EU-Kommission: Digitalchefin Vestager plädiert bei KI für "Vertrauen by Design"

Die EU kann bei Künstlicher Intelligenz nur international punkten, wenn die Menschen der Technik vertrauen, unterstrich Margrethe Vestager im EU-Parlament.

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EU-Kommission: Digitalchefin Vestager plädiert bei KI für "Vertrauen by Design"

(Bild: vs148/Shutterstock.com)

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Abgeordnete von gleich drei Ausschüssen des EU-Parlaments haben die aktuelle Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager, die Europa nach dem Willen der gewählte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) künftig auch "fit für das digitale Zeitalter machen soll", drei Stunden lang "gegrillt". Am Herzen lagen den Volksvertretern vor allem Fragen zur künftigen kartellrechtlichen Behandlung von Tech-Riesen und eine Strategie gegen deren datengetriebenen "Überwachungskapitalismus", zur Steuergerechtigkeit sowie zu einer europäischen Position zu Künstlicher Intelligenz (KI).

Bei der Schlüsseltechnologie KI und dem Ausbau des digitalen Binnenmarkts plädierte Vestager bei der Anhörung klar für einen "europäischen Weg". Es bringe nichts, hier nur resigniert zu sagen: "Die Chinesen haben die ganzen Daten, die USA das ganze Geld." Europa müsse auf "vertrauenswürdige KI" setzen, warb Vestager für den Vorrang des Prinzips "Trust by Design" nach dem Vorbild des in der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) etablierten Grundsatzes "Privacy by Design".

"Wir können ohne ethische Richtlinien nicht Weltmarktführer werden" in diesem Bereich, unterstrich die 51-Jährige. Die Technik sollte den klaren Zweck haben, "den Menschen zu dienen". Diesem diene es aber nicht, möglichst viele Daten zu sammeln, um damit Algorithmen mehr oder weniger blind zu trainieren. Laut von der Leyen soll die vorgesehene "exekutive Vizepräsidentin" binnen 100 Tagen nach Amtsantritt einen "koordinierten Ansatz für die menschlichen und ethischen Auswirkungen" der Künstlichen Intelligenz vorlegen. Vestager sicherte dies zu und erklärte, dabei auf den Vorschlägen für Richtlinien für vertrauenswürdige KI einer hochrangigen Expertengruppe aufbauen und diese weiter mit Leben füllen zu wollen.

Im Bereich Trainingsdaten sieht die Kommissarin Europa bereits gut aufgestellt, da die Politik hier etwa über Satellitenprogramme wie Galileo oder Copernicus bereits für einen riesigen Pool an öffentlich verfügbaren Messwerten gesorgt habe. Dank "Weltklasse-Anlagen" im Bereich Supercomputing seien zudem prinzipiell die Fähigkeiten vorhanden, die Daten etwa für die smarte Landwirtschaft zu nutzen.

Um bei KI Spitze zu werden, muss die EU parallel laut Vestager aber auch die Investitionen deutlich erhöhen. Ihr schwebt dabei vor, etwa das öffentliche Vergabewesen stärker strategisch einzusetzen. Dort gehe es um "viele Billionen Euro", die etwa genutzt werden könnten, um über Ausschreibungen kleinere, spezialisierte KI-Firmen voranzubringen.

Im Bereich der Verbrauchersicherheit hält die Liberale bei Künstlicher Intelligenz wenig von massiven neuen Instrumenten. Die Technik werde häufig in bestehende Produkte integriert, für die gängige Schutzvorkehrungen auch gälten, führte sie aus. Eine Überregulierung wäre hier fehl am Platz, um den entwickelnden Firmen Raum für Innovationen zu lassen. Die konkrete Frage, ob die europäischen Konsumenten etwa bei Sprachassistenten und smarten Lautsprechern mehr Wahlmöglichkeiten und Alternativen bräuchten, blieb unbeantwortet.

