Was Übertakten beim Raspberry Pi 4 bringt

Der Raspi 4 wird schon ab Werk schnell so heiß, dass er seinen Takt senken muss. Wir zeigen, ob sich Übertakten dennoch für Sie lohnen kann.

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Lesezeit: 13 Min.
Von
  • Ingo T. Storm
Inhaltsverzeichnis

Anlässlich des 10. Geburtstags des Raspberry Pi haben wir zeitlos spannende Artikel rund um den Bastelcomputer aus unserem Fundus geholt.

Der BCM2711-"Hauptprozessor" des Raspberry Pi 4 rechnet viel schneller als sein Vorgänger BCM2837B0 im Raspi 3B+. Trotzdem wünscht man sich für manche Zwecke noch mehr Leistung. Dazu kann man den neuen übertakten – aber mit Nebenwirkungen. Bei länger anhaltender Rechenlast drosselt er ohne Kühlung dann noch schneller als im Normalbetrieb. Je nach Nutzung kann Übertakten deshalb auch die Rechenleistung mindern statt steigern. Sie können leicht herausfinden, ob sich mehr Takt für Ihre Lieblingsanwendung lohnt oder ob es sie ausbremst.

10 Jahre Raspi: Projekte und Hintergrund

Bevor Sie sich ans Übertakten machen, sollte man das normale Taktverhalten des Raspi 4 kennen: Ab Werk laufen die ARM-Rechenkerne ohne Last mit einem Basistakt von 600 MHz und schalten erst auf den Turbotakt von 1500 MHz hoch, wenn es nennenswert etwas zu tun gibt. Wenn die CPU-Temperatur nach längerer Last 80 °C übersteigt, gehts runter auf den Spartakt von 1000 MHz und auf dem Bildschirm erscheint oben rechts ein halb rotes, halb weißes Thermometer. Sinkt die Temperatur unter 80 °C, wird der Turbotakt wieder freigegeben.

Oberhalb von 85 °C wird es für das System-on-Chip (SoC) BCM2711 kritisch: Dann sinkt der Takt nach und nach bis auf 300 MHz – zumindest ist es uns nicht gelungen, ihn noch weiter herunterzuzwingen, obwohl das SoC bis zu 93 °C heiß wurde. Wegen übermäßiger Hitze abgeschaltet hat sich der Raspi bei uns nie.

Mit dem Eintrag arm_freq=xxxx in der Datei /boot/config.txt erhöht man den Turbotakt auf 2000 MHz oder etwas höher. Spar- und Basistakt ändern sich automatisch mit – auf welche Werte sie gesetzt werden, hängt von den zur Verfügung stehenden Takt-Multiplikatoren im SoC ab. Bei 2000 MHz Turbotakt liegt der Spartakt zum Beispiel bei 1334 und der Basistakt bei 667 MHz. Zum Ändern der Datei braucht man Admin-Rechte:

sudo vi /boot/config.txt

Sie können statt vi natürlich auch emacs oder nano benutzen.

Zusätzlich zu den ARM-Kernen kann man mehrere Komponenten des SoC einzeln auf Trab bringen, zum Beispiel den H.264-Decoder oder die Bildverarbeitungspipeline (ISP) – nur das SDRAM zurzeit nicht. Damit das SoC bei überhöhtem Takt stabil funktioniert, muss man fast immer mit over_voltage=x die Versorgungsspannungen für die übertakteten Einheiten anheben. Bei den meisten Raspi 4 reicht eine 2 für moderates Übertakten und eine 6 ist höchstens ab 2000MHz nötig. Einer unserer Raspi 4 war allerdings auch gegen zu hohe Spannungen allergisch. Mit over_voltage=6 stürzte er bei 2000 MHz reproduzierbar ab, bei einem Wert von 4 lief er stabil. Für erste Experimente eignen sich folgende Einträge:

arm_freq=1750
over_voltage=2

Abstürze sind die Ausnahme. Wenn man den Raspi überfordert, also den Takt zu hoch oder die Spannung zu niedrig angesetzt hat, bootet er üblicherweise gar nicht erst. Trennen Sie ihn dann einfach von der Stromversorgung, verbinden Sie ihn wieder und drücken Sie während des Boot-Vorgangs wiederholt die Umschalt-Taste.

Wenn Sie aus der Datei /boot/cmdline.txt den Parameter quiet entfernen, können Sie Raspbian beim Abarbeiten der Boot-Sequenz zusehen und treffen leichter das kleine Zeitfenster, in dem das Skript raspi-config abfragt, ob die Umschalt-Taste gedrückt ist. Ist das der Fall, belässt das Skript den sogenannten Scaling-Governor, der das Hoch- und Runtertakten bei Last und Langeweile regelt, bei "powersave". Im Zustand "powersave" bleiben die ARM-Kerne immer auf dem Basistakt, sodass der Raspi trotz vergurkter Einstellungen bootet und Sie config.txt wieder ändern können. Ist die Taste nicht gedrückt, setzt raspi-config den Scaling-Governor auf "ondemand" und leitet damit das übliche Rauf und Runter je nach Last und Temperatur ein.

Noch viele weitere übertaktungsrelevante Einstellungen stehen in der Dokumentation der Raspberry Pi Foundation. Diese Seite ist noch im Fluss, da noch fleißig an der Firmware des Raspi 4 geschraubt wird: Nicht alle Änderungen bezüglich des Raspi 4 sind schon enthalten und nicht alles, was da steht, stimmt zu jedem Zeitpunkt.