Statt Plastikfolie: Verkaufsstart für essbaren Überzug für Lebensmittel in Europa

In der EU kommen Obst und Gemüse mit einem essbaren Überzug auf den Markt. Absolut unbedenklich, lautet das Urteil der Behörden.

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Verpackung: Verkaufsstart für essbaren Überzug für Lebensmittel in Europa

(Bild: Screenshot von Apeel Sciences)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Susanne Donner

In der Beliebtheitsskala der Deutschen rangiert sie an dritter Stelle und ist zugleich das Feindbild der Verpackungsgegner: die Salatgurke. Eingeschweißt in Folie sorgt sie seit Langem für heftige Diskussionen. Ein Irrsinn ersten Ranges, sagen die einen, eine Notwendigkeit gegen Fäulnis die anderen. Tatsächlich endet jedes Jahr Nahrung im Gegenwert von einer Billion US-Dollar in der Mülltonne – zur Hälfte Obst und Gemüse. Kunststoffverpackungen verlangsamen den Verderb, aber verursachen zusätzlichen Abfall.

Nun weist eventuell eine Erfindung des Materialwissenschaftlers James Rogers an der University of California in Santa Barbara einen Ausweg aus dem Dilemma. Ein essbarer Überzug für Avocados, Äpfel, Erdbeeren – kurzum: für jedes Obst und Gemüse. Sie blieben mit dem Überzug vier- bis fünfmal so lange frisch, sagt Rogers, und man könne die Hülle nicht schmecken, sehen oder fühlen.

TR 8/2019

In den USA, in Teilen Südamerikas, in China und Japan ist die Erfindung bereits seit einigen Monaten genehmigt. Der Durchmarsch bei den Behörden machte es Rogers, der mit seiner Entwicklung das Unternehmen Apeel Sciences gegründet hat, leicht, Geld einzutreiben: 98 Millionen Euro Wagniskapital sind es nach Angaben der Firma. Mehr als 100 Mitarbeiter hat Apeel bereits eingestellt.

Die Europäische Lebensmittelbehörde habe den Nahrungsmittelzusatzstoff im Juni offiziell genehmigt, heißt es bei Apeel. Zu Redaktionsschluss war offiziell dazu noch nichts bekannt gegeben, was an der Frist bis zur Veröffentlichung im Amtsblatt der EU liegen mag. Ab Oktober sollen erste behandelte Avocados und Zitrusfrüchte in der EU in den Handel kommen. Für die Markteinführung sei bereits ein Vertrag mit dem niederländischen Obst- und Gemüse-Importeur Nature’s Pride geschlossen, der auch deutsche Supermärkte beliefert. Auch für Bioprodukte will Apeel eine Zulassung beantragen.

Die essbare Folienalternative besteht aus einer definierten Mischung von Monoacylglyceriden, die sich bereits seit Langem als Emulgator (E 471) in der Nahrungsmittelindustrie bewährt haben. Sie werden aus pflanzlichen oder tierischen Fetten gewonnen und sorgen etwa bei Speiseeis für dessen cremige Note. "Von diesen Stoffen geht kein Risiko aus", sagt der Lebensmittelchemiker Holger Zorn von der Universität Gießen. Denn es sind natürliche Stoffe, die bei der Fettverdauung im Körper entstehen.

Die Anwendung ist unkompliziert: das Acylglycerid-Pulver mit Wasser anrühren, auf die Produkte sprühen und trocknen lassen. Sogar Landwirte in ärmeren Ländern könnten so ihre Ernte schützen, wirbt Rogers. Die Schicht schützt vor Sauerstoff aus der Luft und hält Mikroorganismen ab; Feuchtigkeit und Kohlendioxid entweichen nicht so leicht. Die Früchte schrumpeln und faulen deutlich später.

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Konkurrenz hat das kalifornische Unternehmen bisher wenig. Das Cambridge Crops in Somerville, Massachusetts, präsentierte zwar kürzlich ein Spray, das die Haltbarkeit von Äpfeln verdoppeln soll. Seine Basis ist allerdings Seidenprotein – eine natürliche Substanz, aber keine mit einer Geschichte als Zusatzstoff für Lebensmittel. Für sie gilt in der EU daher die Novel-Food-Verordnung. Die Zulassung wird weitaus aufwändiger und die Überzeugungsarbeit bei den Konsumenten schwieriger. In den USA ist außerdem ein neuartiger Apfel auf dem Markt, der mittels Gentechnik so verändert wurde, dass er erst nach drei Wochen braun wird.

Apeel hingegen wirbt damit, die Substanz in einer eigenen Fabrik aus Nahrungsmitteln zu erzeugen, etwa aus den Rückständen der Weinlese: "Wir schützen Essen mit Essen". Das ist allerdings in erster Linie ein Marketingargument. "Gemeint ist Traubenkernöl. Das kann die Basis zur Herstellung sein, aber auch Palm- und andere Fette", stellt Zorn klar. Palmöl wäre freilich ein ökologisch strittiger Ausgangsstoff, für den viele Naturwälder in Südostasien fallen. Was hinzukommt: Bei Verbrauchern, die unverarbeitete Lebensmittel wie Obst und Gemüse schätzen, wird ein Überzug aus Nahrungsergänzungsmitteln nicht auf Gegenliebe stoßen.

[Update, 12.8.2019, 11:35 Uhr: Angaben zur Mitarbeiterzahl von Apeel Sciences und das erlangte Wagniskapital wurden aktualisiert. jle]

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(jle)