Fest oder frei in der IT-Industrie arbeiten: eine Frage der Persönlichkeit
Gut jeder zehnte IT-Profi ist freiberuflich tätig. Unternehmen akzeptieren die Zusammenarbeit zunehmend. Was spricht für die Freiberuflichkeit, was dagegen?
(Bild: Lapina/Shutterstock.com)
Wenn schon, dann richtig! Das dachte sich Alexander Engelhardt (33) gleich zweimal, als sich seine Interessen grundlegend änderten. Als Teenager hat er lieber programmiert als online gespielt. Damit er das auch richtig macht, hat er eine Ausbildung zum Fachinformatiker für Anwendungsentwicklung abgeschlossen. Danach fand er Interesse am online Spielen und pokerte im Internet.
Um darin gut zu sein, studierte Engelhardt Statistik und promovierte anschießend darin. Sein Nebenfach im Studium war Informatik. Die Spielelust hat er im Laufe der Zeit verloren. Seit Abschluss seiner Promotion 2017 ist Engelhardt freiberuflich tätig. "Meine Schwerpunkte sind Data Science und Künstliche Intelligenz. Beides liegt in der Schnittmenge von Statistik und Informatik." Wenn Engelhardt etwas anpackt, dann richtig. Dem Zufall überlässt der Statistiker wenig.
"Man ist primär Unternehmer"
Aktuell entwickelt er bei einem Energieversorger ein Programm für die Vorhersage von produzierter Windenergie. Grundlage dafür ist der Wetterbericht und die Vorhersage elementar für das Geschäftsmodell des Unternehmens, das vom Stromverkauf lebt. "Wissen um Data Science und Machine Learning ist sehr gefragt in der Industrie. Ich kann mir meine Aufträge aussuchen", sagt Engelhardt. Er ist aus Überzeugung und gerne Freiberufler. Während seiner Promotionszeit hat er Bachelor- und Master-Arbeiten an der Universität betreut und kam so auf den Geschmack. "Die Herausforderung darin besteht, dass man primär Unternehmer ist und mit sehr unterschiedlichen Aufgaben klarkommen muss", sagt Engelhardt. Fachlich fühlt er sich schon fast gezwungen, bei neuen Technologien immer up to date zu sein, "weil ich sonst befürchte, Auftraggeber zu verlieren". Auftragslos ist die ewige Angst aller Freien.
Angebote für eine Festanstellung bekommt Engelhardt regelmäßig. "Das wird für mich eventuell interessant, wenn ich eine Familie habe und mir wirtschaftliche Sicherheit wichtiger wird als interessante Aufgaben." Als Berufseinsteiger kann er in der Freiberuflichkeit in kurzer Zeit viel Erfahrungen in unterschiedlichen Projekten sammeln. Im Vergleich zu festangestellten IT-Profis verdiene er mehr, arbeite aber auch mehr, denn unter der Woche macht er seine fachliche, am Wochenende seine Arbeit als Unternehmer: Akquise, Buchhaltung, Homepage aktualisieren. Seine Arbeitsorganisation ist ganz klassisch. Freiheit als Freiberufler gebe es nicht so sehr, wie man sich das vorstelle. "Meine Chefs sind meine Kunden." Freiberuflichkeit funktioniert nur in geregelten Bahnen, ähnlich einer Festanstellung und nur mit großer Selbstdisziplin.
Es gibt nur Schätzungen darüber, wie viele IT-Freelancer es in Deutschland gibt, doch die liegen auf ähnlichem Niveau: der Hightech-Verband Bitkom und das Marktforschungsinstitut Lünendonk und Hossfelder zum Beispiel schätzen deren Anzahl auf rund 120.000. Bezogen auf die etwa eine Million Beschäftigten in der IT liegt der Anteil der Selbständigen bei etwa zwölf Prozent. Das ist tendenziell höher als in anderen Berufen – mit Ausnahme typischer Freiberufler wie Ärzte oder Steuerberater. Laut beiden Schätzungen steigt der Anteil der IT-Freiberufler in den vergangenen Jahren, weil in guter Konjunktur das Risiko geringer ist, zu scheitern, es aber auch Chancen für Aufträge gibt. Hinzu kommt der Mangel an IT-Personal. "Unternehmen sind zunehmend bereit, mit IT-Freiberuflern zusammen zu arbeiten", sagt Robin Zugehör, Leiter des IT-Bereichs bei Robert Walters in Hamburg. Der Personaldienstleister sucht für Unternehmen Mitarbeiter in Festanstellung und fürs Interim Management und kennt sich daher in beiden Beschäftigungsformen aus.
