Das Zeitalter der Satelliten-Unfälle

Wenn es nicht gelingt, die Erdtrabanten besser zu managen, könnten Zusammenstöße künftig deutlich häufiger vorkommen.

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Das Zeitalter der Satelliten-Unfälle

(Bild: NASA / Ms. Tech)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Neel V. Patel
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Anfang September wäre es bald zum großen Knall im All gekommen. Die europäische Raumfahrtagentur ESA und der private Weltraumkonzern SpaceX aus den USA stritten sich darüber, wie nah sich die Satelliten der beiden Organisationen kamen. Anfangs hieß es gar, SpaceX habe sich geweigert, seinen Starlink-Satelliten auf ein Ausweichmanöver zu schicken, obwohl es ein Kollisionsrisiko gab. Die Firma des Tesla-Gründers Elon Musk behauptete wiederum, man habe nicht reagiert, weil es Probleme bei der Übermittlung der Warnung gegeben habe.

Am wenigsten überraschend an dem ganzen Drama dürfte allerdings gewesen sein, dass es diesen Beinah-Zusammenstoß gab. Denn im Orbit um den Planeten wird es zunehmend eng. Zwei Dutzend Firmen haben vorgeschlagen, in den kommenden zehn Jahren über 20.000 Satelliten ins All zu schießen. Um dies im Kontext zu sehen: Weniger als 8100 Payloads wurden seit Beginn des Weltraumzeitalters im Erdorbit platziert. Vorfälle wie der zwischen ESA und SpaceX zeigen jedoch, dass das bisherige System des Platzmanagements an seine Grenzen stößt.

Verwunderlich ist das nicht, wenn man bedenkt, dass es bislang keinen echten weltweiten Standard gibt. "Ich würde diesen als im Aufbau befindlich bis nicht existent umschreiben", meint Brian Weeden, Direktor für Programmplanung bei der Secure World Foundation, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, für Satellitensicherheit im Orbit zu sorgen. Die meisten Satellitenbetreiber, darunter auch einige außerhalb der USA, verlassen sich auf das Vorhersagesystem der US-Luftwaffe, die aktive Objekte im Weltraum trackt. Die Militärs hatten eigentlich nicht vor, zum internationalen "Space Cop" zu werden, sondern wollten nur Raketen im All überwachen. Inzwischen liefert die US-Luftwaffe mittels Radar Warnungen aus, wenn die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenstoßes zwischen zwei Objekten bei höher als 1 zu 10.000 liegt (was im Fall ESA vs. SpaceX so war).

"Jeder Satellitenbetreiber muss grundsätzlich selbst das Risiko abschätzen und dann bestimmen, was zu tun ist", meint auch Roger Thompson, leitender Ingenieur beim Nonprofit Aerospace Corporation. "Und jeder hat sein eigenes Risikoprofil. Manchmal führt man ein Kollisionsvermeidungsmanöver durch. Manchmal hofft man, einfach so durchzukommen, wenn das Risiko niedrig genug ist."

Es gibt gute Gründe dafür, warum dies der Standard ist. Zum einen ist die Änderung der Flugbahn eines Objekts, das mit Zehntausenden km/h um den Planeten schießt, nicht einfach – besonders wenn man die kleinen Thruster einsetzen muss, die vielen Satelliten verbaut sind. Oftmals kommt es außerdem vor, dass sich das mathematische Risiko signifikant minimiert, sobald mehr Daten ankommen. In der großen Mehrzahl der Fälle sind Manöver dann nicht mehr notwendig.

Megakonstellationen wie Starlink, die aus Tausenden Satelliten bestehen werden, wenn sie fertig sind, machen die Vorhersagemodelle und die Kollisionsvermeidung schwerer. "Wir können nicht einfach so tun als wäre das business as usual", meint Thompson. "Man will ja nicht von der Straße treten, wenn ein Auto angefahren kommt, nur um dann vor einen Bus zu laufen."

Technik ist hier der zentrale Faktor. "Das US-Militär kämpft damit, seine Computersysteme zu aktualisieren, um die Genauigkeit der Warnungen zu hören und neue Datenquellen annehmen zu können", meint Weeden von der Secure World Foundation. "Ein Wegkommen von der Militärhardware der Sechzigerjahre hin zu moderner Hardware hilft schon viel." Außerdem könnten mehr Radarsysteme in aller Welt platziert werden – und einige sogar von Privatfirmen. Damit ließen sich mehr Objekte gleichzeitig tracken. Viele Satellitenbetreiber, darunter SpaceX, arbeiten zudem an autonomen Systemen, die Satelliten automatisch aus dem Weg bringen, wenn ein Zusammenstoß droht und ein Alarm hereinkommt. Dieses Verfahren ist aber noch unbewiesen und nicht unproblematisch, weil es an Kommunikation der Systeme untereinander fehlt, wie man es bereits bei autonomen Fahrzeugen kennt.

Thompson von der Aerospace Corporation und sein Kollege Ted Muelhaupt wollen daher, dass das ganze System neu gedacht wird. In einem Paper haben sie spezifische Vorschläge erarbeitet. Die Satellitenbetreiber wissen fast immer, wo ihre Satelliten sind, teilen diese Informationen aber bislang nicht miteinander. Jeder folgt den Regeln seines eigenen Landes, welche Höhen erlaubt und welche Umlaufbahnen gewählt werden dürfen und wer für die Vermeidung von Kollisionen verantwortlich ist. Selbst die Satellitenentsorgung ist unterschiedlich geregelt.

Solange die Gesetze nicht in Einklang gebracht werden, wird es also weiter Konflikte geben. Eine internationale Organisation wäre daher sehr hilfreich – wobei noch niemand weiß, wie genau sie den Satellitenpolizisten spielen sollte. Müsste es neben Regeln auch Strafen geben? Und wenn ja welche? Man kann den Satellitenbetreibern ja keinen Strafzettel schreiben. Doch ohne solche Maßnahmen bleibt eine Regulierung zahnlos.

Wenn der Stock nicht hilft, hilft vielleicht die Karotte. "Wenn eine zentrale Agentur einen solchen Dienst offerieren würde, hätten alle etwas davon. Und das würde die Satellitenanbieter motivieren, teilzunehmen", so Muelhaupt. "Es wäre wie ein Standard – wenn es genügend Leute gibt, die teilnehmen, lässt er sich einfach durch den Markt durchsetzen. Die Betreiber würden freiwillig mitziehen."

Und selbst wenn niemand wirklich dazu Lust hat: Bei einem sind sich alle einig, nämlich dass Zusammenstöße schlecht fürs Geschäft sind und schlecht für die Raumfahrt. Wer seine eigene "Hardware" schützen will, muss auchd ie der anderen schützen. Konflikte kann es natürlich geben, wer jeweils für Ausweichmanöver verantwortlich ist. Doch diese Diskussionen sind einmal Chaos im Weltraum explizit vorzuziehen, bei dem nur noch Schrott durch das All fliegt.

(bsc)