Was war. Was wird. – mit einem Requiem für die Volksparteien

Das Konzept Volkspartei ist tot, das Konzept IT-Großmesse noch nicht. Zum Glück zeigt uns jetzt ein Museum die Zukünfte, meint Hal Faber.

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Was war. Was wird. – mit einem Requiem für die Volksparteien

Es gibt sie noch, eine deutsche Großmesse zur IT – aber zeigt sie auch die Zukunft?

(Bild: IFA)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Atomwerbung in Futurium

(Bild: privat)

*** An dieser Stelle müsste statt der Wochenschau eine Todesanzeige stehen: Nach den Wahlen in Brandenburg und Sachsen ist das Konzept der Volkspartei gestorben, mit dem die CDU wie die SPD über Jahrzehnte hinweg dem Wahlvolk ein Angebot zum Kreuzen machten. Wenn sich diese beiden Parteien nicht weglindnern wollen, müssen sie ein, zwei Themen finden, mit denen sie junge Wähler überzeugen können. Das Gerede von der "klaren Kante" hilft nicht weiter und wer vom Rückenwind der Regierungsarbeit spricht, hat angesichts der real exististierenden Lame Duck-Bundesregierung mehr als nur den Verstand verloren. Doch wayne interessiert's? Die ganze Woche über konnte man Artikel und Kommentare darüber lesen, was denn "bürgerlich" ist und warum ausgerechnet die AfD alles andere als bürgerlich daherkommt, sondern eine Aktionstruppe zur Vertreibung der Ausländer ist. Aus diesem Grunde sollte auch der Protestwähler beerdigt werden und der Überzeugungswähler ins Visier genommen werden, der wieder überzeugt werden muss. "Vielleicht braucht man weitere 30 Jahre, um diese Spaltung wieder zu kitten."

*** Einsamer Höhepunkt all dieser Debatten um Bürger und die wahre Bürgerlichkeit dürfte die Definition der Zombie-Bourgeoisie gewesen sein, bei der natürlich künstliche Intelligenz auch irgendwie mit im Spiel sein muss. So kriegen alle ihr Fett ab, auch die sogenannten Kreativen, die das Bild der Großstädte prägen. "Doch die Freiräume der Kreativität, die im späten 20. Jahrhundert noch Aufbruch bedeuteten, funktionieren heute nur noch als Dienstleister fürs Höchstpreissegment oder als Sprungbrett in die Verteilungskämpfe einer Industrie, die sich Kreative und Akademiker als intellektuelle Schoßhündchen hält, weil es einen guten Eindruck macht, über die Ethik der künstlichen Intelligenz zu debattieren, während man mit neuen Technologien gerade die weitreichendste Automatisierungswelle seit dem mittleren 19. Jahrhundert vorbereitet." Schoßhündchen diskutieren über die Ethik der künstlichen Intelligenz und die Karawane zieht weiter? Die bürgerlichen Werte sind jedenfalls futsch, wenn es heißt: "Eine Zombie-Bourgeoisie rührt sich da, die unter dem Deckmäntelchen aus feinem Zwirn und oberschulischer Bildung die fratzenhafte Antipodin des allzu freien Marktes bildet." Apokalypse jetzt.

*** In Berlin findet derzeit die letzte deutsche Großmesse statt, auf der Informationstechnologie ausgestellt wird. Star der IFA sollen "Premium TVs" mit 8K-Auflösung im 98 Zoll-Format sein, auch wenn das bezweifelt wird und für ausgedehnte Diskussionen im Forum sorgt. Viel innovativer sind da Firmen wie Siemens mit einem Backofen, der Sprachbefehle versteht. Fehlt nur noch das sprechende Brot, das "zieh mich raus, zieh mich raus" ruft. Und wo wären wir ohne die künstliche Intelligenz von LG, die mitteilt, wenn der Kühlschrank überladen ist oder in die Dosierung des Waschmittels in der Maschine falsch ist? "Proactive Consumer Care", so nennt sich die Technik der fürsorglichen Geräte, die uns umgeben werden. Wobei ganz Deutschland, ob Bürger, Arbeiter oder Privatier beim Digitalisieren an vorderster Front mit dabei ist. Wir sind ein Volk – von neugierigen Technik-Begeisterten. Sagt wer? Jeder Vierte hört Podcasts, allerdings selten bis zum Ende der Sendung, jeder Vierte besitzt WLAN-Lautsprecher, jeder Fünfte hat Augmented-Reality-Anwendungen ausprobiert. Jeder Mensch kennt Bitkom, den Bundesverband für Flugtaxi-Förderung mit seinen täglichen Pressemeldungen zum Wohle der deutschen Digitalwirtschaft. Wenn passend zum IFA-Gedröhne ausgerechnet mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein ausgewiesenes Finanzblatt die Frage stellt, Wer befreit unsere Daten? und dann beim Bitkom eine zögerliche Haltung zum Thema Open Source ausmacht, hat das was. Andererseits sind die Hoffnungen, dass die Plattform GAIA-X als Europa-Cloud mit KI-Einsprengseln diese Befreiung vorantreibt, etwas übertrieben. Genaueres wird man erst im Oktober wissen, wenn sich die Bundesregierung in Dortmund zu ihrem jährlichen "Digitalgipfel" trifft. Denn dort sollen deutsche digitale Plattformen den Schwerpunkt bilden.

