Die EU bastelt an einem Recht auf Reparatur

Verbraucher- und Umweltschützer kämpfen seit Jahren gegen kurzlebige Elektrogeräte. Nun feiern sie erste Erfolge.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 489 Kommentare lesen
Die EU bastelt an einem Recht auf Reparatur
Lesezeit: 6 Min.
Inhaltsverzeichnis

Elke Salzmann kennt viele Beispiele für die moderne Wegwerfgesellschaft. Die Reparatur-Expertin des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen erhält regelmäßig Beschwerden über Hersteller, die keine Ersatzteile für ihre Geräte liefern. „Dann landet zum Beispiel ein vier Jahre junger Fernseher, der 1800 Euro gekostet hat, auf dem Müll“, erklärt die Expertin.

Entsorgen statt reparieren? Studien liefern Belege für diesen traurigen Trend. Laut Umweltbundesamt werden Flachbildfernseher doppelt so schnell ausgetauscht wie Röhrengeräte. Auch andere große Haushaltsgeräte wie Waschmaschinen werden in Deutschland immer schneller ersetzt.

Die Ursachen sind vielfältig: Die meisten Neugeräte kosten weniger als früher, die Arbeitskosten für Reparaturen hingegen steigen. Die Komponenten von Computern und Smartphones werden häufiger verklebt anstatt verschraubt, damit die Geräte flacher werden. Und natürlich haben die Hersteller ein Interesse am schnellen Austausch – während auch manche Konsumenten stets das Neueste wollen.

Seit Kurzem schöpfen Verbraucher- und Umweltschützer allerdings Hoffnung. Anfang Oktober verkündete die EU-Kommission erste Maßnahmen für mehr Reparaturen: Von 2021 an müssen Hersteller bestimmter Elektrogeräte – unter anderem Fernseher, Monitore und Kühlschränke – Ersatzteile und Anleitungen an Reparaturbetriebe liefern.

Zum Beispiel müssen TV-Hersteller wichtige Komponenten wie interne Netzteile und Kondensatoren sieben Jahre lang vorhalten und binnen zwei Wochen versenden.

Die Verbraucherschützerin Elke Salzmann sieht einen „Systemwechsel“ in der Politik.

(Bild: VZBV)

Der Schritt ist bemerkenswert. Bislang existiert weder in Deutschland noch auf EU-Ebene eine Pflicht zur Ersatzteil-Lieferung für Elektrogeräte. Noch entscheiden die Hersteller nach Gutdünken, ob sie ein kaputtes Produkt reparieren, austauschen oder – wenn die Garantie abgelaufen ist – gar nichts tun. „Die EU-Entscheidung ist ein Systemwechsel“, sagt Salzmann.

Zufrieden ist sie aber noch nicht. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen fordert zusammen mit einer Reihe von Umweltorganisationen und Reparaturfirmen ein umfassendes „Recht auf Reparatur“. Das Schlagwort stammt aus den USA, wo schon länger ein „Right to Repair“ gefordert wird. Seit Oktober machen die deutschen Organisationen auch in Brüssel Druck auf die Politik, zusammen mit Initiativen aus anderen EU-Ländern.

Die erste Forderung: Die EU soll die neuen Regeln zur Ersatzteilversorgung auf weitere Produkte ausweiten – etwa auf PCs, Smartphones und Tablets. „Die Mehrheit der Verbraucher wünscht sich auch bei Handys eine längere Lebensdauer“, sagt Salzmann. Das gehe aus Umfragen der Verbraucherzentralen hervor. Viele Leute nerve der hohe Aufwand beim Einrichten eines neuen Smartphones.

Für PCs und Laptops hat die EU-Kommission bereits Vorschläge von Forschungsinstituten eingeholt. Diese schlagen ähnliche Regeln vor, wie sie für Fernseher beschlossen wurden: „Schlüsselkomponenten“ von Laptops wie Akku, Display, Tastatur und Speicher sollen austauschbar sein, die Hersteller sollen Ersatzteile und Reparatur-Infos liefern.

Der IT-Verband Bitkom wehrt sich dagegen. „Technisch komplexe Geräte wie Smartphones, Notebooks oder PCs sollten grundsätzlich vom Hersteller repariert werden, da ansonsten die Sicherheit der Produkte nicht immer gewährleistet werden kann“, erklärt ein Sprecher. Auch aus „Sorge um die eigene Reputation“ seien die betroffenen Hersteller gegen die Übertragung von Reparaturen an nicht autorisierte Unternehmen.