Generell plädierte Vestager dafür, das "digitale Potenzial im Gesundheitswesen, im Verkehr und im Kampf gegen den Klimawandel" stärker auszuschöpfen. Dabei müsse auch "Green IT" eine größere Rolle spielen, da Computer und andere vernetzte Geräte derzeit selbst noch viel Strom verbrauchten.

Bei Plänen für eine Digitalsteuer verwies die erfahrene Politikerin auf die gängige Kommissionslinie, wonach bis 2020 möglichst eine "globale Vereinbarung" auf OECD-Ebene angestrebt werden sollte. Werde dort kein Konsens erzielt, "sind wir vorbereitet, selbst zu handeln". Wichtig seien aber auch eine gemeinsame konsolidierte Steuerbemessungsgrundlage für Konzerne sowie spezifisch für einzelne Länder ausgewiesene Zahlen zu Umsätzen und Gewinnen.

Um mit der Geschwindigkeit der digitalen Wirtschaft mithalten zu können, verwies die Wettbewerbshüterin auf einen bereits verfügbaren recht weiten Werkzeugkasten. Es sei schon jetzt möglich, bei einem festgestellten Kartellrechtsverstoß nicht nur vier bis sechs Prozent des globalen Konzernumsatzes als Strafe zu verhängen. Es gebe bereits einen Fall, indem die Kommission auch "einstweilige Maßnahmen" nutzen wolle. Auch die freie Wahl von Suchmaschinen, Browser, oder Betriebssystemen sei bereits ein einsetzbares Mittel.

Zu Forderungen, ganze Märkte dominierende Internetriesen zu zerschlagen, äußerte sich Vestager zurückhaltend. "Man muss das am wenigsten einschneidende Instrument wählen", erläuterte sie. Wenn in Fällen wie Googles Werbeprogramm Adsense der gewünschte Wettbewerb trotz verhängter Sanktionen aber ausbleibe, müssten sich die Kartellwächter fragen, wo sie "einen Schritt weitergehen" könnten. Hinweise auf mögliche Interessenskonflikte in ihrer künftigen Rolle auch als Digitalchefin versuchte die Dänin zu entkräften: Konkrete Gesetzesvorschläge kämen von unterschiedlichen Ressorts und wenn sie diese mit aufgreife, müsse sie sich zusätzlich noch gegenüber den Kollegen und dem gesamten Kabinett verantworten. Für Beistand bei tagesaktuellen Aktivitäten gebe es ferner einen unabhängigen Rat von Wirtschaftsweisen und einen eigenen juristischen Dienst.

Noch wenig Handfestes konnte Vestager zu dem geplanten Gesetz für digitale Dienste (Digital Services Act) sagen, mit dem die Haftungs- und Sicherheitsregeln für Online-Plattformen aktualisiert und der digitale Binnenmarkt vollendet werden soll. Ähnlich wie bei der heftig umstrittenen Urheberrechtsrichtlinie, die sie persönlich im Interesse einer fairen Verfügung der Künstler gutheiße, gelte es auch hier, entscheidende Debatten über die Meinungsfreiheit in der Balance zu anderen Grundrechten zu führen. Die E-Commerce-Richtlinie habe wichtige Vorgaben für die Verantwortlichkeiten von Providern aufgestellt, sodass hier eine weitere Regulierung als reiner Selbstzweck nicht verfolgt werden sollte.

An der skizzierten, derzeit im EU-Ministerrat festsitzenden E-Privacy-Verordnung will die Kommissarin "mit hoher Priorität" festhalten. Sie müsse aber noch herausfinden, woran die Blockade genau liege. Persönlich ärgere sie sich darüber, welche breiten Ansprüche zur Verarbeitung persönlicher Daten sich viele Online-Firmen über ihre Geschäftsbedingungen abnicken ließen. Sie kenne hier ihre Rechte, sei aber frustriert, sie nicht hinlänglich durchsetzen zu können. Die Nutzer müssten dazu stärker ermächtigt werden. (olb)