Unterschiedliche Modelle fĂĽr unterschiedliche Typen
Keiner schlittere in die eine oder andere Alternative. "Das suchen sich beide Seiten ganz bewusst aus und wechseln auch nicht hin und her", sagt Zugehör. Menschen, die eine langfristige Planungssicherheit brauchen und sich mit einem Arbeitgeber identifizieren wollen, sind in der Festanstellung besser aufgehoben. Wer flexibel ist, nicht zehn Jahre dasselbe machen will, technologische Abwechslung und unterschiedliche Auftraggeber mag, ist ein Typ für die Selbständigkeit. Provider wie Robert Walters, Gulp und Freelancermap bringen Angebot und Nachfrage zusammen, sie unterstützen Freelancer darin, an Projekte zu kommen. "Mehrere Auftraggeber gleichzeitig ist wichtig, damit nicht die Gefahr der Scheinselbständigkeit droht", sagt Zugehör. Scheinselbständigkeit prüft die Deutsche Rentenversicherung anhand mehrerer Kriterien. Stammt etwa der größte Teil der Einnahmen eines Selbständigen von nur einem Kunden und gibt es festgelegt Arbeitszeiten, so können das Anzeichen für Scheinselbständigkeit sein. Wird die nachgewiesen, trifft sie vor allem die Auftraggeber mit Nachzahlungen für Lohnsteuer und Sozialversicherung.
Andreas Nägele (38) hat in Vorstellungsgesprächen schon davon gehört, dass Selbständigen Aufträge geplatzt sind, weil die Unternehmen in Sorge wegen Scheinselbständigkeit waren. Nägele vertritt die Seite der Festangestellten in diesem Artikel. Er hat Informatik studiert, anschließend in dieser Disziplin promoviert, seit 2012 ist er bei Atoss angestellt. Freiberuflichkeit war nie ein Ziel von ihm. "Als Festangestellter gehört man zum Team, ist Teil des Ganzen. Freiberufler kommen und gehen, sie können zwar Vorschläge machen, aber keine strategischen Entscheidungen treffen", sagt Nägele.
Atoss macht Software für Personaleinsatzplanung und Zeitwirtschaft. Hornbach, die deutsche Bahn und Lufthansa sind Kunden. Nägele hat als Softwareentwickler angefangen, wurde Fachvorgesetzter, dann personalverantwortlich und leitet jetzt drei Entwickler-Teams mit rund 20 Mitarbeitern. Er ist auf einem ganz klassischen Karriereweg. "So etwas gibt es für Freiberufler nicht, es sei denn, sie stellen Mitarbeiter ein", sagt Nägele. Doch das kommt in diesem Metier selten vor.
Wie verdient man mehr?
Bleibt die Frage nach dem Geld: rechnet sich Freiberuflichkeit überhaupt? Der Personaldienstleister Gulp gibt mit einem Vergleich zwischen dem Einkommen von festangestellten und freiberuflichen IT-Experten zwar keine klare Antwort, aber eine Annäherung. Freelancer-Honorare sind mit Festangestelltenlöhnen nicht einfach zu vergleichen, denn Freiberufler haben Betriebsausgaben für ihr Büro und müssen selbst für ihre Sozialversicherung sorgen. Brutto ist daher nicht gleich brutto. Laut Gulp-Studie ist das verbleibende Nettoeinkommen von Freelancern zwar höher als das von Festangestellten. Wird letztendlich die höhere Jahresarbeitszeit der Freiberufler berücksichtigt so liegen die beiden finanziell auf Augenhöhe.
Frei oder Fest ist daher vor allem eine Frage der Persönlichkeit. Dem einen liegt sie, dem anderen nicht. (mho)