Web-Summit-Resümee: Die IT-Industrie auf der Suche nach Vertrauen

In Lissabon forderten Politiker und Netzaktivisten ein Umdenken bei der Ausbeutung von Daten. Vielleicht nur ein Goodie, meint c't-Redakteur Hartmut Gieselmann.

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Web-Summit-Resümee: Auf der Suche nach Vertrauen
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Am Donnerstag ist mit dem Web Summit die größte Tech-Konferenz der Welt zu Ende gegangen, über 70.000 Teilnehmer kamen nach Lissabon. Während in den Hallen zahllose Start-ups um die Aufmerksamkeit von Presse und Investoren buhlten und die großen Hersteller wie Amazon und Huawei ihre neuesten Dienste anpriesen, gab sich das Rahmenprogramm auf den Bühnen auffallend selbstkritisch und politisch.

Bezeichnend war, dass Edward Snowden zur Auftaktveranstaltung per Video zugeschaltet wurde und aufgrund des Vertrauensverlustes in die IT-Größen eine Neuorganisation des Internet forderte. Effektive Verschlüsselung müsse dazu beitragen, dass Vertrauen künftig nicht mehr nötig sei. EU-Kommissarin Margrethe Vestager wurde auf ihrer Abschlussrede mit Standing Ovations dafür gefeiert, dass sie Google, Amazon, Facebook & Co. in die Schranken weisen will. Ihre Motivation liegt dabei allerdings nicht, wie manch linker Romantiker vermuten könnte, im Kampf gegen die Auswüchse des Kapitalismus, sondern sie setzt als Liberale auf die Selbstheilungskräfte des freien Marktes und möchte, dass der Konkurrenzkampf so wenig wie möglich gestört wird. Damit steht sie konträr zu den Ansätzen von Katherine Maher, der CEO von Wikipedia, die vehement für ein auf Kooperation basiertes Gesellschaftsmodell warb, das den ewigen Konkurrenzkampf ablösen müsse.

Auf den Bühnen zu Themen wie "Future Society" oder "FullSTK" kamen denn auch zahlreiche Sprecher zu Wort, die den Ruf nach mehr Privacy als neue Chance begreifen. Wenn Daten das neue Öl sind, wie die IT-Industrie ihren Boom der 10er-Jahre bejubelt, dann ist es offenbar höchste Zeit, auch bei der Internet-Ökonomie die Entkarbonisierung voran zu treiben und nach Alternativen Ausschau zu halten. Exemplarisch sei hier etwa Brendan Eich genannt, der das Privacy-Concept seines Alternativ-Browsers Brave vorstellte, oder Keneth Jonk, CEO von Psychedelic Survey, der die Wirkung psychedelischer Drogen und den Nutzen für die Medizin erforscht. Er betonte immer wieder, dass die dazu geplante Befragungs-App für Drogennutzer komplett anonym sei und Anwender die Kontrolle über ihre Daten behielten.

Die Frage ist jedoch, ob diese Kritiker innerhalb der IT-Industrie tatsächlich zu einem Umdenken beitragen, oder letztlich nur als Feigenblatt dienen, damit die Branche sich als selbstkritisch darstellen kann, ohne ihre bisherigen Geschäftsmodelle generell in Frage stellen zu müssen. So pries Stephan Micklitz von Google etwa neue Privacy-Tools an, mit der sich die Datensammelei in der Cloud beschränken lasse. Angesichts des Andrangs und der langen Schlangen bei den AWS-Workshops von Amazon scheint Privacy für die IT-Branche das zu sein, was der Umweltschutz für die Automobilindustrie in den vergangen Jahren war: Ein nettes Goodie für das eigene Image.

Ein Kommentar von Hartmut Gieselmann

Redakteur Hartmut Gieselmann, Jahrgang 1971, ist seit 2001 bei c't. Er leitet das Ressort Anwendungen, Datenschutz & Internet und bearbeitet unter anderem aktuelle Themen rund um die Bereiche Medizin-IT, Netzpolitik und Datenschutz.

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(emw)