombearbeitungen erfahren wollen. Ein weiteres Baby wäre ein weiterer Beweis dafür, dass CRISPR trotz der Kontroverse um seine Verwendung "Lebendgeburten ermöglichen kann", sagt Hurlbut.

(vsz)