Was war. Was wird. – Zeit zum Achselzucken

Analysten-T(w)eenies als Massenüberwacher, eine Kultur am MIT die Hal Faber nicht versteht, und Marines ohne Tattoos, auch nicht unter zuckenden Achseln.

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Was war. Was wird. – Zeit zum Achselzucken

(Bild: Gerd Altmann)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

"Tja, ist mir egal, ich hacke sowieso"

*** Juni 2013, das ist schon eine ganze Weile her. Damals trafen die Dokumentarfilmerein Laura Poitras und die Journalisten Glenn Greenwald und Ewen MacAskill im Mira Hotel von Hongkong den Whistleblower "Citizenfour", der sich zuvor als "senior member of the intelligence community" bei Poitras gemeldet hatte. Das Trio lernte den Whistleblower Edward Snowden kennen, der an diesem Wochenende eine Art Auferstehung feiert. Sein 432 Seiten starkes Buch "Permanent Record. Meine Geschichte." erscheint dieser Tage und ist eine Aufarbeitung seines Lebens abseits der Oscar-prämierten Doku oder des gefälligen Spielfilms von Oliver Stone. Snowdens Buch dürfte das 40. Buch zum NSA-Skandal sein, ist aber nicht nur als Autobiographie wertvoll. Denn wir leben in einer Zeit, in der die Snowden-Archive geschlossen wurden und die allgegenwärtige Überwachung durch Geheimdienste mit einem Achselzucken quittiert werden, weit entfernt von der allgemeinen Empörung, dass es gar nicht geht, wie Bürger ausspioniert werden.

*** Edward Snowden wirbt für sein Buch und so gibt es überall Exklusiv-Interviews, nicht nur im Guardian, auch im Spiegel oder in der Süddeutschen Zeitung, die meisten von einer Paywall geschützt. Der "freundliche, blasse und jungenhaft" wirkende Mann beantwortet in ihnen geduldig alle Fragen und wird nur einmal etwas bestimmter, als von seinen Depressionen die Rede ist. Die Frage ist wohl vom Spielfilm inspiriert, in dem der Schauspieler Joseph Gordon-Levitt einen schwer angeschlagenen Snowden mimte. Dem hat der lebende Snowden jetzt widersprochen: "Das ist wichtig fürs Protokoll: Weder bin ich noch war ich suizidal. Ich habe einen philosophisch begründeten Einwand gegen die Idee der Selbsttötung. Sollte ich jemals aus einem Fenster fallen, dann seien Sie sicher: Ich wurde geschubst." Das sollte man sich merken.

*** Sicher wird das Buch wieder eine Debatte darüber entfachen, ob der Mann mit dem Zauberwürfel nur ein einfacher Systemadministrator und Ingenieur war oder auf einem zentralen Posten in der Informationsverarbeitung der NSA Zugriff auf alle möglichen Informationen hatte. Als er noch für die CIA arbeitete, war er nach eigener Aussage für das gesamte Netzwerk der CIA im Raum von Washington zuständig und betrieb Aufklärung über menschliche Quellen, die im Visier der CIA waren. Erst auf seinem letzten Posten in Hawai arbeitete er als Infrastrukturanalyst mit "Werkzeugen der Massenüberwachung" und mit Kollegen zusammen, die Nacktbilder von (weiblichen) Zielpersonen sammelten. Neben HUMINT wurde so halt LOVEINT betrieben, wenn Snowdens Kollegen ihren Partner oder Liebhaber überwachten. "In Wirklichkeit sind die meisten Analysten zwischen 18 und 22 Jahren alt. Und wenn die gelangweilt sind und niemand hinschaut, überwachen sie eben ihre Partner."

*** Schwerpunkt von Snowdens Arbeit soll der SIGINT-Bereich gewesen sein, die Signal Intelligence. "Wir versuchten herauszufinden, was andere uns antun, ohne Namen oder Nummern zu haben. Du beobachtest nicht Leute, sondern Geräte." Während Snowden vor der Massenüberwachung auch durch Google, Facebook und Co. warnt, kann man sich fragen, ob dies erst der Anfang einer echten Überwachung eines jeden Menschens ist. Parallel zu den Interviews mit Snowden mag man das Interview mit dem bangenden Optimisten Nick Bostrom lesen, der eine Antwort auf die Existenz billiger Massenvernichtungswaffen sucht und sie in der Totalüberwachung findet, komplett mit der Möglichkeit, "in Echtzeit eingreifen" zu können. Kameras, die schießen können, wären in letzter Konsequenz ein technologischer Fortschritt für den Warner vor der Superintelligenz.

