Stirbt der Amazonas-Regenwald?

Schwere Waldbrände in Brasilien wecken wieder Ängste vor dem Verschwinden einer riesigen Kohlendioxid-Senke. Ein Forscher-Duo rät dazu, in dieser Angelegenheit lieber zu vorsichtig zu sein als zu sorglos.

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Stirbt der Amazonas-Regenwald?

(Bild: Photo by raquel raclette on Unsplash)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • James Temple
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Angesichts der Brände im brasilianischen Amazonas-Regenwald in diesem Jahr ist in Medienberichten wieder vermehrt von einem beängstigenden Szenario die Rede: dem "Regenwald-Sterben".

Die Überlegung dahinter: Bei einem gewissen Niveau der Entwaldung wird der größte Regenwald der Welt eine Schwelle überschreiten, ab der Rückkoppelungseffekte den größten Teil des Waldes in eine Steppe verwandeln. Bislang ist er ein riesiger Schwamm für Treibhausgase, in dem rund 17 Prozent des weltweit in Vegetation gefangenen CO2 gehalten wird – und plötzlich könnte er stattdessen zu einer bedeutenden Quelle für das Treibhausgas werden. Das wäre eine monumentale Katastrophe. Aber wie real ist diese Gefahr?

Wissenschaftler können das nicht genau sagen. Bei manchen Modellen kommt es zu dem gefürchteten Phänomen, bei anderen nicht. Manche Forscher sehen in ihren Daten einen "Kipppunkt" kommen – an diesem würde sich der Effekt fortsetzen, auch wenn die Faktoren, die ihn ausgelöst haben, verschwinden. Andere erwarten lediglich eine voranschreitende Entwaldung, die noch gestoppt werden kann. Und wieder andere Studien kamen zu dem Ergebnis, dass der Regenwald eher zu einem saisonalen Wald wird als zu einer Steppe.

Was also ist angesichts der wissenschaftlichen Unsicherheit zu tun? Wie bei anderen Klima-Schwellen, die unvorhersagbar sind, dann aber im Grunde unumkehrbar zu sein drohen, sollten wir lieber zu vorsichtig sein als zu sorglos, meinen zwei Forscher.

"Selbst wenn nur eine geringe Wahrscheinlichkeit besteht, können wir uns nicht leisten, es zu ignorieren", sagt Jonathan Foley, Geschäftsführer von Project Drawdown, einer Forschungsgruppe mit dem Schwerpunkt Dekarbonisierung, "Es wäre absolut katastrophal für Kohlenstoffzyklus, Wasserzyklus, Klima und Biodiversität auf der Erde – ganz zu schweigen von den Menschen, die dort leben."

Das Amazonasgebiet produziert ungefähr die Hälfte seines Niederschlags selbst, indem kontinuierlich Feuchtigkeit durch Verdampfung und Verdunstung wiederverwendet wird, wenn sich Luft durch das Becken bewegt. Wenn der Wald schrumpft, könnte also immer weniger Regen die Folge sein. Dadurch würden in einem Teufelskreis immer weitere Bäume absterben, und am Ende könnten große Teile des Waldes zu Grasflächen werden. Dies wird als "Savannifizierung" bezeichnet.

Die Zahl der Brände im brasilianischen Amazonasgebiet hat in diesem Jahr erneut rapide zugenommen. Einige davon wurden von Farmern gelegt, die sich dazu von der Rhetorik und der Politik des rechten Präsidenten Jair Bolsonaro ermutigt fühlten. In den Jahren 2005, 2010 und 2015 gab es
ebenfalls schwere Dürren.

Eine Simulationsstudie aus dem Jahr 2007 kam zu dem Ergebnis, dass der Verlust von 40 Prozent des Regenwaldes die Niederschläge verringern und die Trockenzeit in großen Teilen der Amazonas-Region verlängern würde; im östlichen Teil würden dann kaum noch Bäume wachsen können. Doch eine neuere Arbeit in "Science Advances" lässt die Gefahr noch akuter erscheinen. Demnach würden derartige Veränderungen schon bei nur 20 bis 25 Prozent Entwaldung beginnen. Einer der Autoren der neuen Studie ist Carlos Nobre, der schon an der vorigen beteiligt war.

Bislang sind mindestens 17 Prozent des Amazonasgebiets bereits verloren, erklärt in einer E-Mail Thomas Lovejoy, der zweite Autor der Studie. Das würde bedeuten, dass nur noch 3 Prozent Puffer bleiben, was einige zehn Millionen Hektar entspricht.

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Zuletzt haben mehrere Forscher und Beobachter betont, dass Ängste wegen der Brände in Brasilien übertrieben sind. In diesem Jahr seien sie in der gesamten Amazonas-Region nicht deutlich häufiger geworden, und die Entwaldung schreite langsamer voran als vor einem Jahrzehnt.

Das ist richtig. Doch jede weitere Entwaldung bringt die Welt näher an die theoretische Schwelle, und ein zunehmendes Tempo in dem Land, im dem sich rund 60 Prozent des Amazonas-Regenwaldes befinden, beschleunigt diese Entwicklung.

Nobre und Lovejoy schreiben dazu: "Wir glauben, dass es vernünftig wäre, nicht nur die weitere Entwaldung strikt einzuschränken, sondern auch wieder einen größeren Sicherheitspuffer gegen den Amazonas-Kipppunkt aufzubauen, indem das entwaldete Gebiet auf weniger als 20 Prozent verkleinert wird. Der gesunde Menschenverstand sagt, dass es keinen Sinn hat, den exakten Schwellenwert herauszufinden, indem wir ihn überschreiten."

(sma)