Mit Papier gegen Techniksucht

Google-Forscher haben mit dem "Paper Phone" eine Idee entwickelt, die die "digitale Wellness" fördern soll – auf analogen Wegen.

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Mit Papier gegen Techniksucht

Links die App, rechts das Papier.

(Bild: Google)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Tanya Basu
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Nein, ein Witz ist dieses "Gerät" nicht. Es haben sich echte Forscher mit der Idee beschäftigt, bis das "Paper Phone" endlich fertig war. Die sitzen ausgerechnet beim Internetriesen Google, der zu den größten Profiteuren unser aller Techniksucht gehören dürfte – in dessen Kreativlabor Google Creative Lab.

Das Paper Phone wird mittels App erstellt und druckt automatisch wichtige Informationen in ein handliches Format: Etwa Telefonnummern, Umgebungskarten oder kleine Spiele. All das lässt sich dann auf einem A4-Blatt in Achtel falten – fertig ist der gänzlich analoge Smartphone-Ersatz.

"Es soll den Menschen eine alternative Lösung dafür geben, den ganzen Tag ihr Telefon mit sich herumzuschleppen – in Form eines ausgedruckten Stücks Papier", erläutert Teamleiterin Emma Turpin. "Wir denken, das könnte ein sinnvolles Experiment für die Leute sein."

Die Reise hin zum Paper Phone begann mit dem Interesse des Teams an einer radikalen Technikdiät, die in den USA mittlerweile unter dem Begriff "Digital Detox" die Runde macht. Nutzer sollen sich von ihrem Digitalkram "entgiften". Wie Adrian Westaway, dessen (echter) Titel "Director of Technology and Magic" lautet, erläutert, hätten viele Menschen, mit denen das Team gesprochen habe, "eine Riesenangst vor der Vorstellung, ihr Handy nicht dabei zu haben". Westaway arbeitet beim Designstudio Special Projects in London, das beim Paper Phone mit Google kooperiert hat.

Ergebnis war das besagte Stück Papier, das den Nutzern erlauben soll, ihr Gerät zumindest für eine kurze Zeit zurückzulassen – "und das auf eine sanfte, empathische Art".

Paper Phone ist der jüngste Versuch Googles, Kritik an der Techniksucht-Epidemie zu begegnen. Andere Projekte waren "Unlock Clock", eine App, die zählt, wie oft man sein Handy entsperrt, oder "WeFlip", mit dem Gruppen von Nutzern gemeinsam beschließen können, ihr Smartphone freiwillig zu deaktivieren, zumindest für einige Stunden. Mittlerweile ist das alles kein Spaß mehr: Politik und Medizin stellen explizite Forderungen an Google, Facebook & Co., das Problem anzugehen. Sonst könnte Regulierung drohen.

Allerdings gibt einen Unterschied zwischen dem Bedürfnis, im Instagram-Feed ständig "Refresh" zu drücken – und dem Einsatz des Mobiltelefons für Dinge, die das Leben tatsächlich erleichtern und besser machen, etwa das Bestellen gesunder Nahrung, dem Bezahlen von Restaurantrechnungen zusammen mit Freunden oder dem simplen Telefonieren mit einem wichtigen Gesprächspartner.

Westaway meint, das Team sei sich des Risikos bewusst gewesen, dass eine "Digital Detox" dem Nutzer Zugriff auf wichtige Funktionen verweigern könnte, die nichts mit Handy-Sucht zu tun haben. Deshalb hat das Paper Phone beispielsweise einen Platz (in Form einer "Tasche") für eine kontaktlose Kreditkarte. Westaway hatte sein Plastikgeld selbst bei Verwendung eines Paper-Phone-"Prototypen" verloren und musste eine neue besorgen.

Natürlich könnte man dem Paper Phone auch vorwerfen, dass es nur einen Tagesplaner nachbildet, den die Menschheit seit vielen, vielen Jahren mit sich herumschleppt. Tiffany Shlain, Autorin des Buches "24/6: The Power of Unplugging One Day a Week", zeigte sich verwirrt, warum eine Person zu Paper Phone greifen würde, wenn sie einfach ein kleines, tragbares Notizbuch mit allen Informationen besitzen könnte. "Die sind doch ziemlich großartig", sagt sie.

Westaway räumt ein, dass Paper Phone sich "stark von persönlichen Tagesplanern und Agenden" habe inspirieren lassen. So gibt es freie Bereiche, in die man Notizen eintragen kann, mittels Stift. "Die Herausforderung für uns war, einen Mittelweg zwischen reiner Praktikabilität und einem netten Element der Freude zu finden", meint er.

Julie Albright, deren Buch "Left to Their Own Devices: How Digital Natives Are Reshaping the American Dream" die komplexe Dynamik zwischen jungen Menschen und Technik untersucht, meint dagegen, Google bringe digitales Wohlbefinden mit dem Weglassen des Smartphones durcheinander. Sie meint, moderne Telefone und digitales Wohlbefinden könnten tatsächlich "koexistieren".

"Man muss das richtige Verhältnis zwischen der Zeit, die wir mit unseren Geräten verbringen, und unserem "Draußenleben" finden, also unseren physischen, sozialen, gefühlsmäßigen und geistigen Bedürfnissen." Das Problem sei, die Nutzer verwendeten ihre Geräte zu viel für Dinge wie soziale Medien, Spiele oder Textnachrichten, die dann "gesunde" Aktivitäten wie Sport, Zeit in der Natur oder die direkte Interaktion mit Freunden oder Familie verlagerten.

Albright meint, eine bessere Methode sei es, kritischer und bewusster mit den Geräten umzugehen. Sie empfiehlt "heilige Stätten", in denen Smartphones nichts zu suchen haben – beim Essen beispielsweise, um die menschliche Verbindung zu verbessern.

Und wer wirklich eine digitale Diät ausprobieren möchte, sollte das Handy ganz aus dem Schlafzimmer verbannen und sich einen Wecker kaufen. Ein Notizbuch oder ein Tagesplaner könnten auch nicht schaden. Dafür braucht es nicht mal eine App.

(bsc)