Fortpflanzungsstopp fürs Klima?

Vermehrt sich der Mensch langsamer, könnte auch der CO2-Anstieg gedrosselt werden. Darauf hoffen immerhin 11.000 Forscher, die einen entsprechenden Appell unterschrieben haben. Doch es gibt viel Kritik.

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Menschenmenge

Menschenmenge.

(Bild: Anton Watman / shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • James Temple
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Im wissenschaftlichen Journalist "BioScience" hat eine große Gruppe von Forschern neue Forderungen gegen die Klimakrise aufgestellt. In einem Editorial, das von 11.000 Wissenschaftlern aus zahlreichen Disziplinen unterzeichnet wurde, wird unter anderem gefordert, den sogenannten Klimanotstand auszurufen. Für eine heiße Debatte sorgte allerdings ein weiterer Vorschlag: Das Wachstum der Bevölkerungszahl der Menschheit müsse gestoppt werden.

"Noch immer wächst die Weltbevölkerung um 80 Millionen Menschen pro Jahr oder mehr als 200.000 am Tag. Sie muss stabilisiert werden – und idealerweise graduell reduziert", heißt es in dem Appell unter anderem.

Die Autoren führen weiter aus, dass dies effektiv bedeuten würde, die Geburtenrate zu senken – und dazu unter anderem Methoden der Familienplanung für mehr Menschen bereitgestellt, das Bildungsniveau von Mädchen und jungen Frauen gesteigert und die Geschlechtergleichheit gestärkt werden müsste.

Allerdings haben reiche Nationen schon jetzt flache oder gar abnehmende Geburtenkurven und der Vorschlag scheint sich, so sagen es jedenfalls die Kritiker, vor allem auf noch immer schnell wachsende Nationen in Afrika und Indien zu beziehen. So geht die UNO davon aus, dass nur neun Länder für mehr als die Hälfte des vorhergesagten Bevölkerungswachstums dieses Planeten sorgen werden – zwischen heute und 2050. Es sind, in abnehmender Reihenfolge, Indien, Nigeria, Pakistan, die Demokratische Republik Kongo, Äthiopien, die Vereinigte Republik Tansania, Indonesien, Ägypten sowie die USA (wo Einwanderung der größte Wachstumstreiber bei der Bevölkerungsentwicklung sein soll).

Das gab scharfe Reaktionen. "Ein paar weiße Menschen in der entwickelten Welt, die sagen, die Bevölkerung sollte reduziert werden, ist die Definition eines imperialistischen Framings", kommentierte Arvind Ravikumar, Juniorprofessor für Energietechnik an der Harrisburg University of Science and Technology, auf Twitter.

Joseph Majkut, Klimaforscher und Direktor für Klimapolitik am Niskanen Center, einer Denkfabrik in Washington, hält den Vorschlag für "hochproblematisch" aus politischer Sicht heraus. Er unterfüttere direkt eine konservative Haltung, dass Klimaforschung und die daraus gezogenen Schlüsse ein Produkt einer ideologischen Bewegung seien, bei der die Natur über den Menschen gestellt werde.

Die wissenschaftliche Forderung nach einer langsamer wachsenden Weltbevölkerung könnte aber auch missbraucht werden, um eine aggressivere Bevölkerungskontrolle umzusetzen – oder auch rassistische Haltungen zu befördern, die gegen die noch immer wachsenden Entwicklungsländer gehegt werden. Kritiker fühlten sich an dunklere Perioden der Umweltbewegung erinnert, als einzelne Gruppen und Personen für die Eugenik und gegen die Immigration argumentierten.

Die UNO sagt voraus, dass die Weltbevölkerung von rund 7,7 auf 9,7 Milliarden wachsen könnte – bis 2050. Einen Peak sieht sie bei 11 Milliarden Menschen Ende des Jahrhunderts. Weniger Menschen, die weniger Klimagase erzeugen, könnten auch die Bedrohung verändern, die der Klimawandel über diese Periode darstellt. Ob es 9, 10 oder 11 Milliarden Menschen in den kommenden Jahrzehnten geben wird, ist eigentlich egal – die Welt wird weiterhin zunehmend gefährliche Mengen an CO2 & Co. in die Atmosphäre pumpen, wenn nicht fundamentale Veränderungen im Energie-, Verkehrs- und Nahrungsmittelsektor umgesetzt werden.

Andere Kritiker des "BioScience"-Appells sehen Probleme mit dem wirtschaftspolitischen Ansatz. Die Autoren wollen etwa, dass die Politik ihre ökonomischen Prioritäten vom Wachstum des Bruttoinlandsprodukts wegbewegt – und stattdessen mehr Wert auf grundsätzliche menschliche Bedürfnisse und eine Reduzierung der Ungleichheit setzt.

Allerdings bedeutet ein höheres Bruttoinlandsprodukt in vielen Ländern der Erde gleichzeitig, dass Ungerechtigkeit zurückgeht – weil sich arme Menschen in die Mittelklasse vorkämpfen, wie Jesse Reynolds, Fellow für Umweltrecht und Umweltpolitik an der University of California, Los Angeles, sagt. Und zumindest in den ersten Jahren korreliert das Wirtschaftswachstum mit einer geringeren Geburtenrate. Wer weniger Wachstum will, gefährdet das womöglich.

Viele prominente Namen aus der Klimaforschung haben den "BioScience"-Appell übrigens nicht unterzeichnet und viele Forscher, die es doch taten, sind in Feldern außerhalb der Energie- und Klimawissenschaften tätig. Ein dennoch sehr bekannter Name ist der von James Hansen von der Columbia University, der als Vater der Klimaforschung gilt, weil er frühe und einflussreiche Modellstudien durchgeführt hatte.

Die anderen Vorschläge in dem Paper sind stärker anerkannt, darunter ein aggressiver Wechsel von fossilen Brennstoffen hin zu "Low Carbon"-Quellen und die Reduktion problematischer Klimagase wie Methan. Auch sollten die Biodiversität erhöht und der Fleischkonsum reduziert werden, heißt es.

(bsc)