*** Berlin hat aber noch mehr zu bieten, wenn die IFA 2019 vorüber ist. Denn Berlin hat seit dieser Woche ein Museum der Zukünfte, das Futurium. Hier finden sich Szenarien für mögliche Zukünfte von Mensch, Natur und Technik, ganz im Sinne der täglichen Inklusion in Netzwelten. Endlich kann man den Wünschespeicher von der CeBIT 2017 in voller Schönheit sehen. Digital Detox ist hier ein Fremdwort, dafür gibt es eine Roboterschau und eine überraschend ausführliche Darstellung der Atomkraft und der Kernfusion. Was immer die anstehende Energiewende sein soll, im Futurium möchte man zurück zur alten Großtechnologe und dafür halt "ein neues Verhältnis zur Utopie gewinnen", wozu eine strahlende Zukunft gehört. Für die fesselnde Beleuchtung der Ausstellung erhielt man bereits den Deutschen Lichtdesign-Preis, da wird doch für diese Art der Wiederaufbereitung die eine oder andere Medaille für die positive Darstellung der Atomkraft übrig sein.

*** Ein mit 10.000 Euro dotierter Preis für das schönste deutsche Buch geht nach Leipzig, wo mit Name Waffe Stern ein Buch über das Logo der RAF auzgezeichnet wurde. Das Buch soll eine zeichentheoretische Entzauberung sein, weil das RAF-Logo längst popkulturell eingemeindet sei und ahistorisch verwendet werde. Also nicht so wie der in Leipzig tagende Chaos Computer Club, der das abgeänderte Logo mittlerweile in die Ahnenreihe von Kabelsalat und Pesthörnchen gestellt hat. Wobei die 101er-Tastatur ganz ohne Stern für das hannöversche Hackover im Oktober wirbt.

Damit ist auch diese Wochenschau in der Zukunft angekommen – oder auch nicht: Im Oktober geht es munter zurück in die Vergangenheit, wenn zum 50. Jubiläum der Firma Robotron in Berlin Computer aus Deutschland den Schwerpunkt der jährlichen VCFB-Ausstellung bilden und die Computer der Apollo-11-Mission mit Vorträgen gewürdigt werden. Apropos Robotron: Zum Jubiläum gehört wohl auch die künstlerische Auseinandersetzung mit der Geschichte von Robotron.

Nicht nur Robotron, auch das Internet wird in diesen Tagen 50 Jahre alt, sofern man die ersten Hostrechner des Arpanets zum Internet zählt. Aus diesem Grund gibt es verschiedene Feiern. Auf der vom Hasso-Plattner-Institut in Potsdam parallel zum Digitalgipfel veranstalteten Geburtstagssause wird Vint Cerf, einer der "Väter" des Internet zugeschaltet. Neben den Anfängen soll auch die Zukunft des Netzes besprochen werden, von einer neuen Gesellschaft ist sogar die Rede.

(Bild: privat)

Mit Patch gehabt gibt es das Ganze im September auch in chaotischer Form. In Dresden wird gefragt, ob die Gesellschaft einen Patch benötigt, ob etwas noch geflickt und verbessert werden kann. Oder bleibt es bei unsicheren Netzen wie dem "Internet of Crap" der Billig-Router, mit denen sich dann Bürger herumschlagen müssen. Auch die elektronische Gesundheitsakte soll bei den "Datenspuren" auf den Prüfstand kommen. Bis zu ihrer geplanten Einführung am 1. Januar 2021 ist nicht mehr viel Zeit. Schließlich ist gerade die Petition Gesundheitsdaten in Gefahr gestartet worden, die verhindern will, dass Patientendaten im Internet auftauchen. (mho)