Noch mehr Filterblasen bei YouTube?

Empfehlungsalgorithmen – allen voran der von YouTube – haben großen Einfluss darauf, welche Inhalte wir konsumieren. Das kann politisch heikel sein, doch der Video-Dienst will jetzt offenbar noch zielgenauer werden.

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Noch mehr Filterblasen bei YouTube?

(Bild: Ms. Tech / YouTube)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Karen Hao
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Empfehlungsalgorithmen zählen derzeit zu den mächtigsten Maschinenlernsystemen, denn sie beeinflussen, welche Informationen wir konsumieren. Insbesondere der Einfluss des YouTube-Algorithmus ist erheblich. Nach Schätzungen zieht nur Google selbst mehr Web-Datenverkehr an als die Video-Plattform, und 70 Prozent von dem, was die Nutzer dort ansehen, basiert auf automatischen Empfehlungen.

In den vergangenen Jahren ist diese Beeinflussung zunehmend kritisch beobachtet worden. Der Algorithmus ist darauf optimiert, dass Menschen bestimmte Videos ansehen, also macht er tendenziell Vorschläge, die dem entsprechen, was eine Person bereits mag oder glaubt; dies kann eine süchtig machende Erfahrung sein, die andere Ansichten ausschließt. Auf diese Weise werden zudem oft die extremsten und kontroversesten Videos hervorgehoben. Studien haben gezeigt, dass Menschen dadurch rasch tief in Inhalten verloren gehen und politisch radikalisiert werden können.

YouTube behauptet zwar, sich um dieses Problem zu kümmern, doch ein neuer Fachaufsatz eines Teams bei der Muttergesellschaft Google spricht eine andere Sprache: Darin wird eine Aktualisierung des YouTube-Algorithmus vorgeschlagen, der Inhalte noch zielgenauer präsentieren soll.

Aktuell funktioniert das Empfehlungssystem von YouTube wie folgt: Für die Seitenleiste mit empfohlenen Videos wird zunächst eine Shortlist von mehreren hundert Videos erstellt, die zum Thema und anderen Merkmalen des gerade angesehenen Videos passen. Dann sortiert der Maschinenlernalgorithmus diese Liste nach den Präferenzen des jeweiligen Nutzers, wofür er alle Klicks, Likes und sonstigen Interaktionen auswertet.

In Zukunft aber will YouTube offenbar noch weiter gehen. So zielen die Google-Forscher explizit auf ein Problem ab, das sie als "implizite Verzerrung" bezeichnen. Es hängt damit zusammen, dass die Empfehlungen selbst Einfluss auf das Nutzerverhalten haben, sodass nicht immer klar ist, ob ein Video angeklickt wird, weil es wirklich interessant ist, oder nur wegen der Empfehlung dafür. Mit der Zeit kann es so dazu kommen, dass Nutzer immer weniger die Videos wählen, die sie eigentlich sehen wollten.

Um die Verzerrung zu verringern, schlagen die Forscher eine Veränderung am Algorithmus vor: Bei jedem Klick auf ein Video soll auch dessen Position in der Seitenleiste mit den Empfehlungen berücksichtigt werden.

Weit oben stehende Videos bekommen dann weniger Gewicht im Maschinenlernalgorithmus, während weiter unten stehende, bei denen der Nutzer erst etwas scrollen muss, höher gewichtet werden. Als die Forscher diese Neuerung auf YouTube testeten, stellten sie deutlich mehr Aktivität der Nutzer fest.

Ob das neue System dauerhaft eingesetzt werden soll, ist dem Aufsatz nicht zu entnehmen. Guillaume Chaslot, ein früherer YouTube-Entwickler, der heute die Website AlgoTranparaency.org betreibt, ist nach eigener Aussage aber "ziemlich sicher", dass es bald dazu kommen wird: "Die Forscher schreiben, dass es die Betrachtungszeit um 0,24 Prozent erhöht. In Dollars berechnet könnten das zig Millionen sein".

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Mehrere Experten, die sich den Aufsatz angesehen haben, sprechen die Gefahr von unerwünschten Effekten an. "Wir haben festgestellt, dass die YouTube-Algorithmen eine isolierte rechtsextreme Community geschaffen, Nutzer zu Videos von Kinder gelenkt und Fehlinformationen verbreitet haben", sagt Jonas Kaiser vom Berkman Klein Center for Internet and Society. "Bei Randfällen könnte die Neuerung die Bildung von noch stärker isolierten Gemeinschaften als bislang fördern."

Ähnlich äußert sich Jonathan Albright, Leiter der Digitalforensik-Initiative im Tow Center for Digital Journalism: "Die Verringerung der Positionierungsverzerrung ist ein guter Anfang, um die Rückkoppelungsschleife mit Inhalten niedriger Qualität zu verlangsamen", erklärt er. Doch auch extreme Inhalte könnten dadurch weiter begünstigt werden.

Ein YouTube-Sprecher erklärte auf Anfrage, seine Techniker und Produktteams seien zu dem Schluss gekommen, dass durch die Änderung keine Filterblasen entstehen. Das Unternehmen erwarte, dass es dadurch weniger häufig so derartigen Blasen kommt und dass die Empfehlungen insgesamt vielfältiger werden.

(sma)