Sampling-Urteil des EuGH: Im Zweifel für die Kunstfreiheit

Nach dem wegweisenden Urteil des EuGH betont die Musikbranche die positiven Seiten. Ist Sampling nun rechtssicher? Die Antwort muss wieder der BGH geben.

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Metall auf Metall: EuGH stärkt Sampling

(Bild: Shutterstock/360b)

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Nach dem richtungsweisenden Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom Montag gehen die Meinungen über dessen Bedeutung auseinander. Der beklagte Musikproduzent Moses Pelham, der seit 20 Jahren für die Nutzung einer knapp zweisekündigen Rhythmussequenz aus dem Titel "Metall auf Metall" von Kraftwerk kämpft, freut sich über das Urteil. Unterdessen sieht auch die Gegenseite ihre Rechte durch die Entscheidung gestärkt

Der Streit läuft seit 1999, als Mitglieder der deutschen Elektronik-Vorreiter Kraftwerk Pelham verklagt hatten, weil er das "Metall auf Metall"-Sample in dem von ihm produzierten Titel "Nur mir" von Sabrina Setlur eingesetzt hatte. Kraftwerk-Gründungsmitglied Ralf Hütter, der zu den Klägern gehört, hat dabei nicht grundsätzlich etwas gegen Samples – er wäre nur gerne vorher gefragt worden.

Im Kern geht es also um die Frage, ob die Urheber und Tonträgerhersteller von benutzten Samples um Genehmigung gefragt werden müssen. Pelham und Hütter gingen über die Jahre durch alle Instanzen – alleine der Bundesgerichtshof (BGH) beschäftigt sich derzeit zum dritten Mal mit dem Fall. Meist entschieden die deutschen Gerichte für Hütter. 2016 grätschte das Bundesverfassungsgericht dazwischen und forderte, dass die Kunstfreiheit angemessen berücksichtigt werden müsse.

Der BGH hat dann den EuGH hinzugezogen. In dem europäischen Verfahren blieb der Generalanwalt in seiner Einschätzung ganz auf der Linie der bisherigen deutschen Urteile: die alleinigen Verwertungsrechte an der Musik liegen bei Urhebern und Tonträgerherstellern, egal wie kurz der Musikschnipsel ist. Oft folgt der EuGH den Einschätzungen der Generalanwälte, aber eben nicht immer.

Bei "Metall auf Metall" wichen die EuGH-Richter deutlich von der Linie des Generalanwalts ab. Zwar bestätigten sie das alleinige Verwertungsrecht der Tonträgerhersteller, schränkten es aber für sehr kurze und verfremdete Fragmente oder Zitate ein. Damit sollten Samples wie das von Pelham verwendete legal möglich sein, auch ohne zu fragen – ob das im konkreten Fall auch so ist, muss jetzt wieder der BGH bewerten.

Für die Urheberrechtsexpertin Henrike Maier, die über Remixe und Copyright promoviert hat, ist die Entscheidung ein Urteil für das Sampling: "Der EuGH stellt damit klar, dass Sampling von der Kunstfreiheit geschützt ist und daher in vielen Fällen nicht gegen das Urheberrecht verstößt." Das sieht auch der hartnäckige Pelham so: "Die Entscheidung ist eine wichtige Stärkung der Kunstfreiheit."

Der Musiker und Produzent, der in den 1990ern den deutschen Rap maßgeblich mitgeprägt hat (Rödelheim Hartreim Projekt), ein paar Pop-Nummern in den Charts hatte (Sabrina Setlur, Glashaus), aber selbst auch hart gegen Filesharing vorgegangen ist, sieht sich durch den EuGH bestätigt. "Musik braucht die künstlerische Auseinandersetzung mit anderen Werken", meint Pelham. "Ein Großteil der Popmusik – gerade der 90er Jahre – wäre ohne Sampling als Form der künstlerischen Auseinandersetzung mit anderen Werken überhaupt nicht denkbar."

Ralf Hütter hätte sich nach dem Votum des Generalanwalts sicher "eine noch eindeutigere Entscheidung des EuGHs gewünscht", ließ der Kraftwerk-Musiker über seine Anwälte mitteilen. Hütter hofft nun, dass der BGH nun seiner Auslegung folgt, dass der strittige Soundschnipsel nicht nur ein paar Beats sind, sondern das "Leitmotiv" des Songs. Abgesehen davon habe der EuGH "die Rechte der Tonträgerhersteller dahingehend gestärkt", weil die Übernahme von kurzen Audiofragmenten nur dann hingenommen werden müsse, wenn sie nicht mehr erkennbar seien.

Ins selbe Horn stoßen auch die deutschen Branchenverbände. Der EuGH habe "klargestellt, dass es einem Tonträgerhersteller gestattet ist, die Vervielfältigung seines Tonträgers zu erlauben oder zu verbieten und er sich unter bestimmen Bedingungen auch bei sehr kurzen Audiosequenzen gegen die Nutzung Dritter wehren kann", meint der Chef des Bundesverbands Musikindustrie (BVMI), Florian Drücke. Auch der Verband der unabhängigen Labels betont diesen Aspekt: "Damit stärkt das Gericht in seiner Entscheidung ausdrücklich die Tonträgerhersteller, von daher begrüßen wir dieses Urteil sehr", sagt Jörg Heidemann vom Verband der unabhängigen Musikunternehmen (VUT).

Pelhams Anwälte freuen sich darüber, dass der EuGH Sampling nun rechtssicher gemacht hat. Zwar sieht auch der BVMI, dass für den Einsatz von Samples nun mehr Klarheit gibt. Ein Freischein ist das Urteil in den Augen der Musiklobby aber nicht. "Die Einzelfälle bleiben letztlich Abwägungsfragen", meint Drücke und erwartet, dass "die Auslegung der neuen Kriterien des EuGH allerdings noch für Diskussionen sorgen wird."

Abwägen, ob Pelhams Verwendung von "Metall auf Metall" innerhalb des vom EuGH gesteckten Rahmens bleibt, muss jetzt wieder der BGH. Einen Termin dafür gibt es noch nicht – und wird es voraussichtlich in diesem Jahr auch nicht mehr geben, der Kalender des BGH ist für 2019 schon gut gefüllt. Damit ginge der Rechtsstreit, der 1999 vor dem LG Hamburg begann, ins 21. Jahr. (vbr)