*** Für Edward Snowden ist derzeit das einzig vorstellbare Szenario, dass die Aufenthaltsgenehmigungen von ihm und seiner Ehefrau Lindsay Mills von Russland verlängert werden. "Letztendlich hoffe ich aber weiterhin, dass mir eine andere Regierung politisches Asyl oder einen sicheren Aufenthalt in Europa gewährt. Unter Angela Merkel wird das wohl nicht mehr der Fall sein. Aber vielleicht erbarmt sich eine andere euopäische Regierung? Es liegt jetzt in der Hand der Weltöffentlichkeit." Doch die ist längst über die Geschichte mit den Snwoden-Files hinweg. Das letzte politische Asyl gewährte Ecuador dem Australier Julian Assange. Bekanntlich wurde Assange dieses politische Asyl entzogen und der Prozess gemacht, da er seine Meldeauflagen ignorierte und in die Botschaft von Ecuador flüchtete, gefilmt von Laura Poitras. Diese Flucht ist nun von einer britischen Richterin als Argument genommen worden, Assange nach Ablauf seiner Haftstrafe bis zur Verhandlung über eine Auslieferung an die USA oder nach Schweden weiterhin inhaftiert zu halten. Die Fluchtgefahr soll zu groß sein. Das in der Haft die Möglichkeiten von Assange beschränkt sind, sich auf die Verhandlung im Februar 2020 vorzubereiten, wird achselzuckend in Kauf genommen. Ein Fall für Shruggie, Aldi.

*** In Berlin hat Larry Lessig auf der Geburtstagsfeier von netzpolitik.org schöne Worte über eine Wiki-Kultur gefunden, die das Netz freundlicher machen und den Hass im Netz reduzieren kann. Ein Aufschrei sei fällig und ein Innehalten. Zuvor hatte derselbe Lessig einen sehr verstörenden Text über die Kultur der Spendenpraxis am MIT Media Lab verfasst. Joi Ito, der Leiter des Media Lab, hatte sowohl für das Media Lab wie auch für seinen eigenen Tech Fund Spenden von Jeffrey Epstein akzeptiert. Wegen dieser Spendenannahmen, die inzwischen offiziell bestätigt wurden, musste Ito seinen Posten räumen. Das wiederum brachte Lessig auf die Palme und führte zu einer indirekten Verteidigung der institutionellen Korruption, die bei der Einwerbung von Drittmitteln durch eine Forschungseinrichtung fast zwangsläufig sei. Lessigs Vorschläge, unter anderem die Möglichkeit, nur anonyme Spenden zuzulassen sind eine Art Freundschaftsdienst für Joi Ito. Sie zeigen aber auch, wie fragwürdig die Kultur am MIT war, die einen "Wissenschafts-Philantropen" wie Epstein akzeptierte. Ob weitere Anschuldigungen, etwa gegen den am MIT arbeitenden Forscher Marvin Minsky zutreffen, muss noch geklärt werden. Inzwischen hat sich der derzeit am MIT forschende Richard Stallman zu Worte gemeldet und Minsky verteidigt. Das führte dazu, dass ältere Zitate von Stallman ausgegraben werden, in denen dieser den Sex mit "reiferen" jungen Mädchen verteidigte. Irgendwie muss dies die angemahnte Wiki-Kultur sein, doch ich verstehe sie nicht.

Das Bundesamt für Sicherheit und Informationstechnik ruft zum European Cyber Security Month auf, dem Aktionsmonat für Cyber-Sicherheit. Mit Schirm, dafür ohne Charme und Melone.

Ist es eine Trendwende oder doch nur soldatischer Stolz? Die US-amerikanische Marineinfanterie, die Elitetruppe unter den sieben Teilstreitkräften, will keine Cyber-Krieger als Marines. Schließlich sitzen die hinter Bildschirmen und haben auch nicht den harten Drill der Marine-Grundausbildung hinter sich. Vielmehr möchte man sich auf "Contractors" verlassen, wie Edward Snowden einer war oder über Hackathons und Bug Bounties Zivilsten anwerben, die aus zivilen Mitteln bezahlt werden. "Sie werden nicht den Adler, Globus und Anker tragen und erwarten das auch nicht." Derweil rüstet sich die Bundeswehr um, damit eine aktive Cyberabwehr mit Hackbacks den Feind in die digitale Flucht schlagen kann. Das alles wird mit einer Übung "Netzwerke schützen Netzwerke" am nationalen Cyber-Sicherheitstag der Allianz für Cyber-Sicherheit demonstriert. Der deutsche Sicherheitstag wird von einem noch größeren Ereignis überschattet, denn den ganzen Oktober über wird der Europäische Aktionsmonat für Cyber-Sicherheit begangen. Auch das Brexit-geplagte Großbritannien ist mit dabei, denn im Cyberraum gibt es noch keine Backstop-Wall. "So ond ned anderscht!" geht Cyber. Und den 7. Sinn gibt es auch wieder, nur eben als Digiknow. Wir sind ja längst nicht mehr im Neuland und Angsthasen sind wir auch nicht. Bleibt nur noch die Frage, was IT-Sicherheit zum Gruseln sein könnte. Aber die wird ja zur "Night of the Living Lab" beantwortet. (bme)