Arbeitslosigkeit verkürzt die Lebenserwartung

Eine neue Studie zeigt: Gehalt und Gesundheit sind eng verknüpft. Unterdessen steigt die Ungleichheit beim Einkommen in Deutschland an.

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Arzt am Computer

Millionen von Patientendaten sollen offen im Internet zugänglich gewesen sein.

(Bild: dpa, Marijan Murat)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Torsten Kleinz
  • Simon Koenigsdorff
Inhaltsverzeichnis

Wer kein oder nur ein geringes Arbeitseinkommen hat, trägt ein wesentlich höheres Sterberisiko. In einer Analyse der Daten der Gesetzlichen Rentenversicherung haben Forscher des Rostocker Max-Planck-Instituts für demografische Forschung (MPIDR) eine erhebliche Ungleichheit bei Normal- und Geringverdienern festgestellt.

Für die Untersuchung haben die Forscher zum ersten Mal die Daten von insgesamt 27 Millionen Deutschen im arbeitsfähigen Alter zwischen 30 und 59 Daten aus dem Jahr 2013 ausgewertet. Hierbei wurden 42.000 Todesfälle in die Analyse einbezogen. Das Ergebnis ist eindeutig: Die Sterblichkeit des am schlechtesten verdienenden Fünftels lag um 150 Prozent über dem des am besten verdienenden Fünftels.

Der Zusammenhang kommt nicht überraschend. Vorangegangene Untersuchungen hatten vielfältige Faktoren festgestellt, die zu schlechterer Gesundheit beitragen. Menschen mit geringerem sozialen Status rauchen im Schnitt mehr als der Durchschnitt der Bevölkerung und ernähren sich ungesünder. Die neue Studie zeigt, dass das Einkommen eine Hauptrolle spielt. Menschen mit geringerer Bildung haben zwar ebenfalls ein höheres Sterberisiko. Die Quote erhöht sich hier aber lediglich um 30 Prozent. Anders ausgedrückt: Wer trotz geringerer Bildung gut verdient, ist tendenziell weniger gefährdet als schlecht verdienende Bürger, die eine hohe Bildung haben.

Der Zusammenhang ließ sich unabhängig von der Altersgruppe nachweisen. Auch der Wohnort scheint per se keine entscheidende Wirkung zu haben. Zwar hat die unterste Bildungs- und Einkommensschicht der Männer im Osten Deutschland ein mehr als achtmal so hohes Sterberisiko wie die höher gebildeten Bestverdiener. Dies liegt aber auch an der insgesamt deutlich schlechteren Einkommenssituation. Bei Frauen war der Unterschied nicht so ausgeprägt – hier lag der Faktor bei mehr als dem Fünffachen. Über die genauen Gründe und Wirkzusammenhänge konnten die Forscher jedoch keine Angaben machen, da nicht genug biografische Daten der Betroffenen vorliegen.

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Unterdessen ist die Einkommensungleichheit in Deutschland weiter gestiegen. Laut dem neuen Verteilungsbericht des gewerkschaftsnahen Forschungsinstituts WSI hat sich das Einkommen der schwächsten Haushalte in den vergangenen Jahren nach unten entwickelt, während die reichsten Haushalte überdurchschnittlich profitierten. Die Ungleichheit ist demnach auf einem historischen Höchststand in Deutschland angelangt.

Laut dem Bericht, der auf einer Umfrage unter 25.000 Deutschen beruht, ist die Armutslücke gestiegen -- also der Betrag, der einem durchschnittlichen armutsgefährdeten Haushalt fehlt, um über die Armutsgrenze von 60 Prozent des mittleren Einkommens zu gelangen. Diese Lücke beträgt mittlerweile mehr als 3400 Euro pro Jahr -- ein Plus von 779 Euro innerhalb von fünf Jahren. Auch der Gini-Koeffizient, eine volkswirtschaftliche Messgröße für Ungleichheit, stieg von 0,25 in den 1990er Jahren auf mittlerweile 0,295 an. Als Gegenmaßnahmen empfiehlt das WSI eine höhere Besteuerung von Spitzeneinkommen, eine Anhebung der Regelsätze im Arbeitslosengeld II, eine Erhöhung des Mindestlohns und eine Stärkung der Tarifbindung der Arbeitgeber.

Die Arbeitgeber wiederum wollen sich die Verantwortung nicht zuschieben lassen. Michael Hüther, Direktor des Institut der deutschen Wirtschaft, schreibt in einem Beitrag für die Arbeitgeber-Initiative INSM, dass eine Armutsstatistik, die sich alleine nach dem Durchschnittseinkommen richte, in die Irre führe. "Ein relativ betrachtet niedriges Einkommen begründet daher allenfalls eine Armutsgefährdung, ist aber nicht mit Armut gleichzusetzen", erklärt Hüther. Lege man hingegen eine Definition zugrunde, wonach nur der als arm gilt, der sich mindestens drei von neun Gütern des alltäglichen Gebrauchs aus finanziellen Gründen nicht leisten kann, sinke die Armut in Deutschland – im Zeitraum von 2007 bis 2017 von zwölf auf neun Prozent.

Statt sich an Gehaltszahlen zu orientieren, plädiert Hüther für eine Gesamtbetrachtung der Teilhabemöglichkeiten der Bürger. Zwar hätten sich in den vergangenen Jahren die Karriere- und Aufstiegschancen in die obere Einkommensgruppe verringert, insgesamt sei aber keine wesentliche Verschlechterung festzustellen. Nun sei es Aufgabe der Politik, bessere Rahmenbedingungen für Beschäftigung zu schaffen, um besonders armutsgefährdete Gruppen wie Haushalte von Alleinerziehenden oder Familien mit mehr als drei Kindern zu unterstützen. Das solle ihnen die Gelegenheit für eine vollzeitnahe Beschäftigung und ordentliche Bildung ermöglichen. (siko)