Siddharth Prakash, Forscher beim Freiburger Öko-Institut, glaubt jedoch, dass die EU zumindest für PCs und Notebooks ähnliche Regeln erlassen wird wie für Haushaltsgeräte. „Es wäre schwierig für die Kommission, wieder zurückzurudern“, meint der Nachhaltigkeitsexperte.

Er wünscht sich auch eine Regulierung von Smartphones. Kommissionskreisen zufolge beginnt die EU tatsächlich in den nächsten Wochen mit den ersten vorbereitenden Untersuchungen dafür. Doch bis zum fertigen Gesetz dürfte es noch mindestens vier Jahre dauern.

Ein wichtiger Hersteller – Apple – kommt den Schraubern bereits jetzt ein Stück weit entgegen. Der iPhone-Konzern kündigte im August überraschend an, bald Ersatzteile, Werkzeug und Anleitungen an „unabhängige Reparaturdienstleister“ zu liefern, zu denselben Konditionen wie an seine autorisierten Partner. Anfangen will Apple damit in den USA, andere Länder sollen folgen.

In den vergangenen Jahren hatte der Konzern noch gegen Gesetzentwürfe von US-Bundesstaaten für mehr Reparaturen lobbyiert. „Wir begrüßen diesen Politikwechsel seitens Apple natürlich“, sagt Matthias Huiskens, Europachef des Reparatur-Portals iFixit, das gemeinsam mit den Verbraucher- und Umweltschützern für Schrauber-Rechte streitet.

Freiwillige Initiativen reichen den Verbündeten allerdings nicht aus. Sie wollen verhindern, dass Apple & Co. selbst entscheiden dürfen, wen sie mit Ersatzteilen beliefern und wen nicht. Sie befürchten, dass dann zum Beispiel kleine Betriebe, gemeinnützige Werkstätten oder Repair Cafés benachteiligt werden.

Die EU hat Vorkehrungen gegen diese Gefahr getroffen. Laut ihren neuen Regeln müssen die Hersteller alle Reparaturdienstleister beliefern, die die nötige „technische Kompetenz“ besitzen und eine geeignete Versicherung abgeschlossen haben. Die einzelnen Mitgliedsstaaten können solche Dienstleister in Register aufnehmen. An diese Listen müssen die Hersteller sich dann halten. In Deutschland existiert allerdings noch kein staatliches Schrauber-Register. Die Reparatur-Aktivisten fordern die Bundesregierung deshalb auf, schnellstmöglich eines einzurichten.

Eine wichtige Rolle spielen natürlich auch die Preise der Ersatzteile. Schließlich lässt kaum jemand ein Handy reparieren, wenn ein neues Display fast so viel kostet wie ein Neugerät. Einige Organisationen fordern deshalb gesetzliche Obergrenzen. Die Reparatur-Expertin Salzmann sagt jedoch: „Das ist in der Marktwirtschaft schwer umzusetzen.“

Sie hat einen anderen Vorschlag: Ein Label soll Verbrauchern schon vor dem Kauf verraten, wie reparaturfreundlich ein Gerät ist. „Die Ersatzteilpreise könnten in diesen Index einfließen“, sagt sie. Verbraucher sollen den Kaufpreis dadurch ins Verhältnis zur erwartbaren Nutzungsdauer setzen können – und nicht mehr so leicht auf vermeintliche Schnäppchen hereinfallen.

Auch die EU-Kommission kann sich so etwas vorstellen. Ihr hauseigenes Forschungsinstitut, das Joint Research Center, hat bereits ausgeklügelte Bewertungssysteme für die Reparaturfreundlichkeit von Laptops, Staubsaugern und Waschmaschinen entwickelt. Dabei gibt es zum Beispiel Pluspunkte für verschraubte Komponenten – und keine Punkte für Verbindungen, die sich nicht wieder zusammensetzen lassen.

Salzmann ist überzeugt, dass das Recht auf Reparatur noch weiter gestärkt wird. An der Basis entstünden immer mehr Repair Cafés und ähnliche Initiativen, sagt sie. „Und auch bei den Entscheidungsträgern setzt sich das Bewusstsein durch: Wir brauchen eine Kreislaufgesellschaft, keine Wegwerfgesellschaft.“

Dieser Artikel stammt aus c't 23/2019. (cwo)